Von Clara Sinn

Ich spreche das „Los!“ sachlich und eher leise, es ist keine Aufregung nötig. Bei meinem Vergeltungsschlag.

Es ist das lange Himmelfahrts-Wochenende im Mai, seine beiden Kinder sind da, die Tochter mit dem gesamten Anhang, jährliches Familientreff-Ritual im Waldhäuschen.

Der Sohn über eine Geo gebeugt in der Küche, seine Schwester im Schlafzimmer mit dem Kleinen beschäftigt. Schwiegervater und Schwiegersohn im Nebenzimmer vor dem Fernseher. Den Vierjährigen können wir nicht ausmachen, aber er ist auch egal, er stellt keine Gefahr dar beim Blitzstürmen und Fesseln der Erwachsenen im Wohnzimmer.

Drei meiner Jungs schicke ich schon mal zum Tresor in den Weinkeller, Joey soll die Kinder vor die Glotze setzen und fernhalten.

„Ich bin gekommen, den Schmuck von Tante Lindi zu holen, den du mir versprochen hast.“ Bevor es schmutzig wurde, ergänzt es in meinem Geiste, als er meine Gedanken unterbricht: „Das mache ich nicht.“ Ich erkenne ihn wieder, seine Eigenart, stets in vollständigen Sätzen zu antworten. Ich hebe den rechten Arm. Der Schuss aus dem Gewehr in meinem Mantelärmel streckt den Sohn nieder.

Als erste fasst sich die Tochter, sie liebt ihren Bruder seit jeher auf ungewöhnlich innige Weise, aber ihre Söhne noch mehr: „Alles! Nimm alles, auch die Steine …“ Ich nicke und grummele ein „Die Firma dankt“. Der Ehemann zieht, wortlos wie immer, sein verächtliches Gesicht, das ich noch nie leiden konnte. Ich hebe den linken Arm. Der präparierte Zug erledigt ihn auf der Stelle.

Mein Ex wütet los, er neigte noch nie zu übertriebenem Schock, droht mich zu kriegen. Mit Hilfe der Polizei nehme ich an, er glaubt tatsächlich, mir ginge es um Geld und Anteil. Als Reaktion trifft es die Tochter. Mit links.

Er verstummt für einen Nu, dann gibt es kein Halten mehr, das menschenelendigste Geheul bricht aus ihm heraus, ich habe ihn. Wo ich ihn immer haben wollte. Ganz. In der Hand, vollends ausgeliefert. Meiner Willkür des Moments.

Die Jungs kommen kurz rein, sich zu verabschieden, wie sie alles unter sich aufteilen, was sie für sich planen, ist nicht mein Bier.

Mein knallharter Ex fleht um sein Leben. Vielleicht wirklich der Enkel wegen. Er schätzt mich nicht richtig ein, ich werde die Patentante rufen. Per zeitverzögert vorbereiteter Mail.

Wie lang hab ich davon geträumt, diesem unerbittlichen Widerstandsbolzen die Finger einzeln abzuhacken, „Bereust du’s, dass du mich nicht ausbezahlt hast?“, zack, der rechte kleine Finger. „Na, bereust du es jetzt?“, zack, der linke. So weiter bis die Ohnmacht endgültig einsetzt.

Eine unergründlich tiefe Zufriedenheit erfasst mich auf einmal: Mein Werk.

Ich lasse mich von diesem unendlich wohligen Gefühl nur allzu gerne überfluten …