Von Miklos Muhi

Der Lagebericht ist ausgezeichnet formuliert. Der optimistische Ton würde die Laune jedes Lesers heben. Das Leben ist aber kein Konjunktiv. Die Zahlen in den Tabellen auf den letzten Seiten vernichten alle Anstrengungen der Verfasser, das Ganze gut aussehen zu lassen.

 

Die Kosten sind ins Unermessliche gestiegen. Trotzdem ist er überzeugt, dass alles seine Richtigkeit hat, selbst das verursachte Leiden. Dadurch bringt man die Menschen auf den rechtschaffenen Weg, näher an Jesus, der am Kreuz gelitten hat.

 

So lautet die offizielle Version.

 

Für ihn selbst haben solche Ideologien nie eine Rolle gespielt. Zum Glück ist das bei den meisten anderes. Ob Jesus oder Allah, der Name ist nebensächlich. Verlockende Versprechen, deren Einlösung fraglich ist, stehen im Mittelpunkt.

 

Neben imaginären Freunden braucht man ähnlich gestaltete Feinde. Dann gibt es etwas, wofür und wogegen zu kämpfen gilt. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung, die keinen Raum für selbstständige Gedanken lässt.

 

Seine Handlanger haben überall auf der Welt Prominente angeworben und Ideen aufgegriffen, die die Menschen bewegen. Parteien und Organisationen im Ausland ertrinken fast im Geld, das dann im Inland fehlt. Neu geschaffene und aufgekaufte Presseorgane, sowie Bestechungen auf den höchsten Ebenen sind kostspielig.

 

All diese Marionetten bleiben mit ihrer Unterstützung jedoch in der Minderheit. Ihre erkaufte Lautstärke täuscht kaum jemanden.

 

Der Schulterschluss der restlichen Welt hat ihm einen nie dagewesenen Gesichtsverlust beschert. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist weg.

 

Die Unternehmung hat zahlreiche Schwachstellen offengelegt. Personaländerungen bringen nichts. Drohungen, selbst die, hinter denen konkrete Zerstörungskraft steckt, beeindrucken niemanden mehr. Treu geglaubte Verbündete kehren ihm den Rücken. Überall blühen Korruption, Vetternwirtschaft und Verrat.

 

Er hat schon lange vermutet, dass man ihn anlügt. Er wurde mehrfach davor gewarnt. Das hat er ignoriert. Wer würde auch nur den Versuch wagen, ihn zu täuschen?

 

Inzwischen kennt er die Antwort: Es gibt jede Menge solche Leute, getrieben von Angst und Habgier.

 

Auf seinem riesigen Schreibtisch liegt neben einer geladenen Pistole ein schwarzer Aktenkoffer. Der verfügt über Anschlüsse für Strom, Telefon und EDV-Netzwerk.

 

Er öffnet den Koffer und schließt ihn an. Sofort leuchtet das eingebaute Display, zusammen mit den Zifferknöpfen auf. Er gibt seinen Zugriffscode ein. Auf dem Bildschirm erscheint eine Landkarte mit blinkenden Punkten. Der große, rote Knopf leuchtet auf. Er legt seinen Zeigefinger behutsam darauf und streichelt ihn, das einzig gebliebene Sinnbild für seine Macht und Unbesiegbarkeit.

 

Seine Augen ruhen auf der Pistole.

 

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