Von Marianne Apfelstedt

 

Satin haftete an erhitzter, milchweißer Haut. Meiner Haut. Ich rekelte mich behaglich, noch leicht ermattet vom Sex. Das Bettlaken rutschte und entblößte meine Brustwarzen, die sich der schützenden Hülle beraubt, aufrichteten. Warme Männerhände zogen mich an den Hüften zu sich, wanderten einen Weg suchend umher. Wie ein Löffel presste er sich an mich. Hitze loderte an den Kontaktstellen auf. Ermattung wandelte sich in Verlangen beim Erwachen meiner Libido. Knabbernd erkundete er Nacken und Schulter. Zur Antwort drückte ich meine Kehrseite fordernd an ihn. Seine Fingerspitzen fanden ein neues Ziel, meine feuchte Mitte. Ich erbebte hemmungslos. Ein unmenschliches Zirpen entströmte mir und ich grub die Finger in das Laken. Lust steigerte sich grenzenlos. Energisch schob ich ihn weg. Seine Augen blickten begehrlich, hafteten an meinen Händen, die Bauch und Brüste streichelten. Stöhnend verfolgte er jede Bewegung. Ich zog ihn über mich und er drang ein, tief und tiefer. Nach kurzer Zeit rollte er von mir. Sein gleichmäßiger Atem strömte herüber und trug mich davon. Am Rand des Bewusstseins spürte ich ihr blinzelndes Auge. Trotzdem gab ich mich der ermattenden Schwere hin und bemerkte nicht, wie der Schleier zwischen uns wieder Risse bekam.
Ein Bild, eingebrannt und versteckt im hintersten Schmerzenswinkel, flammte auf. Winzig kleine Hände, der Körper wie aus Carrara-Marmor und genauso kalt. Absolut perfekt, doch nicht zum Leben geboren. Der Schmerz verebbte, als sie zu mir kam und einen Ausweg fand. Eine neue Chance mit jedem Samen.

 

Ich öffnete die Augen. Sein Kopf lag auf dem Kissen, ganz arglos. Ist er doch der Richtige? Ein weiterer Versuch? Sein Duft füllte meine Nase, weckte sie unumstößlich. „Er ist nicht kompatibel“, dröhnte ihre Stimme in meinem Kopf. Sie setzte sich auf, drängte mich beiseite. Die Decke glitt hinunter, spielerisch fuhr unsere Linke über die Brust, umkreiste die Spitze. Konnte ich ihn warnen? „Kein Laut“, gebot sie. Ich presste die trockenen Lippen zusammen. Suchend wanderte ihre Hand unter das Bett, fand die Handtasche, die dort lag und wurde fündig. Kalter Stahl schmiegte sich in ihre Handfläche. Mit der Klingenspitze fuhr sie die Innenseite des Handgelenks entlang und ich verlor die Kontrolle gänzlich. Ihre Zunge strich über die metallische Spur. Wie eine Kobra richtete sie sich auf. Sein Kopf lag auf dem Kissen und die Klinge fand ihr Ziel.

 

***

 

Rudi hörte das vertraute Hupen vor dem Haus und fuhr sich rasch mit dem Kamm durch das feuchte Haar. Zander war wieder einmal gefahren wie der Teufel. Im Gang schnappte er sich seine Jacke, Schlüssel und das Handy. Sein grummelnder Magen erinnerte ihn an das verpasste Frühstück.
„Morgen.“ Rudi ließ sich auf den Beifahrersitz des Audi fallen. Die Tür war nicht ganz zu, da startete Zander bereits den Motor.
„Morgen, Rudi. Ich dachte mir, du brauchst Koffein, um wach zu werden. In dem Becher ist ein doppelter Espresso.“ Rudi nahm mit spitzen Fingern den rosa Bambusbecher aus der Mittelkonsole und schnüffelte am Inhalt.
„Das ist der Kaffeebecher von Susanne.“ Zander, der Morgenmensch, grinste munter. Rudi nahm einen großen Schluck, sofort wärmte das schwarze Gebräu seinen Magen und die Lebensgeister erwachten.
„Danke. So früh morgens den Tag im Leichenschauhaus zu beginnen, ist nicht der beste Start in den Tag.“
„Finde ich auch. Auf dem Rücksitz liegt eine Papiertüte, da ist Frühstück drin.“
„Auf dich ist Verlass.“ Rudi angelte sich die Tüte und biss genussvoll in das knusprige Brötchen mit Käsebelag. „Wie kommst du um 5:00 Uhr an frisch belegte Semmeln?“
„Susannes jüngster Bruder arbeitet in einer Bäckerei, da habe ich Beziehungen. Du kannst die Zweite auch essen, ich habe auf dem Weg zu dir schon gefrühstückt.“ Das ließ sich Rudi nicht zweimal sagen, er spülte den letzten Bissen mit dem Rest des kalten Espresso hinunter und genoss das wohlige Gefühl seines gefüllten Magens.
„Wie war deine Verabredung gestern Abend?“, fragte Zander beim Stopp an der nächsten Ampel.
„Die neue Bar in Pasing war genau mein Geschmack. Die haben eine riesige Auswahl an Gin. Sehr exklusiv.“
„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Wie war dein Date?“
„Schlichtweg langweilig. Sie ließ mich erzählen, ohne selber etwas von sich preiszugeben und bekam nach 30 Minuten einen Anruf. Worauf sie dringend wegmusste. Eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Komm doch mal mit in diese Bar, dann machen wir einen Männerabend, oder lässt dich deine Susi nicht mehr auf die Piste?“
„Quatsch. An Pfingsten fährt sie mit ihren Mädels zum Wellnesswochenende, das wäre eine gute Gelegenheit für einen Männerabend.“
„Gebongt. Hast du Infos zu unserem neuen Fall?“
„Eine männliche Leiche wurde blutüberströmt im Saladin gefunden.“
„Ist das nicht das Stundenhotel in Pasing?“
„Korrekt. Erwin Moser wurde vom Nachtportier entdeckt. Er hatte das Zimmer bis Mitternacht gebucht. Der Portier rief um halb eins an. Als niemand abnahm, ging er nach oben, um nachzusehen. Auf sein Klopfen bekam er keine Antwort, deshalb hat er die Tür geöffnet und den Raum betreten und dort die Leiche gefunden. Es ist nicht bekannt, wer bei ihm im Zimmer war. Die Spurensicherung ist noch vor Ort.“
„Wer war zuerst am Tatort?“
„Ein Polizeikommissar Sebastian Brunner. Bei der Leiche wurde mitten auf der Brust ein gezeichnetes Auge entdeckt.“
„Könnte es mit unserem Fall von Silvester zusammenhängen?“
„Das ist möglich. Mal sehen, ob der Bericht schon fertig ist. Vielleicht hat Dr. Kerner ja etwas herausgefunden.“ Zander parkte den Audi direkt neben dem Eingang des rechtsmedizinischen Instituts in der Nussbaumstraße.

„Guten Morgen. Was haben Sie für uns, Doc?“, erkundigte sich Rudi, als sie Dr. Kerner im Sektionsraum drei antrafen.
„Guten Morgen. Eine männliche Leiche, 1,80 groß, Gewicht 85 kg, 43 Jahre alt. Todesursache: Die Kehle wurde mit einem scharfen Gegenstand durchtrennt. Fingerabdrücke habe ich einige gefunden. Die forensische Radiologie macht noch ein CT, dann ist eine genauere Aussage bezüglich der Tatwaffe möglich. Aktuell kann ich nur sagen, dass die Klinge scharf war. Den ausführlichen Bericht bekommen Sie per Mail. Ich muss mir jetzt eine weitere Leiche ansehen, bevor ich nach Hause kann. Haben Sie noch Fragen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er den Gang entlang, also liefen Zander und Rudi ihm hinterher.
„Hatte Erwin Moser in seinen letzten Stunden Sex?“
„Ziemlich sicher. Das können Sie dann morgen im Bericht nachlesen. Auf mich wartet jetzt Sektionssaal zwei. Servus, die Herren.“

 

***

 

Aus den Ecken erklingt Lounge-Musik. Die Buddha-Statue am Ende der Theke scheint ihr zuzuzwinkern. Entspannt lehnt sie sich an das Lederpolster. Im Schummerlicht lauert sie wie ein Krokodil im Flussbett auf Beute. Nur die Augen, poliertem Obsidian gleich, glänzen. Von hier aus hat sie freie Sicht auf den Eingangsbereich und den Bartresen. Um diese Zeit verweilen nur wenige im dämmrigen Inkognito. Sie führt den gläsernen Trinkhalm an die Satin-Rouge-Lippen und kostet den fruchtigen Cocktail. Herber Wermut umspült von Kokosnuss. Ihre Fingerkuppe fängt einen Tropfen auf, der außen am Glas entlang rinnt. Sie tupft den Zeigefinger auf die rote Serviette. Ihr Finger hinterlässt einen Ring, rot wie Blut.

Weitere Gäste betreten die Bar, ordern am erleuchteten Ausschank ihre Drinks. Verborgen im Schatten ihrer Nische sammelt sie die Details. Mittelgroß, traurige, graue Augen. Der wurde wohl abserviert. Kleiner Bierbauch, wischt sich immer wieder die feuchten Hände an der Hose ab. Seine Augen kleben an den Labels der Barflaschen. Rückfälliger Alkoholiker? Athletischer Körper mit knackigem Hintern, steht breitbeinig an der Theke. Er optimiert sein Lächeln im Spiegel über der Bartheke. Ausdauernder Liebhaber, oder Fake? Zusammen mit einem kleinen Blonden hat er die Bar betreten. Der Kleine hört aufmerksam dem Redefluss des Athleten zu. Er sieht sich um, während er seinem Kumpel antwortet. Ein Blick aus blauen Augen kreuzt sich mit ihrem. Ein strahlendes Lächeln huscht über sein Gesicht und vertieft die Fältchen an den Augenwinkeln. Sinnliche Lippen. Er dreht sich wieder zum Tresen und winkt den Barkeeper herbei.
„Jetzt werde ich ein neues Männchen auswählen“, flüstert sie und ihre Zunge fährt genießerisch über die roten Lippen.

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