Von Winfried Dittrich

Sie erwischen mich gerade beim Kochen. Reis. Für einen Reissalat. Den bringen wir heute Nachmittag zum Klassenfest meiner Tochter mit. Der Vorteil meines Salates ist, dass ihn kaum jemand anrührt, und die Reste können wir morgen zu Hause noch essen.

Er ist ein kleines bisschen scharf gewürzt, mit Cayennepfeffer. Wussten Sie, dass das eine Paprikasorte ist? Die Schärfe des Pulvers wird aber von der Mayonaise und dem Sahnejoghurt eingefangen, die die weiteren Zutaten zu einer köstlichen Pampe verbinden. Im Klassenkreis weiß das aber niemand. Die lesen sich nur das Schild mit den Inhaltsstoffen durch, von wegen Allergien und so. Anscheinend denken die Leute, dass man diesen Reissalat nicht nur deswegen mit »scharfem S« schreiben muss, weil der Duden das in der allgemeinen Rechtschreibregel D159 vorschreibt (ß nach ei), sondern gerade wegen der geschmacklichen Aspekte. Na ja, beides stimmt nicht. Egal. Jedenfalls mag ich dieses Gericht sehr. Ich komme ohne Thunfisch aus und, falls nötig, auch ohne Eier.

In den erkalteten, gekochten Reis mische ich Zwiebeln, Knoblauch, Kapern, Tomaten, Salatgurken, Oliven und Paprika. Zutaten, die ich vorher allesamt in kleine Stücke zerteilt habe. So klein, dass sie sich ungefähr in der Größenordnung der Reiskörner bewegen. Wenn ich die bräunliche Farbe von Thunfischsalat nachempfinden möchte, dann hebe ich auch noch einige Zentimeter Tomatenmark aus der Tube darunter. Salz, Pfeffer, ein wenig Kreuzkümmel, ein Schuss Essig oder das Kapernwasser runden den Geschmack ab, wenn man richtig dosieren kann. Und, natürlich, der Cayennepfeffer, der darf nicht fehlen.

Bis zu einer erlösenden OP vor ein paar Jahren konnte ich sowas nicht essen. Auf jegliche Darreichungsform des Nachtschattengewächses reagierte ich extrem. Über mehrere Jahre, wie sich am Ende herausstellte, litt ich nämlich unter Gallenkoliken. Die hatte ich einem ansehnlichen Stein zu verdanken, der die Öffnung meiner Gallenblase wie ein falsch gepoltes Rückschlagventil verstopfte. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was es bedeutet, eine Gallenkolik zu haben. Oder ein Kind zu gebären. Letzteres kann ich mir nicht vorstellen – ich bin ein Mann. Deshalb müssen Sie mir einfach glauben, dass es ziemlich schmerzhaft ist.

Man wird nachts wach davon. Zuerst glaubt man, etwas Falsches gegessen zu haben. Es drückt im Magen. Unrat? Später fühlt es sich so an, als ob es am Vorabend zu viele Jägermeister gewesen sein könnten – es sticht. Sogar in der Brust. Wenn man dann das richtige Schmerzmittel eingenommen hat, ein bisschen wartet, dann fühlt es sich nach und nach eher wieder wie mehr Jägermeister an, der Schmerz lässt nach. Das aber nur langsam. Man wünscht sich von irgendwoher einen Regenbogen, durch den man auf einen Schlag von dieser Pein erlöst wird, die über Stunden die Luft eng gemacht hat und weiter in den Rücken gezogen ist.

Wenn Sie über die vielen Monate hinweg immer wieder diese Schmerzen erleiden und dann entdecken, dass Sie dabei auf Paprika reagieren, dann werden Sie wachsam, machen sich automatisch auf die Suche. Was glauben Sie denn, wo das Zeug überall drinsteckt?

Gulasch – klar.

Paprikaschnitzel – natürlich.

Auf und in Grillfleisch – sicher. Aber nicht nur für Farbe und Geschmack! Nein. Dem Fleisch wird es als Extrakt zugesetzt, um es zarter und geschmeidiger zu machen. Das Zeug wird sogar an Hühner verfüttert, um die Dotter einzufärben. Beides hat mir mal ein Bekannter erzählt, ein gelernter Lebensmitteltechniker. Beruflich ist der zwar nur Waffelbäcker, aber trotzdem.

Also – Fleisch zarter und geschmeidiger machen?

Fällt Ihnen was auf?

Wir bestehen doch hauptsächlich aus Fleisch!

Wir sind es doch, die zarter und geschmeidiger gemacht werden sollen!

Oder, die irgendwie Farbe bekommen sollen.

Wissen Sie, ich habe Paprika fast überall gefunden! Sogar in roten Brausebonbons, Gummibärchen und diesen starken Mentholbonbons, die etwas mit Angeln zu tun haben!

Eigentlich glaube ich ja nicht an Verschwörungstheorien, bin gegen Corona geimpft, war schonmal in Bielefeld und habe hochprozentiges Dihydrogenmonoxid* getrunken, ohne dass mir etwas passiert ist.

Aber das mit der Paprika, da ist etwas dran. Glauben Sie mir!

Das ist mir neulich beim Autofahren klargeworden. An der Ampel ist es mir aufgegangen. Rot – gelb – grün. Erinnert Sie das an etwas? Selbst Äpfel gibt es nur in diesen Farben. Und welche Farben hat die Regierung?

Ich bin fest davon überzeugt! Es gibt sie, die Paprikaverschwörung! Aber den Spieß drehe ich jetzt um. Beziehungsweise rühre ich um.

Lassen Sie den Salat einige Stunden im Kühlschrank ziehen, ohne zu kontrollieren, ob das Licht ausgeht, wenn die Tür zu ist. Es ist kalt da drin.

Guten Hunger!

 

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*H2O

 

 

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