Von Bernd Kleber

Die Tür geht auf und bleibt wieder zu lange offen stehen. Ich könnte losbrüllen. Spinnt der? Und dann diese Ringe, die wie der Faltenwurf einer barocken Schabracke da an seinem Leib herunterhängen. Aber ich sollte mich zu Toleranz ermahnen. Kann ja nicht jeder so dünn sein wie ich.

Ich drehe mich nach links, sehe auf die kleine Lampe. Die Imitation eines Glühfadens blendet meine Augen und lässt alles um die Lampe herum im Dunkeln verschwinden. Als ich wieder in die Runde blicke, flackern Funken in meinem Sichtfeld wie der Vorbote eines seismischen Ereignisses. Ich registriere Sturzbäche aus Schweiß an meiner Stirn, die sich abwärts mäandern. Achtung, Augen! Jetzt hilft nur Chillen.

Ich unternehme nicht viel. Bin ständig am Lernen. Mittlerweile komme ich mir auch ganz ungesellig und uncool vor. Bin irgendwie angespannt und chronisch wütend. Woran liegt das nur? Dieser eine Tag in der Woche, den ich als mein persönliches Highlight betrachte, ist dieser Tag hier in der Sauna und selbst hier bin ich wütend. Ich denke über die Rücksichtslosigkeit nach. Oder bin ich einfach nur dünnhäutig wie ein Grottenolm, weil ich aus meiner Dachwohnung kaum rauskomme? Meine Bros aus dem Kiez treffe ich kaum noch und hänge nur noch allein ab oder mit Gregor aus dem Parterre.

Und nun hier, kann ich darauf warten, dass alle anderen sich asozial benehmen. Jeder, der die Sauna benutzt, weiß doch, dass man die Tür nur ganz kurz öffnet und sofort wieder schließt. Das hier soll mich eigentlich entspannen vom Stress im Studium und nicht noch mehr aufregen. Aber auch, dass man sich mit einem Handtuch aufs Holz setzt, sollte doch bekannt sein. Und man platziert sich nicht Haut an Haut, wenn es eng wird, sondern wartet bis jemand die glühende Hitze verlässt. Mich macht das jedes Mal stinkig. Ich werde dann nachdenklich und grüblerisch dazu.

Aber c‘ est la vie. Gibt es eigentlich noch zufriedene Menschen auf dieser Welt? Meine Gedanken gehen zu diesem Krieg, angeführt von einem wütenden Präsidenten, der alle belogen hat. Er versetzt Europa in Angst und Not. Mir kommt Corona in den Sinn, das die Gesellschaft derart gespalten hat, dass einige darüber gar nicht mehr reden wollen, andere dazu mobilisiert, sich an ominösen Demonstrationen zu beteiligen und von Diktatur zu sprechen. Ganz zu schweigen von dem, der einen Tankstellenangestellten niederstach, weil dieser ihn bat, eine Maske zu tragen. Alle sind am Durchdrehen. Alles geht kaputt. Und überall Unzufriedenheit, einige reden jetzt vermehrt auch von dem Phänomen Mikroaggression, das mehr und mehr um sich greift. Ich muss auf meine eigenen Gefühle achten. Ich möchte entspannt sein.

Es reicht aber, dass mein Briefkastenschlüssel klemmt und ich könnte den von der Wand reißen. Oder wenn ich runterkomme und mein Rad einen Platten hat, ist der Tag gelaufen, ich kann nicht mehr chillen, möchte das Fahrrad zusammentreten. Neulich habe ich vergessen, das Fenster zu schließen. Als ich nach Hause kam, hatte es reingeregnet. Ich habe rumgebrüllt und den kleinen Teppichläufer aus dem Fenster gepfeffert. Hat mein Homie Gregor dann einen Zettel angeklebt: Zu verschenken!

Laura, eine Freundin, hat behauptet, dass wir in einer Übergangszeit leben, einer Epoche, in der sich alles entscheidet und Menschen (Oder waren es eher die Seelen?) sich auf ihren Weg zu einer höheren Ebene machen oder eben in die Tiefe stürzen … was immer da ist. Hölle?

Wieder geht die Tür auf, ich bin jetzt so matschig, dass ich denke, ich könnte gut von der Bank flutschen, wie auf einer Eisbahn. Eine Frau kommt rein. Riesige Narbe quer über dem Bauch. Sieht spannend aus. Was ist geschehen? Warum frage ich sie nicht einfach? Würde sie antworten oder vollkommen irritiert reagieren? Wir Menschen reden nicht mehr miteinander. Sie guckt mich an. 

„Verzeihung! Ich, sitzen … hier!“ Mit ihrer Hand wedelt sie neben mich, bedeutet mir, ich solle mich ein wenig nach links bewegen. Warum spricht sie so komisch? Bestimmt keine Deutsche. Oder?

Ich versuche es mal mit Englisch, „Excuse my inattention! Now there is space for you.“, und bewege mich etwas zur Seite.

Sie schaut mich mit geweitetem Blick an, dreht sich zur anderen Seite und sagt: „Immer diese Ausländer, früher waren wir hier unter uns und hatten unsere Ruhe! Jetzt vermiesen sie einem alles.“

Mir bleibt die Spucke weg… nicht wegen der Hitze und des Flüssigkeitsverlustes hier drin, sondern, weil ich schon wieder wütend werde.

Ich glaube, es ist diese Profilneurose, die sich auf der Erde dermaßen breit gemacht hat, dass jeder davon ausgeht, er selbst sei die Sonne und alle anderen müssten sich um ihn oder sie drehen. Was bildet die sich denn ein? Oder auf was? Soll ich sie ansprechen? Schockieren? Sollte ich!

Ich stehe auf, nehme mein Handtuch, drehe mich um, sehe die Dame mit gekniffenen Augen an: „Fuck, wissen Sie, wegen solch Unrat wie Sie, verkommt dieser Planet und findet weder Frieden noch Erholung von dem Dreck, den Sie hinterlassen, ablassen und ausspucken, Sie Rassistin! Und versuchen Sie gar nicht erst, diesen Schmutz hier in der Sauna auszuschwitzen, denn das funktioniert nicht, sondern nur Denken würde etwas an der Stimmung auf der Erde ändern! Voll verbuggt sind Sie!“

Nun bekommt sie kaum Luft, schnappt wie ein Goldfisch auf dem Trockenen. Ich gehe hinaus.

Nach dem Duschen trockne ich mich mit dem Handtuch ab, das mir eine Kommilitonin geschenkt hat. Es war zum Dank für meine Hilfe bei ihrer Hausarbeit. Ich liebe es. Weicher dicker Frotteestoff bildet einen Regenbogen, auf dem sich der Schriftzug „Pace“ findet.

Ich packe alles zusammen und gehe zum Ausgang. Die Frau an der Kasse schreit mir hinterher: „Hallo, Schlüssel, Schlüssel. Geben! Not private!“

Ich drehe mich um: „Ich habe eine Dauerkarte, hol Luft!“ Wieder diese Goldfischschnappatmung!

Ich denke sie genehmigt sich jetzt einen Underberg oder Jägermeister oder Doornkaat oder wie dieses Hochprozentige heißt, was da neben ihrem Tisch, nur halb mit der Zeitung abgedeckt, steht.

Am Fahrrad verstaue ich meinen Rucksack, den ich festgurte und schwinge mich auf mein Eselchen, um heim zu galoppieren.

Ich beschließe, in unserem kleinen Tante-Emma-Laden noch etwas zu Abend zu kaufen und schließe mein Rad an. Im Laden kommt mir die Verkäuferin entgegen und fragt: „Reis? In Ecke, you must go around!“, und dirigiert mich mit gestrafftem Arm wie damals unser Schuldirektor beim Exkursionstag. Ich platze fast, mir wird heiß.

Ich: „Danke, ich möchte keinen Reis, ich kaufe Kartoffeln und Bratwürste. Wo finde ich Sauerkraut, Brunhilde?“

Diesmal bleibt der Mund ganz offen, schließt sich gar nicht mehr, wie bei dem Goldfisch, der dann zu lange geschnappt hat. Dann gehe ich durch die Reihen und suche mir alles zusammen. 

Heute Abend wollen wir Karten spielen. Der Kurt aus dem dritten Geschoss ist verreist und mein Vater hat mich gefragt, ob ich einspringe. Skat! Das mag ich. Herbert, mein Vater, und sein Freund Erwin sind zwar eine andere Generation, aber ich finde das Kartenspiel total cool. Wenn ich Glück habe, kocht meine Mutter Griespudding mit Kirschkompott. I love it! Seit meiner Kindheit. Ich glaube, Mama ist ein wenig traurig, dass ich die kleine Wohnung im Dach genommen habe, um besser auf eigenen Wegen zu leben. Oft kommt sie hoch und bringt Leckereien oder fragt nach Wäsche. So ist sie eben. 

Als ich bezahlt habe, entschuldigt sich die Verkäuferin kleinlaut. „Man kann ja nicht ahnen, dass Sie perfekt deutsch sprechen. Wo kommen Sie denn her?“

„Ick bin Berliner und komme daher aus Deutschland, bin hier vor 22 Jahren jeborn. Icke, Icke bin Berlina, wer ma haut, den hau ick wieda… gestatten Benjiro Kalweit und tschüss!“

Die Kassenfee wird knallrot und dreht sich weg. Habe noch nie gesehen, dass jemand buchstäblich im Erdboden versinken will.

Ich verstaue nun die Kleinigkeiten und radele nach Hause.

Als ich in den Hausflur komme, steht mir Modest, der Kater aus dem Erdgeschoss, gegenüber, macht einen Riesenbuckel und faucht. Ich nehme zwei Finger und pfeife grell. Das Tier rennt weg. Die Tür zur Parterrewohnung geht auf und Gregor steckt seinen Kopf heraus. „Ah Ben, Bro! Was denn, hat Modest dich wieder geärgert? Komm rein, ich habe ein cooles Spiel. Neu! Zocken wir ´ne Runde?!“

„Digga, das Raubtier musste an die Leine legen. Ich denke immer, der will mich fressen. Das ist voll assig!“ 

Wir beide lachen und Gregor erwidert: „Na vielleicht mag der keine Schlitzaugen! Hat Angst, du willst ihn in den Kochtopf stecken.“ 

Da ist sie wieder, meine Wut. Steigt in mir hoch wie Lava, die in den Himmel eruptieren will und dann doch stagniert. Ich grinse gekünstelt. Gregor meint es nicht so, oder?! Ich gehe weiter, meine Knie zittern. „Keine Zeit, spiele Skat mit den Alten!“, presse ich noch hervor und hebe meinen Mittelfinger in die Luft.

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