Von Gerd Schmidinger

Mit rasendem Herzen blickt Ali um sich, versucht das kahle Unterholz zu durchdringen. Das Schnaufen kommt jetzt von allen Seiten. Da! Einer der Hunde hinkt langsam hinter einer dicken Buche hervor. Fast überkommt Ali ein Anflug von Mitleid. Auch dem Köter muss das irgendwie komisch vorkommen, ein Wald ohne Blätter, mitten im Sommer. Geh weiter, noch ein Stück, vielleicht lassen sie von dir ab. Verdammt noch Mal, es sind Hunde, die fressen keine Menschen. Falsch, sagt eine bösartig kichernde Stimme, sie fraßen keine Menschen, davor. Jetzt jagen sie dich durch einen toten Wald. Das Laub raschelt, wie früher, als er mit Isa… Nicht an Isa denken, nicht jetzt.  Scheisse, die Sicht verschwimmt, salzig schmecken die Tränen. Wenigstens das ist noch wie es sein sollte. Seine Lunge schmerzt. Gleich werden sie da sein. Lass es schnell gehen. Braune verschwommene Flecken, Rinde, Fell? Ein ertrinkender Schrei. Ist er das selbst?

Plötzlich etwas Hartes an der Schulter. Könnte das etwa…? Hektisch schlägt er die Tür auf. Hinter ihm ein verrücktes Kläffen. Schnell die Tür zu, sogar ein Riegel ist da.

Ali sieht sich in der Hütte um. Der halbe Boden voller Unrat: Blätter, Erde, Müll. Ein Holztisch mit sechs Stühlen. Darüber ein Regal. Was steht da drauf? Düster ist das Licht, das durch die milchigen Scheiben dringt. Ist das gar…? Ali hört, wie jemand lacht. Ja, wer wohl! Ist ja sonst niemand da, so gar niemand da, so überhaupt nie wieder jemand da. Ali kann sich die versoffene Männergruppe gut vorstellen, die die fünf Jägermeister- Shots hier stehengelassen hat. Männer, um die er eher einen Bogen gemacht hätte, damals, als alles noch selbstverständlich war. Und das hier eine Dystopie. Ali wünscht sich die Jägermeister-Männer herbei. Seinetwegen können sie fluchen und schwitzen und sogar rassistische Witze machen. Solange es nur Menschen sind!

 

Den Regen, der jetzt aufs Dach klopft, nimmt er wie ein fernes Murmeln wahr.   Es ist so, wie es ist, denkt Ali. Wir haben es zugelassen, wir wussten, dass es passieren kann. Der Mensch ist schon seltsam. Weiß so viel und kann so viel und tut nichts, um sein Leben zu retten. Außer die Hunde sind ihm direkt auf den Fersen. Ali schmunzelt. Er hat schon lange kein Kläffen mehr gehört. Auch kein Prasseln mehr.

Als er vor die Hütte tritt, überspannt ein gewaltiger Regenbogen das zerstörte Tal. Ali lacht, lacht, bis er Blut hustet.

 

 

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