Von Irmi Feldman

Dorothea Puente: Death House Landlady

>>>Monterey Courthouse, Monterey County, California, USA, 1993. Eine Reporterin besucht Mrs. Dorothea Puente kurz nach deren Verurteilung in ihrer Zelle.<<<

My dear, wie schön, dass Sie mich besuchen, bevor ich ins Frauengefängnis nach Chowchilla verlegt werde. Ich bin noch ganz verwirrt. Das Urteil. Die Geschworenen. Die Fotografen. Ach, du meine Güte, die vielen Leute. Wie ist es nur soweit gekommen? Ich habe diese Menschen nicht ermordet. Ich bin unschuldig, my dear. Schauen Sie mich doch nur an. Glauben Sie wirklich, dass ich arme, gottesfürchtige Frau so unaussprechliche Dinge tun könnte? Ich bin unschuldig. Die Leute sagen, dass ich eine gespaltene Persönlichkeit habe. Ich weiss nicht einmal, was das heisst.

Klar weiss ich, was das heisst! Verrückt, heisst das! Ich hab die alle abgemurckst! Warum auch nicht? Die waren nutzlose Losers! Niemand hat die vermisst. Niemand hat nach denen gefragt. Ich hab die aufgenommen. Hab ihnen Unterkunft und Verpflegung gegeben. Und das kostet Geld. So einfach ist das. Nichts gibts umsonst!

Aber warum sollte ich denn meine lieben Mieter ermorden? Die sind doch alle eines natürlichen Todes gestorben. Ich habe meinen Mietern nur geholfen. Ich habe sie von der Straße geholt und sie in meiner Pension aufgenommen. 

Diese Trunkenbolde wären sowieso auf der Straße verreckt. Was soll das Getue?

Die Leute sagen, ich hätte meine lieben Mieter – Gott habe sie selig – unter Drogen gesetzt, und dann mit einem Kissen erstickt, in Bettlaken gewickelt und die Treppe hinuntergeschleift. Wie schrecklich! Schauen Sie mich doch an! Ich kann nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun. Sie die Treppe runterzerren? Wie denn, frage ich Sie? Dazu bin ich viel zu schwach. Ich bin unschuldig, my dear. Sieben Leute haben sie in meinem Hinterhof gefunden. Ich weiß nicht, wie die dorthin gekommen sind.

Natürlich weiß ich, wie die da hingekommen sind. Hab sie doch selber eingegraben. Ich hab ihnen billigen Wein mit Schlafmitteln gemischt gegeben. Das Kissen aufs Gesicht zu drücken, war einfach. Die haben sich nicht mal gewehrt. Ich hab Ex-Sträflinge angeheuert, um die Löcher im Hinterhof zu graben. Sträflinge sind die besten für solche Arbeiten, denn die stellen keine dummen Fragen.

Die Leute sagen, dass ich meine Mieter ermordet habe, um ihre Social Security Checks einzulösen. Es ist wahr, my dear, ich habe meinen Mietern bei der Beantragung für Social Security Benefits geholfen. Aber warum sollte ich ihre Schecks stehlen? Ich hab mir nur genommen, was mir zustand für Verpflegung und Unterkunft, aber das ist alles.

Ha! Fürs Scheck stehlen war ich bekannt. Ich war sogar schon mal im Knast dafür.

Ich bin eine respektable Bürgerin von Sacramento, my dear. Glauben Sie mir.

Respektable Bürgerin? Dass ich nicht lache! Die grauen Haare, die Oma-Brille, die Alt-Weiber-Kleider. Das war doch alles nur Schau. Damit hab ich mich als ehrbare Bürgerin etabliert und konnte die Pension betreiben, obwohl der Richter mir aufgetragen hatte, mich von älteren Menschen und deren Social Security Checks fernzuhalten. 

My dear, die Leute sagen, dass ich eine schwere Kindheit hatte. Dass meine Eltern Alkoholiker waren; dass ich missbraucht wurde, aber das stimmt ja alles nicht. Mom und Dad waren gute Menschen. Gelegentlich haben sie vielleicht ein bisschen zuviel getrunken.

Ausgesprochene Säufer waren die. Jeden Tag besoffen. Vor allem Dad. Er verdrosch uns jeden Tag. Und jeden Tag hat er uns Kindern gedroht, dass er sich vor uns umbringen wird. Gemacht hat er es allerdings nie.

Dad war manchmal vielleicht ein bisschen impulsiv, das stimmt, aber er war ein guter Mann. Und Mom war auch gut. Sie war eine gute Frau, obwohl viele Leute sagen, dass sie eine Prostituierte war. Nun, manche Leute sind eben so. Meine Ehemänner, z. B. waren auch nicht immer gute Ehemänner. Einer verließ mich sogar schon eine Woche nach der Hochzeit.

Männer sind schlecht. Alle. Dumm sind sie auch. Glauben alles, was Du ihnen vorgaukelst. Da war dieser Kerl, Everson Gillmouth, aus Oregon. Der Rentner. Mit dem hab ich ein Techtelmechtel angefangen, als ich noch im Knast war. Mit Schreiben und so. Und dann hat er mich vom Sacramento County Jail mit seinem roten Pick-Up-Truck abgeholt. Ein Narr war der, glaubte tatsächlich, dass ich in ihn verliebt sei. Männer glauben ja alles.

Everson Gillmouth. Ja, der liebe Everson. Er war in mich verliebt. Sie sagen, dass ich auch Everson ermordet habe. Das stimmt aber nicht. Wir wollten heiraten. Und plötzlich war er verschwunden. Vielleicht hat er ja kalte Füße gekriegt? Sowas kommt ja vor. Aber ich hab nichts mit der Leiche in der Kiste zu tun. Was kann ich dafür, dass die Kiste so aussah wie die, die Ismael für meine Bücher gezimmert hatte?

Ismael Florez. Den hab ich auch angeheuert. Als Bezahlung für seine Arbeit hab ich ihm Gilmouths Pick-Up-Truck gegeben. Gilmouth hat ihn ja zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr gebraucht! Hab Ismael gesagt, dass ich Holzvertäfelung im Haus brauch. Dann hab ich aber auch noch eine 6 mal 3 mal 2 Fuß große Kiste bei ihm bestellt. Hab ihm gesagt, dass ich Bücher und so Zeugs einlagern will. Als die Kiste fertig war, hab ich Ismael weggeschickt; hab ihm gesagt, dass er am nächsten Tag wiederkommen soll.

Dann hab ich die Kiste gefüllt und zugenagelt. Am nächsten Tag haben wir die Kiste auf den Pick-Up-Truck geladen, um zum Lagerhaus zu bringen. Aber unterwegs hab ich es mir anders überlegt. Und wir haben die Kiste beim Garden Highway auf der illegalen Müllhalde runtergeschmissen.

My dear, glauben Sie mir. Das war alles ein Mißverständnis. Der schlimmste Tag war aber, als die Polizei anfing meinen Hinterhof umzugraben. Es war schrecklich. Meine schönen Blumen. Meine Calla Lillies. Alles zerstört. Und dann fanden sie die Leichen, es waren sieben. Wer hat all diese Menschen in meinem Hinterhof vergraben?  

Ich, ich hab die Losers in die Löcher geworfen und die Löcher zugeschüttet. War harte Arbeit. Schließlich bin ich ja auch nicht mehr die Jüngste. Aber ich war immer vorsichtig. Immer schön leise. Diese verdammten Nachbarn! Wenn die sich nicht bei der Polizei beschwert hätten!

My dear, ich war so durcheinander, aber der Detektiv war sehr verständnisvoll. Ich fragte ihn, ob ich im Hotel nebenan eine Tasse Kaffee trinken könnte. Er ließ mich gehen. Sehen Sie, my dear, ich war keine Verdächtige. Sonst hätte er mich doch gar nicht weggehen lassen. Aber so genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ist alles so verschwommen. Später haben die mich in Los Angeles verhaftet. Ich weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin.

Hab ich’s nicht gesagt? Männer sind dumm. Ganz besonders dieser Inspektor. Dem hab ich die verstörte Frau vorgespielt, und da lässt der mich doch glatt zum Kaffee trinken gehen. Natürlich hab ich mich verduftet. Mit dem Bus hab ich mich nach Los Angeles abgesetzt. Aber gefunden haben die mich trotzdem, weil dieser Kerl, den ich in einer Bar in L.A. kennengelernt hab, mich verpfiffen hat. Männer sind alle schlecht und dumm!

Die Leute sagen, ich sei eine pathologische Lügnerin. Ich frage Sie, my dear, bin ich das wirklich?

Nun! Sie zögern! My dear! Sie glauben mir nicht. Ich sehe es an Ihren Augen. Sie fragen sich, wer von uns diese Morde begangen hat? 

Die Leute sagen, ich hätte eine gespaltene Persönlichkeit. Sie fragen sich nun, wieviele Mrs. Puente es denn gibt? Drei? Vier?

Sie sind sich nicht sicher, my dear.  

Nun, vielleicht gibt es gar nicht zwei oder drei oder vier von mir. Vielleicht war es immer nur die eine, die cleverste, die alle hinters Licht geführt hat. Alle. 

Sie sehen ja plötzlich so blaß aus, my dear. Geht es Ihnen nicht gut? Legen Sie sich doch hier auf diese Liege. Das wird Ihnen guttun. Hier, nehmen Sie meine Jacke als Kissen. …

… Lassen Sie mich mit dem Kissen helfen! Mit dem Kissen hier. So, so ist es gut! …

>>>Dorothea Helen Puente, angeklagt wegen Mordes begangen zwischen 1982 und 1988 an neun ihrer Untermieter, wurde zu lebenslanger Haft ohne Bewährung für nur drei der Morde verurteilt, weil die Geschworenen sich in den anderen sechs Fällen nicht einigen konnten. Sie starb am 27. März 2011 im Alter von 82 Jahren im Frauengefängnis von Chowchilla, Kalifornien, eines natürlichen Todes.<<<

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