Von Christian Günther

 

Das Trommeln mit dem Handschuh auf dem Lenkrad geht mir auf den Wecker. Ich bin angespannt, obwohl ich den leichteren Part habe. Der Tacho steht auf null, aber der Motor ist an. Startbereit, um sofort loszufahren. Die Hand auf der Hupe, falls jemand kommt. Obwohl ich nur sitze, treibt es mir den Schweiß auf die Stirn. Es ist warm unter der Sturmhaube. Gesicht zu zeigen, ist in unserem Metier nicht angesagt, und die Karre geklaut. Wie kann man in Bayern nur auf die Idee kommen, mit einem Stern auf der Haube herumzufahren?

Für den schwereren Part sind Lisa und Schorsch zuständig. Der Schorsch ist ein früherer Schulkollege, die Lisa hab ich durch ihn kennen gelernt. Ab und an drehen wir zusammen Dinge, so wirklich „richtige“ Arbeit liegt uns nicht.

Schorsch war aufgefallen, dass hier etwas zu holen war. Der alte Betreiber der Tankstelle in dem kleinen Ort besaß kein Lesegerät für Karten und brachte die Einnahmen stets freitags auf die Bank.

Ein Leichtsinn, den wir nun ausnutzen wollen. Es ist ein trüber Donnerstagabend im Frühling, aber noch hell. Der Berufsverkehr ist durch, es fahren nur vereinzelt Autos vorbei. Sie nehmen keine Notiz von dem, was passiert. Schorsch hatte das Aufkommen eine Zeit lang ausgekundschaftet, bevor wir heute zur Tat schritten. Wie viel Geld würde wohl dabei herausspringen?

Ein Schuss reißt mich unmittelbar aus den Gedanken an die Kohle heraus. Was ist passiert? Ich blicke zum Kassenraum, das Glas spiegelt zu sehr. Was soll ich tun? Warten oder nachsehen, was passiert ist, bei Bedarf helfen? Hat jemand den Schuss gehört? Die nächsten Häuser sind hundert Meter entfernt und zuletzt ist vor zehn Sekunden ein 3er-BMW Touring mit Wohnanhänger und gelbem Kennzeichen vorbeigefahren. Der BMW wär ein Auto gewesen, Lisa!

Da stürmt Schorsch aus dem Laden und öffnet die Beifahrertür. »Los, weg, Flori.« Er setzt sich und sieht herüber, eine gefüllte Tüte in den Fußraum legend. »Wos is, warum fahrst ned?«

»Wo is’n die Lisa?«, will ich wissen.

»Ah gä, die, kümmer di ned drum! Die hat sich übertölpeln lassen vom alten Senior. Geschieht ihr recht, wenns die Bullen einkassiern.«

»Des is ned dei Ernst? Des is dei Freundin.«

»Nur guat fürs Betterl. Fahrst jetzt, Flori?«

»Sie kennt uns, oder hat’s sie erwischt?«

»Na, sie lebt noch, aber die verrät nix.«

»Bist du dir da sicher, Schorsch?«

»Sag amoi, fahrst jetzt? ’s pressiert! Sonst steig aussi.«

Lisa zurücklassen? Ich öffne Gurt und Tür. »Guat, dann steig i aussi.«

»A Zug’reiste, des taugt halt nix«, sagt er, klettert auf den Fahrersitz und braust davon.

Ich renne zum Laden. Nur guat fürs Betterl, also echt, Schorsch! Klar schaut sie hübsch aus, aber sie hat einiges auf dem Kasten, obwohl sie eine gleiche Karriere wie wir hingelegt hat.

»Lisa?«, rufe ich an der Tür, als ich ihr Stöhnen höre. Natürlich hab ich schon früher an sie gedacht, manchmal möchte ich schon mit dir … was ist mit dir passiert? Hat es dich getroffen? Kam der Schuss vom Senior, und nicht von uns? Wo ist der überhaupt?

Da seh ich beide hinter der Kasse. Sie liegt bäuchlings unter ihm und versucht verzweifelt, sich zu befreien. Doch der Mann ist deutlich schwerer als sie, aus einer Wunde in seinem Rücken blutet es heftig. Regungslos wie ein Felsbrocken liegt er auf ihr, die Befreiung gleicht einem aussichtslosen Unterfangen.

»Lisa?« Ich greife den Hosenbund des Mannes und ziehe ihn mit einem heftigen Ruck zur Seite, er rollt auf den Rücken. »Der ist tot!« Das hätte nicht passieren dürfen für geschätzt ein paar tausend Euro. Bisher war es bei unseren Aktivitäten bei kleinen Verletzungen geblieben, wenn überhaupt jemand zu Schaden kam.

Sie dreht sich und sieht erstaunt zu mir hoch. »Florian? Wo ist der Schorsch?«

»Abg’haut.«

»So ein Depp!« Lisa richtet sich auf.

»Wos is passiert?«

»Der hat mich angegriffen, der Besitzer. Mit einem Baseballschläger! Hab meine Pistole fallen lassen, da hat Schorsch geschossen. Hatte mich grad umgedreht, da fällt der Alte auf mich drauf.« Sie hebt ihre Waffe vom Boden auf. »Ich wollt nur Platzpatronen, Schorsch hat sich nicht daran gehalten. Mist!« Die Waffe landet wieder auf dem Boden. »Der hat die ausgetauscht. Schorsch, das ist seine! Nun sieht es so aus, als ob ich … wir müssen weg hier, und zwar schleunigst!«

»Erst amoi weg von der Straße«, beschließe ich, denn Lisa wirkt durch die Situation geschockt, kann keinen klaren Gedanken fassen, wirkt wie abwesend. Wie ihr leichtes, verunsichertes Nicken zeigt. Sie beginnt zu zittern, als sie die Pistole wieder aufhebt.

Ich ziehe Lisa aus dem Laden zur unmittelbar angrenzenden Seitenstraße. Dort nehmen wir die Masken ab und ziehen die Handschuhe aus, verstecken alles in den Innentaschen unserer Jacken. Die Waffe klemmt sich Lisa vorne zwischen Jeans und T-Shirt.

Auf die Umgebung achten wir nicht.

»Da hat der mich …« Sie schüttelt den Kopf, während ich sie nicht aus den Augen lasse. Es nicht kann, merkt sie das? Zum Glück stehen keine Laternen im Weg, vor die ich laufen könnte. »Danke, dass du mich nicht im Stich gelassen hast. Ich bin wegen Mord dran! Wer würde mir schon glauben bei der Sachlage und mit meinen vielen Vorstrafen?«

»Ich tu es.« Etwas Besseres als diese Worte fallen mir nicht ein.

»Das glaub ich dir gerne.« Ein Grinsen in ihrem Gesicht, sie ist wieder ruhiger. »Frauen merken das. Ich hab es gemerkt.« Sie tätschelt meinen Arm, als wir eine Kreuzung aus kleinen Straßen erreichen. Wie mein Gesicht grad ausschaut, möchte ich lieber nicht wissen. »Wo geht es lang, Florian?«

»Zu Fuß ham mia nur die enge Schlucht oder durch die Berge. Da brauchst aber Bergschuah, anders geht des ned, sonst brech ma uns de Haxen.«

Sie bleibt stehen und nimmt mich in den Arm, die Gesichter kommen sich nahe. »Die Hauptsache ist, wir sind zusammen. So schaffen wir das! Hab öfter drüber nachgedacht, ob Schorsch der Richtige ist. Im Internet auf dem Bild sah er fesch aus, aber nur mit krummen Dingern über Wasser halten? Kinderwunsch unerfüllt«, sie stößt einmal mit ihrem Unterleib vor meinen, »oder er erfüllt sich doch noch, hmm? Ob wir mit unseren Führungszeugnissen was Anständiges kriegen?«

»Jo, freilich.« Ich hatte in der Schule hochdeutsch gelernt, so war es nicht. »Ei’n Versuch wär’s wert.« Ihre Anwesenheit und die neue Situation machen sich bemerkbar: »Ja, ein Wagen … wär … naaatürlich besser. Also, besser als zu Fuß. Die … die werden das Gebiet, werden es absuchen. Gründlich. Wir dürfen uns nicht … nicht allzu lange hier, also, hier in der Nähe aufhalten.«

»Autoknacken hab ich gelernt, eine meiner vielen Vorstrafen«, versichert sie mir, bevor sich unsere Lippen berühren. »Nur nicht von neuen Autos, eher von fahrenden Ersatzteillagern und mit wertvollen Katalysatoren«, meint sie anschließend freudestrahlend. »Wir tun einfach so, als seien wir ein Pärchen. Gute Idee, oder? So kommen wir unauffällig weg hier. Vergessen diese Sache und fangen neu an. Was meinste?«

»Klingt gut.« Ich deutete nach rechts. »Hier sind mehr Häuser, hier parken mehr Wagen.«

»Dann komm.« Nun ist sie es, die mich zieht. »Ob schon jemand den Senior gefunden hat? Wie viel Zeit haben wir?«

»Des woaß i ned, weiß nicht.«

»Du, da parkt ein alter Fiesta aus den späten 80ern«, weist sie auf ihn hin. »Den nehmen wir, der ist unser Ticket für Freiheit und Neuanfang! Du bist doch kein Dummer und kannst es zu was bringen. Hmm, was meinste?«

 

Zwei Minuten später nähern wir uns wieder der Kreuzung bei der Tankstelle. Inzwischen steht dort ein Jeep und wir hören Blaulicht. Es kommt von links, wir sehen es auf der langen Geraden kommen. Ist sicher auf dem Weg zu unserem Tatort.

»Also rechts«, beschließt Fahrerin Lisa spontan.

»Ist kürzer bis zu den nächsten Abzweigungen«, stimme ich zu. »Wenn der von dort kommt, folgen sicher weitere.«

Sie gibt ordentlich Gas. »Ob der uns gesehen hat?«

»Wer? Der Polizeiwagen?«

»Nein, den Kunden mein ich.«

»Hab nicht drauf geachtet«, muss ich zugeben.

»Kam der, als wir flüchteten?«

»Für eine Beschreibung könnt’s dann reichen.«

»… und die Waffe hab ich bei mir.«

»Wirf sie doch weg, Lisa?«

»Da sind jetzt meine Abdrücke drauf.«

»… aber wir haben keine Beute.«

»… aber eben die Tatwaffe«, seufzt sie.

 

Eine Minute später ist die Straße polizeilich gesperrt.

»Das war es mit Freiheit«, seufzt Lisa.

»Nein, brems, dreh«, rate ich ihr.

»Das fällt auf, zu hastig, zu schnell.«

»Quatsch, du schaffst das, Lisa!«

»Das bringt nichts mehr.«

»Es bringt immer was.«

»Neuanfang, schöner Traum.«

Wieso verzögert sie nicht? Was hat sie vor?

»Wir sind zusammen, Florian«, sagt Lisa und lenkt auf die Gegenfahrbahn zur Felswand hin, reißt das Steuer jedoch ruckartig wieder nach rechts. Das Brett zwischen kniehohen Betonklötzen auf der anderen Fahrbahnseite gibt wie ein Streichholz nach. Lisa umklammert das Lenkrad regelrecht, dass ihre Arme zittern, und schließt die Augen.

Als sich die Motorhaube im Fluge senkt, sehe ich in die Schlucht. Hundert Meter tief, oder hundertfünfzig? Nur Felsen und das Wasser eines Baches. »Lisaaaaaaaaaaaaaaaah.«

Schorsch kommt gut weg bei der Sache! Wir sind die Einzigen, die ihn sicher belasten können.

Hätte einer von uns, Lisa oder ich, früher einen ersten Schritt wagen sollen? Ein neuer Anfang statt diesem Abgang, oder war es so doch besser?

 

* * *

 

»Zwischen Felswänden hindurch, ganz obi freier Fall, auf blanken Fels direkt neben’s Bacherl, bis hinter die B-Säule z’ammquetscht. Du, hier tropft Bluat aussi.«

»Bei mir ebenso. Der Arme, der diesen Abschaum zwischen Blech, Metall und Plastik herauskratzen muss.«

»Sollten’s Bluat in ei’m Glaserl auffangen und in dem mit deren Resten mischen, Schild drauf: Hackfleisch mit Tomatensoße.«

Die beiden lachen schallend.

»Geschieht ihnen aber recht, da hab ich kein Mitleid. Den alten Betreiber einfach hinterrücks abknallen, für ein paar Euro aus der Kasse! Tote können keinen Tresor öffnen.«

»Eigentlich könnten’s des Pack doch hier verrotten lassen, findst ned? Dann müssten mia ned in Schichten absichern, bis die Großkopferten oan Weg g’funden ham, wie’s des Wrackerl bergen. So a enormer Aufwand, für die zwoa Arschlöcher.« Er spuckt neben das Wrack.

 

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