Von Martin Fiß
Na, bist du jetzt zufrieden? Ich knie vor dir nieder, wie du es dir so oft gewünscht hast. Aber irgendwie dann doch anders, als du dachtest. Endlich hältst du deine Klappe. Liegst vor mir, direkt neben unserem Spiegelschrank und suppst den ganzen Teppich voll. Hätte nie gedacht, dass ich deine Stirn so präzise treffen würde. Das ist wirklich eine feine Knarre, die mir Matze besorgt hat. Fühlt sich gut an in meiner Hand. Hat ein richtig schönes, kreisrundes Loch gezaubert. Damit hattest du nicht gerechnet, Hildegard, nicht wahr? Von wegen Versager.
Vielleicht bin ich kein guter Mensch. Aber ich denke auch nicht, dass ich deshalb zwingend ein schlechter Mensch bin. Ich habe doch nur getan, was ich notgedrungen tun musste. Nicht mehr und nicht weniger. Alles ist letztlich nur eine Frage der Perspektive. Manche feiern mich jetzt bestimmt als Held, andere halten mich wahrscheinlich für ein Monster. Aber das ist mir sowas von egal.
Verzeih‘ mir, aber ich kann nicht länger knien. Meine Arthrose, du weißt… Wie gut, dass dieser dämliche Schrank so schöne Griffmulden in den Türen hat. Ahhh, daran kann ich mich prima hochziehen – ohne dein Gemeckere. Ist ja dein Lieblingsschrank, oh Gott, wenn da was dran kommt… Leck‘ mich. Außerdem quietscht die rechte Schranktür sowieso. Schon komisch, dass du die noch nicht geölt hast. Na ja, jetzt ist es eh‘ zu spät. Jetzt brauchst ja eher du die letzte Ölung. Obwohl – dafür ist es ja jetzt auch schon zu spät…
„Warum zum Teufel hast du es getan?“
„Was soll die blöde Frage?“
„Glaubst du im Ernst, jetzt hättest du Ruhe?“
„Ach, halt‘ doch dein Maul.“
„Sei ehrlich, viel nachgedacht hast du nicht. Konsequenzen? Ausgeblendet. Du hast einfach abgedrückt.“
„Ach, ich… ich weiß es nicht. Ich… ich habe das eigentlich gar nicht wirklich gewollt.“
„Aber du hast es getan! Und es war dir offensichtlich am Ende doch scheißegal.“
„Nein, war es nicht! Aber… was sollte ich denn machen? Die dumme Kuh hat ja förmlich danach verlangt.“
„Rede dich doch nicht heraus! Du bist einfach nur feige! Ein feiger Schwächling, der sich nicht mit seinen Problemen auseinandersetzen will.“
„Ich bin nicht feige! Pass‘ auf, was du sagst! Sie hätte ja weggehen können! Aber nein! Steht nur stumm da und heult.“
„Weggehen? Mach dich doch nicht lächerlich. Dann hättest du ihr kaltblütig in den Rücken geschossen. Nein, sie hatte gar keine Chance, nicht die geringste!“
„Hör‘ endlich auf, mir Vorhaltungen zu machen.“
„Du hättest mehr mit ihr reden sollen.“
„Was? Noch mehr? Ich habe mir den Mund fusselig geredet! Immer wieder habe ich ihr gesagt, dass es so nicht weitergeht. Dass ich das nicht länger mitmache. Dass das aufhören muss. Aber sie hat einfach nicht zugehört.“
„Und du? Hast du ihr denn zugehört? Wenn sie mit dir geredet hat?“
„Dieses Blabla? Hat mich irgendwann überhaupt nicht mehr interessiert.“
„Aber du hast sie doch mal geliebt?“
„Am Anfang.“
„Und dann?“
„Ging sie mir nur noch auf die Nerven. Immer nur Vorwürfe. Egal, was ich gemacht habe.“
„Und was hast du gemacht? Gezockt, bis kein Geld mehr da war. Gesoffen wie ein Loch, bis du nicht mehr stehen konntest. Da soll sie dir keine Vorwürfe machen?“
„Ach, … Es hätte auch anders laufen können.“
„Anders? Na, die Einsicht kommt wohl etwas spät. Zu spät. Hörst du die Martinshörner draußen? Gleich ist Schicht im Schacht, Freundchen. Die kommen dich holen. Dich und deine Knarre.“
„Ist mir egal.“
„Egal? Guck‘ dich doch mal an. Überall Blutspritzer in deinem Gesicht und am Hals. Hildegards Blut. Das kann dir doch nicht egal sein!“
„Halt dein Maul.“
„Das Blut hat sich förmlich eingebrannt in deine Haut. Das wirst du niemals wieder abwischen können.“
„Halt dein verdammtes Maul!“
„Du bist ein Mörder, ein feiger Mörder!“
„Mag sein. Dann spielt es ja auch keine Rolle, wenn ich nochmal abdrücke. Macht den Braten auch nicht fetter. Also: HALT DEIN MAUL!“
„Du kommst lebenslänglich in den Knast. Da kannst du Gift drauf nehmen!“
„Du kannst mich mal.“
„Hörst du es? Die Bullen sind schon im Hausflur und gleich stehen sie hier neben dir und die Handschellen klicken. Dann ist Schluss mit Lustig. Endgültig.“
„Du begreifst es wohl nicht, oder? Vielleicht hast du es aber doch begriffen. Irgendwann reicht’s. Irgendwann muss Schluss sein. Du lässt mir einfach keine Wahl. Keine verdammte Wahl. Keine Wahl! Es tut mir leid, aber es muss sein. Die nächste Kugel ist für dich. Dabei hätte es auch anders laufen können…“ …
Und endlich verstummt sein Spiegelbild.
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