Von Florian Ehrhardt

„Kommst du noch mit? Ich will mir kurz n Döner holen.“

Malte schüttelt den Kopf. „Ich muss noch was für die Uni machen.“

„Sicher?“ Ich ziehe ihn kurz zu mir heran, kraule mit den Fingernägeln über seinen Hinterkopf unter dem kurzen, braunen Haar.

Er küsst mich auf den Mund, entfernt sich aber schnell wieder von mir. „Unlackiert haben die sich besser angefühlt“, murmelt er.

Ich grinse seine Kritik an meinen golden lackierten Fingernägeln frech weg. „Du bist nur neidisch!“

Er zuckt die Achseln und wechselt das Thema wieder: „Naja, Bock auf Mustafa hätte ich schon, aber dann hocken wir wieder zwei Stunden vor dem Laden, trinken Çay und lassen es uns gutgehen, während meine Masterarbeit alleine daheimsitzt und heult.“

„Alles gut. Soll ich dir was mitbringen?“

„Ne, ich mach mir später nen Salat oder so. Aber dir noch viel Freude!“

Wir verabschieden uns mit einem kurzen Kuss und fahren in unterschiedliche Richtungen auf unseren Rädern davon.

 

Zum Glück sind nur drei Leute vor mir in der Schlange bei Mustafa, aber schon die brauchen gefühlt ewig für ihre Bestellungen. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, während ich warte, aber endlich stehe ich ganz vorne.

In diesem Moment fährt ein dunkler BMW vor. Parkt quer über zwei Behindertenparkplätze. Drei Typen um die Vierzig steigen aus. Der Fahrer und Anführer der Truppe hat sich seine Kippe angezündet, bevor er halb aus der Karre ist. Seine Begleiter tun es ihm gleich. Der Beifahrer hat ein Bier in der Hand. Der fette Glatzkopf auf der Rückbank braucht ein bisschen länger zum Aussteigen, er lässt dabei seine Jägermeisterflasche nicht los.

Obwohl es warm ist, ziehe ich eine Maske aus meiner Tasche und setze sie auf. Ich kann den Gestank von Zigaretten nicht leiden.

Der Anführer hat meine abschätzigen Blicke bemerkt. Er streicht über seinen rotbraunen Wikingerbart und sieht mich missgünstig an. „Keene Angst, Corona is doch vorbei!“

„Pollenallergie“, versuche ich zu begründen. Stimmt sogar, nur hatte ich heute überhaupt keine Beschwerden.

Er verdreht die Augen.

„Wollt ihr vor?“, höre ich mich murmeln. Natürlich war ich früher da. Natürlich bin ich alleine hier und meine Bestellung wäre viel schneller zu erledigen als die der Vierergruppe, aber ich möchte, dass diese Typen hier möglichst schnell fertig sind.

Der zweite Macho, ein braungebrannter Typ mit kurzen, schwarzen Haaren baut sich neben dem Anführer auf, zieht sich eine dunkle Sonnenbrille ins Gesicht und prostet mir mit seinem Bier zu. „Ne, warst ja vor uns.“

Bilde ich mir das nur ein, oder höre ich eine Bedrohung aus seiner Stimme heraus? Trotzdem gebe ich meine Bestellung auf. Spüre die Blicke der drei in meinem Rücken.

„Viel können die Dreckstürken ja nich, aber Fleisch in Brot stopfen haben sie schon drauf!“, murmelt einer von ihnen hinter mir. Klingt ziemlich betrunken. Bestimmt der Jägermeistertyp.

Ich zucke kurz zusammen, richte meinen Blick starr nach vorne. Ich will nichts von diesen Gestalten wissen. Ich habe noch nie so fasziniert einem Dönermann zugeschaut, wie er das Fleisch schneidet.

„He!“

Ich drehe mich um.

Der Anführer steht nur noch einen Meter von mir weg. Mustert mich von oben nach unten. Das Peace-Logo in Regenbogenfarben auf meinem T-Shirt fühlt sich plötzlich heiß und brennend an.

„Was?“, frage ich leise in meine Maske hinein.

„Ich hab da mal ‘ne Frage.“

„Schieß los!“, versuche ich mutig.

„Wählst du eigentlich die Grünen?“, neckt er.

Ich zucke nochmal zusammen. Klar, fast jeder Vierte in meiner Generation hat die Grünen gewählt, aber ist es bei mir so offensichtlich? Liegt es am T-Shirt? Und was möchte er überhaupt mit dieser Information anfangen? Trotzdem versuche ich mich an einer mutigen Antwort: „Klar wähle ich die Grünen.“

Er rümpft die Nase. „Pff. Nur noch AfD.“

Ich rolle die Augen und werde noch mutiger: „Passt ja. So wie Sie hier rumpöbeln.“

Er sieht mich böse an. „Rumpöbeln? So spricht man bei uns eben!“ Er spuckt neben sich auf den Boden. „Bin schließlich n richtiger Ruhrpottassi! Dortmunder Jung! Und—“

Der Dunkelhaarige unterbricht ihn: „Wir kommen nich alle von da! Ich bin Münchner. Wähle aber natürlich auch AfD. Tut jetzt aber nix zur Sache. Aber weißt du was?“ Er macht eine kurze, theatralische Pause, nimmt ein Schluck von seinem Bier.

„Was?“

„Weissu, das ist schon komisch, kaum sind die Grünen wieder an der Macht, schon bricht n großer Krieg aus. Die Amis mit ihrer Industrie freuts. Da fängt man schon an, nachzudenken, oder?“

Der kann nachdenken? Ich blicke ich ihn nur stumm an. Habe jetzt nicht die Kraft, mit einem Verschwörungstheoretiker zu diskutieren. Zucke nur die Achseln.

Auch er kommt einen Schritt näher. „Stimmt doch, oder?“

Der Dönermann rettet mich. „Den Döner mit allem?“

„Ohne Tomate bitte!“

„Mit Fleisch? Da wird sich Klein-Annalena aber ärgern!“, nörgelt der selbsternannte Ruhrpottassi. „Ach ne warte, die ist ja mit Steuern erhöhen beschäftigt.“

Ich versuche, mich nicht umzudrehen und zahle stumm. Der Typ in der Dönerbude scheint den Wunsch in meinen Augen, die Situation hier beenden zu wollen, nicht so wirklich zu erkennen. „Doch zum Mitnehmen“, presse ich mit zusammengekniffenen Zähnen hervor.

„Unrat!“ ruft der Jägermeistertyp. „Eure ganze Scheißpartei ist Unrat! Macht alles schlechter, alles teurer! Ich zahl zwei Euro für Sprit, aber Hauptsache eure scheiß Blümchen blühen!

„Und dann noch dieses rumgeschwule!“, spuckt der Münchner aus.

Der Anführer nickt anerkennend. „Für mich wär das ja nix. Diese Drecksschwuchtel.“

Ich sage nichts. Um uns herum sind bestimmt 20 andere Leute. Finden plötzlich ihre Schuhe oder die Schaufenster unfassbar interessant. Dürfen diese Arschlöcher ihren Dreck wirklich ohne Widerworte hier rumposaunen? Ich schwinge mich auf mein Fahrrad. Ein riesiger Kloß sitzt in meinem Hals. Ich will nur noch weg von hier. Kann man sich nicht mal mehr einen scheiß Döner holen?

„Im Ernst, diese Schweine, die sich Dildos in den Arsch schieben, das ist doch krank!“, ruft er mir hinterher.

Ich trete in die Pedale.

 

Malte macht mir die Tür auf. „Wolltest du nicht bei Mustafa essen?“

Ich zucke die Achseln.

„Was war?“

Ich drehe mich weg, als er versucht, mir einen Kuss auf die Wange zu geben.

„Du weißt, dass wir drüber reden können, oder?“

„Nicht so wichtig“, murmele ich. Flüchte in die Küche. Ich will ihm die Geschichte nicht erzählen. Wie sieht das denn aus? Ein Mittzwanziger, der sich von drei Intelligenzflüchtlingen vertreiben lässt? Und warum wühlt mich das so unfassbar auf? Nach drei Bissen schmeckt der Döner nicht mehr.

Malte setzt sich mir gegenüber an den Küchentisch. „Felix, jetzt sag halt.“

Ich biete ihm den restlichen Döner stumm an.

Er schüttelt den Kopf.

Der Döner wandert in die Mülltonne. Ich lege mich ins Bett.

Scheißtag.

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