Von Martina Zimmermann

Es war eine laue Sommernacht. Sternenklar und warm. Ich roch den Duft der Sommerblumen, die im Garten blühten. Ein sanfter Wind wehte und ich fühlte mich in diesem Moment so wohl. Verträumt stand ich im Garten, der mir so vertraut war, und das mitten in der Nacht. Ich dachte an schöne Dinge aus meiner Kindheit. An einen Regenbogen, den ich bewunderte in seiner Farbenpracht. In Gedanken war ich bei meinen Großeltern. Wie sehr hatte ich es immer genossen, bei ihnen im Garten zu spielen. Ich lächelte vor mich hin, dabei fragte ich mich warum ich eigentlich so entspannt war. Ich hatte die Aufgabe Schmiere zu stehen, jetzt in diesem Moment.

Eigentlich war nichts entspannt an dieser Situation in dieser Nacht.

 

Versuche dich zusammenzureißen, du musst die Augen offen halten“.

Martin war im Haus, welches zu dem Garten gehörte, in dem ich gerade stand. Seit Opas Tod hatte Oma dort alleine gewohnt. Sie war vor einigen Tagen gestorben. Martin, mein Bruder, suchte die Uhr. Oma hatte sie ihm versprochen. Dieses wertvolle Schmuckstück, welches meinem Opa einmal gehört hatte. Plötzlich war Oma von uns gegangen, und es hatte keine Gelegenheit gegeben, sich von ihr zu verabschieden. Martin war sehr betrübt, aber er wollte diese Uhr. Er brauchte sie, denn er musste sie so schnell es ging verkaufen. Durch Fehlkalkulationen war er finanziell in eine ausweglose Situation geraten. Oma wollte ihm helfen, doch jetzt war sie tot.

 

Wie konnte sie es wagen, einfach so schnell zu sterben?“ 

Das darf doch alles nicht wahr sein!“, rief er laut, als wenn es etwas ändern könnte.

„Ich muss etwas tun, bevor alles zusammen in den Erbtopf geworfen wird. Dann kommen diese Aasgeier, die liebe Verwandtschaft, die sich nie um Oma gekümmert hat, um alles zu Geld zu machen. Ich sehe es nicht ein.“  

 

Verbittert griff er in seiner Verzweiflung zu einer Flasche Jägermeister. 

„Als wenn Alkohol die Lösung ist“, schrie ich ihm entgegen. 

„Das bringt dich nicht weiter.“

 Martin nickte betroffen … doch plötzlich erhellte sich sein Gesicht. 

„Ich habe eine Idee“, schrie er fast heraus und bei dem Gedanken strahlte er.

 

In dieser Nacht sollte es was werden. Martin hatte den Plan … 

Ich sollte mich in den Garten stellen und Wache halten, und er wollte sich ins Haus schleichen, um dort nach der Uhr zu suchen. Martin hatte einen Schlüssel und kannte sich bestens aus.

 

„War es richtig  was Martin machte?“

„Natürlich war es nicht richtig“, antwortete ich mir selber. 

 Er war eingedrungen und wollte eine Tote bestehlen, die noch nicht einmal unter der Erde lag. Das war Leichenschändung im weitesten Sinne. Allerdings kam mir auch ein weiterer Gedanke. Er sollte eh der Besitzer der Uhr werden. Martin hatte sich darauf verlassen, diese zu bekommen … 

Er bekam bei der Bank keinen Kredit mehr und Oma wusste, er würde die Uhr verkaufen. Sie hatte leider auch kein Vermögen, ansonsten hätte Sie ihm Geld gegeben. „

Wenn die Uhr dir auf diese Weise helfen kann, dann verkaufe sie“, hatte sie gesagt.

 

Doch bevor Martin diese in Empfang nehmen konnte, verschied Oma, einfach so.  Nicht, dass Martin nicht traurig gewesen wäre, nein, er verdrängte es zunächst. Seine Sorgen waren zu groß. Er wurde erpresst. 

„Diese verdammten Geldhaie. Es war ein großer Fehler!“

 

Ihm blieb nur noch diese letzte Möglichkeit. 

Immer noch stand ich in Omas Garten. Alles schien ruhig. Die Nachbarn schliefen.

 

„Wann kommt er denn endlich heraus?“, fragte ich mich und hopste von einem Bein auf das andere. War ich nicht gerade noch völlig entspannt gewesen? Jetzt war ich so nervös. 

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Meine Fantasie ging mit mir durch.

 

„Was war das? Wer würde jetzt in der Nacht noch herum laufen? 

Mir kam ein Gedanke. 

„Es wird doch nicht der Geist von Oma sein? Herrgott im Himmel, bitte verzeihe uns unsere Sünden“, betete ich schon vor mich hin

Wie absurd war die ganze Geschichte. 

„Was würde Oma denn jetzt wohl sagen?“

„Ach, Oma würde es verstehen. Sie wollte doch, dass Martin die Uhr bekommt. Also kann ich mich entspannen. Entspannen?“, schrie mein Innerstes. 

„Nein, wenn es nicht der Geist von Oma ist, wer ist es dann?“

 

Erneut vernahm ich ein Geräusch. Ich überlegte mich zu verstecken und lief in eine Ecke des Gartens, hinweg über Unrat, der erstaunlicherweise hier herum lag.

„Hatte Oma nur noch den Schein gewahrt? Erst jetzt sah ich, in der hinteren Ecke des Gartens, war schon lange nichts mehr getan worden. Sie war sicherlich nicht mehr in der Lage gewesen. Warum hat sie nichts gesagt? Ich hätte ihr geholfen!

 

Eine Traurigkeit überfiel mich gerade in diesem Moment. Ich riss mich zusammen und stellte ich mich unter den Kirschbaum. 

„Bleib ruhig und wartete ab. Ich sollte Martin warnen. Aber wie und wovor?“  

Wieder wurde mir unwohl. 

„Was sollte ich tun?“ Ich entschied mich, dort stehen zu bleiben. 

 

Plötzlich nahm mich dieser Gedanke ein. Er schien immer mehr Überhand in meinem Hirn zu gewinnen. Er kreiste förmlich, als wenn er mir etwas sagen möchte.

 

„Es sind nicht deine Schulden und du hast dich nicht mit den falschen Leuten eingelassen! 

Nein, ich hatte keine Schuld, sollte er doch sehen wie er fertig wird.“

 Ich überlegte zu fliehen. 

Ja, das wäre eindeutig das Beste für mich. In welche Richtung sollte ich laufen, und was könnte ich anschließend erklären?

 

Während meine Gedanken Purzelbäume schlugen, packte mich jemand am Arm. 

Gerade als ich vor lauter Schreck los schreien wollte, hielt Martin mir den Mund zu.  Erst als ich realisierte, dass er es war, entspannte ich mich.

 

„Komm, ich habe die Uhr“, flüsterte er. „Wir müssen hier weg.

 

Ich war so erleichtert. „Super ,dass hat ja prima geklappt“, flüsterte ich noch.

 

Martin nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Garten. Im Schatten der Nacht stahlen wir uns davon. 

 

„Schön, dass ich mich bedingungslos auf dich verlassen kann“,  

stellte Martin fest und lächelte mich an. 

 

„Natürlich kannst du das“, erwiderte ich und lächelte zurück.