Von Helga Rougui

Professor Raat kippte einen Jägermeister und blinzelte, aber der Satz war noch da. Mit roter Farbe ans Garagentor gesprüht. „Unrat live hier“ stand da auf der grauen Betonwand. Sollte das nun Englisch sein oder Deutsch? Und ging das überhaupt wieder ab? Er kippte noch einen Likör und brummelte: “ Das war bestimmt der Lohmann, dieser häßliche Mensch, dieses reiche Muttersöhnchen – der glaubt, er kann sich alles erlauben …“

 

Die staubige Straße, in der der Professor wohnte, die fade Suppe seiner Wirtschafterin zu Mittag, der Ochsenblick seiner Schüler im Unterricht, der verbrannte Käsekuchen beim sonntäglichen Nachmittagskaffee bei seinen uralten Eltern – das alles machte sein festgefahrenes Leben zu einer ewiggleichen endlosen Wiederholungsschleife.

Nur die meist plumpen Racheaktionen seiner Schüler durchbrachen diesen Trott – zu seiner Erheiterung trugen sie nicht bei.

 

Eines Tages aber wurde die Langeweile seines Daseins unterbrochen durch ein Geschenk, das ihm der Pfarrer beim wöchentlichen Honoratiorenstammtisch machte – zwei Eintrittskarten für eine Revue im örtlichen Variététheater, die durch die Lande tingelte und einiges an frivolen Wunderlichkeiten präsentierte. Aus naheliegenden Gründen konnte der Geistliche die Karten nicht für sich selbst verwenden; wie er an sie gekommen war, gab er nicht preis. Professor Raat, dem er sie unter der Hand zusteckte, fühlte ein angenehmes Prickeln in der Seele – schien er doch in den Augen des anderen den notwendigen weltmännischen und jugendlichen Schneid zu haben, der ihn für ein solches Erlebnis prädestinierte.

 

Es war ein Logenplatz mit bester Sicht auf die Bühne. Der Professor benutzte natürlich nur eine Karte, da er keine Freunde hatte, die einem solchen Abenteuer gewachsen schienen.

Er hatte sich elegant herausgeputzt: Zylinder, Frack und weißer Schal. Daß ihn eine leichte Wolke Mottenkugelodeur umgab, merkte er entweder nicht oder es war ihm gleichgültig oder Gewohnheit. Im übrigen redete er sich ein und hatte sich dem Pfarrer gegenüber in diesem Sinne geäußert, daß er sich aus rein wissenschaftlichem Interesse und zu Studienzwecken diesem Experiment hingäbe.

 

Pünktlich um acht Uhr abends begann die Vorstellung, die sich „Der Blaue-Engel –  mit Rosa Fröhlich“ nannte, und der Höhepunkt der Show war natürlich Rosa Fröhlich, angeschmachtet und bedichtet von allen Schülern und Studenten der Stadt. Der Professor wartete genau auf diesen Höhepunkt – die anderen durchaus attraktiven Nummern zogen an ihm vorbei und entfielen, kaum gesehen, seinem Gedächtnis.

Endlich schien es soweit. Die Bühne verdunkelte sich, ein einziger Scheinwerfer war auf ein Faß in der Mitte derselben gerichtet und tauchte es in helles Licht.

Eine rauchige Stimme erklang aus der Dunkelheit der Kulisse – „Ich bin …von Kopf bis Fuß … auf …Liebe … eingestellt …“ – und der Professor, ohne sie noch gesehen zu haben, fühlte, wie zum ersten Mal in seinem Leben das Blut in seine Lenden schoß und ihn ein unbändiges ganz und gar unwissenschaftliches Begehren überkam.

 

Und dann trat Marlene ins Scheinwerferlicht.

Und die Suche nach dem Anfang des Regenbogens begann.

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