Von Tanju Gökdag

(Der alte Joe, besser bekannt als „Vier Finger Joe“ redet mit den Lesern) „Hallo Ihr da…ja Ihr da…wen soll ich sonst meinen…ist vielleicht noch jemand hier, außer mir und Luigi, äh…aber der kann jetzt nicht reden“ (und streichelt dabei einen großen länglichen Müllsack ungewöhnlich zart) „beobachtet ihr mich schon lange. äh…Moment, ich habe da was zwischen den Zähnen, äh…“ (spuckt es aus) „jetzt besser…ich heiße Vier Finger Joe, aber das wusstet ihr ja bereits, einige von euch kennen mich vielleicht auch als Jimmy, die Nadel, wieder andere werden mich aber auch als John, den Metzger kennen; die, die aus dem Süden kommen, kennen mich aber bestimmt als Jackomo, den Bestatter“ „…was macht ihr hier nachts am Hafen zu einer so späten Stunde…wisst ihr denn nicht, dass man hier leicht verloren gehen kann, äh“. 

„Ich kenne euch nicht für welchen Verein arbeitet ihr? Ich selber bin ein Freischaffender, erledige hier und da kleine Jobs für die Familien und für einzelne Gangmitglieder, aber in letzter Zeit immer nur für die eine Familie, äh“ „…ich will euch was sagen, kommt näher, ja ihr, kommt näher, ich habe die große Hoffnung, dass ich vielleicht bald aufgenommen werde…das wäre fantastisch. Also von dieser Familie seid ihr jedenfalls nicht, da kenne ich alle, äh…ich arbeite für die ehrenwerte…Moment, der bewegt sich ja wieder…“, er legt seine schwere, vernarbte Hand auf einen großen, viel zu großen Müllsack und obwohl wir alle ahnen, dass da kein richtiger Müll drin ist, jedenfalls nicht solcher der wieder ordnungsgemäß recycelt werden kann, sagt Vier Finger Joe zu dem fest verklebten Sack: 

„Luigi, mein alter Freund, wie oft habe ich dir gesagt du sollst die Familie ehren, wie oft, äh und jetzt, schau dich an, wo du gelandet bist, äh…zapple nicht rum, ist bald vorbei, ist bald vorbei, verdammt du bist zu früh aufgewacht, hätte so schon sein können für dich, so schön enden können, du schläfst ein und wachst bei den Fischen wieder auf (lacht), nein, ich meine bei Petrus dem Fischer, äh…du bist doch selber schuld, wer hat dir auch gesagt, dass du der einzigen Tochter vom Boss schöne Augen machen sollst, äh, wer…ich, bestimmt nicht“.  

(wieder an die Leser gewannt) Ach ja, ihr seid ja immer noch da, ihr arbeitet doch nicht für die hiesige Hafen-Gewerkschaft und macht gerade einen schönen nächtlichen Rundgang durch den Hafen“ „… Nein, Gott sei Dank“ „…mein Vetter Vincenzo ist auch bei der Gewerkschaft, äh…vielleicht kennt ihr ihn, groß und breit, hinkt ein wenig und spielt am liebsten Billard, obwohl er es nicht kann, aber keiner traut sich, es ihm zusagen, also einer hat sich mal getraut, aber nur weil er besoffen war, das kam überhaupt nicht gut an, zwei Zähne hat ihn das gekostet, äh…also nein, kennt ihr nicht, besser für euch, besser…ich muss weitermachen“. „Luigi nun hör doch auf zu zappeln, du machst alles nur noch schlimmer“ (er wendet sich wieder an die Leser) „Wisst ihr, ihr könnt mir einen Gefallen tun, kommt mal näher, ja kommt näher…erzählt bitte keinem von heute Nacht…bei internen Angelegenheiten innerhalb der Familie ist die feine Gesellschaft sehr nervös, wenn ihr versteht, was ich meine, äh.“ 

„Also Luigi wohin soll es gehen…hast du mir noch irgendetwas zu sagen…nein, schade…wir waren so gute Freunde… und jetzt so ein Abschied…mir bricht es das Herz…ich habe dich geliebt wie einen Bruder…glaub mir doch, es ist mir so schwergefallen, den Auftrag anzunehmen…aber wenn nicht ich, wer dann…wer dann. Ich weiß doch genau, dass du das gleiche auch für mich getan hättest, äh…und was machen wir jetzt, ich erzähle dir eine Geschichte bis die Flut kommt“.

„ Eine kleine Geschichte über meinem ersten Mord…O ja das ist eine Ewigkeit her und seit jener Nacht habe ich viele glückliche Ehefrauen zu einsamen, weinenden Witwen gemacht, viele traurige Kinderherzen gebrochen und viel Kummer verbreitet, weil ich ihnen die Väter und Ehemänner genommen habe…aber das ist der Job, äh…andere töten auch…aber die nennen sich dann Soldaten oder Freiheitskämpfer und später sogar Helden, wenn sie mehr Leute getötet haben als die andere Seite und den Sieg für sich entschieden haben…mich dagegen nennt man immer nur einen feigen Mörder und ab und zu auch Bastard, äh… hör zu, Luigi, ich war noch sehr jung und lebte noch in meinem kleinen Dorf in Sizilien, das ist schon über dreißig Jahre her…ich war verliebt, so wie du heute auch, aber meine hieß nicht Esmeralda sondern Maria und war leider an jemanden anderen versprochen, aber sie liebte ihn nicht, sie liebte nur mich, den kleinen Giuseppe, damals hieß ich noch anders, damals hießen wir alle noch anders“.

„Also was sollte ich tun…wir sind zusammen in die Berge geflüchtet, sie haben versucht, uns zu finden, ihr damaliger Verlobter war außer sich und schwor ewige Rache. Dann, nach einigen Tagen hatte der Suchtrupp uns fast umzingelt, die waren gut, sehr gut, es gab so gut wie keinen Ausweg…keine Rettung…Maria hat geweint und gesagt, dass sie mich immer lieben werde. Sie nahm einen Holzknüppel und schlug damit so fest sie konnte auf meinen Schädel; als ich wieder zu mir kam, war sie schon weg. Durch den alten Feldstecher sah ich, wie sie sich dem Suchtrupp ergeben hat…und ihrem Schicksal. Ihr Verlobter war leider bei diesem Suchtrupp dabei und hat versucht, sie zu verprügeln. Die ersten beiden Schläge habe ich noch durchgehen lassen, aber dann ich konnte das nicht mitansehen, ich nahm mein gutes Jagdgewehr zielte auf ihn und drückte ab…der Rest ist bittere Geschichte, äh…“     

„Ich habe Maria seit jenem Tag nie wiedergesehen, ich hoffe, dass sie mich nicht vergessen hat, so wie ich sie nie vergessen werde…o meine geliebte Maria. Nach diesem Mord musste ich nach Amerika fliehen und meine Namen ändern…ich gab mir einen neuen Familiennamen und ein neues Aussehen, aber mein Schicksal, mein Schicksal konnte ich nicht ändern…ich machte eine kleine Reinigungs-Firma auf. Tagsüber habe ich gereinigt und saubergemacht, nachts habe ich familiäre Probleme beseitigt und jetzt lieber Luigi muss ich leider Dich beseitigen…die Flut ist da“. 

Plötzlich hört man Schritte, langsame Schritte, die auf Joe zukommen „Oh, wir sind nicht alleine Luigi, wir bekommen schon wieder Besuch…heute Nacht geht es hier zu, wie auf einem indischen Bazar…ach ihr seid es, Alfredo und Pepe, ich hatte schon gedacht, es kommen Fremde und wir bekommen jetzt Ärger, äh…nicht wahr Luigi?“

„Uns hat die Tochter des Bosses geschickt, tut mir leid Joe, äh…“ sagt einer der beiden Männer mit bitterer Stimme und zieht plötzlich einen Revolver mit Schalldämpfer und schießt auf Joe. Die erste Kugel trifft ihn an der Schulter, die nächste Kugel, da hatte er leider nicht so viel Glück, direkt in sein schlagendes Herz. Kurz bevor Joe, der immer so gerne mit sich selbst gesprochen hat das Bewusstsein für immer verliert und rückwärts in das dunkle, trübe Hafenbecken fällt, denkt er sich: „Verdammt warum habe ich damals nicht Maria geheiratet, warum nicht, ich Depp, äh…“

Die Männer öffnen den Sack und befreien den von den Schlägen noch leicht betäubten Luigi „Wach auf Luigi, wach auf…wir konnten leider nicht früher kommen…deine Esmeralda schickt uns“ Luigi öffnet die geschwollenen Augen und versucht dankbar zu lächeln und übergibt sich dann aber auch gleich auf die frisch geputzten Schuhe der ehrenwerten Herren, die ihm gerade das Leben gerettet haben. „…nicht schlimm Luigi, nicht schlimm das schreiben wir auf die Rechnung, äh“ „Pepe, geh schnell und hol den Wagen…Wir müssen ihn wegbringen. In zwei Stunde fliegt eine kleine Maschine nach Lateinamerika und die wirst du Luigi nehmen“ „aber ich muss meine Esmeralda noch mal sehen…“ „wirst du auch…wirst du auch, Sie wird dir nachkommen, so wie sie kann, wird sie nachkommen, Hier erstmal einen Brief, den hat sie mir mitgegeben. Den sollst du aber erst aufmachen, wenn du im Flugzeug sitzt, hat Sie ausdrücklich gesagt, hast du mich verstanden, äh…hör auf sie, sie muss dich sehr lieben, sie hat dir das Leben gerettet“

Eine Stunde nach dem Start versucht Luigi mit zugeschwollenen Augen die letzten Worte zu lesen, die ihm seine geliebte Esmeralda geschrieben hat 

„…mein liebster Luigi, ich hoffe sehr, dass du noch am Leben bist… und diese Zeilen lesen kannst…ich werde leider nicht mitkommen können…mein Vater würde uns beide bis in alle Ewigkeit verfolgen. Ich müsste eine schwere Entscheidung treffen zwischen meinem unermesslichen Glück mit dir oder deinem Leben und ich wählte dein Leben, weil ich dich mehr liebe als mein eigens Leben…es ist mir wahrlich nicht leichtgefallen, glaube mir, Luigi. Aber jetzt ich muss erst meinen Vater beruhigen, mach dir um mich keine Sorgen, mein Liebster, er liebt mich viel zu sehr als dass er mir etwas antun könnte…unter deinem Sitz ist ein kleiner Koffer mit allem was du brauchst und genug Bargeld, damit du in Südamerika eine neue Existenz aufbauen kannst, versuche bitte nicht, mich zu erreichen…Sie würden nur versuchen, dich zu finden und zu töten…du bist noch so jung, mein Liebster… geh und liebe eine andere Frau, gründe mit ihr eine wundervolle Familie und sei glücklich aber vergiss mich nicht, so wie ich dich nie vergessene werde. In ewiger Liebe deine Esmeralda“