Von P.S. Zocht

Mitternacht. 

War es wirklich schon so spät? 

Oder hat er sich das Klingeln seines Handyweckers nur eingebildet. 

Alles Einbildung. Nur Einbildung. Aber dieser nervige Ton. Warum hatte er ihn nicht geändert, wenn er ihn so anstrengend fand. Aber nein, das war nicht sein Wecker. Der Ton musste von irgendwo anders herkommen. Vielleicht war es auch ein Ton aus dem laufenden Radio. 

 

Nach diesem Gedanken wurde ihm wieder schmerzlich bewusst wo er war. Viele Nächte in seinem Auto hatte er schon verbracht aber sich bis heute nicht an den Sitz gewöhnt, der trotz ergonomischer Form ihm trotzdem Rückenschmerzen bereitete. 

Leicht streckte er sich so gut es ging im Cockpit seines Fahrzeugs und setze sich aufrechter hin und versuchte wieder eine angenehme Position in dem doch engen Fahrersitz zu bekommen.

 

Aber wie spät war es nun? Es packte ihn die Neugier. Er wollte sich vergewissern. Langsam öffnete er daher seine Lider. Er blickte in Richtung der Uhr mit der blauen Anzeige, die sofort seine Hoffnung zerstörte. 

 

Er war wohl eingenickt beim Hören des Radios. Es war ein langer Tag gewesen und die sanften Klänge schafften es schnell ihn zu übermannen und ins Land der Träume zu entführen, wo er von seiner Angebeteten träumte und einer Welt, wo er Seite an Seite mit ihr in den Sonnenuntergang lief. 

 

Jedoch war das nicht diese Welt. Diese Welt, wo er sich gerade befand, war kalt. So kalt, dass er seinen Atem vor sich kondensieren sah. Höchste Zeit einmal zur Thermoskanne zu greifen und sich einen großen heißen Schluck einzugießen. Warmer Kaffee lief seine Kehle herunter. Die beste Erfindung seit Baumwollsocken, dachte er sich. Komischer Gedanke aber bestimmt hatten die Menschen erst warme Kleidung hergestellt bevor sie an warme Getränke überhaupt dachten. Warum auch anders herum. Er trank einen weiteren Schluck und blickte aus dem Fenster seines Autos.

Mitternacht. Verdammt, dachte er sich. Wo war sie nur? Es war doch immerhin Donnerstag. Nach der Uni ging sie, wie er wohl wusste, immer zu ihrem Yogakurs. Danach fuhr sie immer mit dem letzten Bus und lief die letzte Strecke von fünfzehn Minuten zur ihrer Wohnung. Was hatte sie also aufgehalten. Hatte sie denn keinen Anstand und kein Pflichtbewusstsein? Und wieso hatte er nicht vor dem Yogastudio auf die gewartet. Sonst war sie so berechenbar aber genau heute musste sie natürlich von ihrem Tagesablauf abweichen. Und das genau heute, wo er doch eine Aufmunterung hätte gebrauche können, nach einem so schrecklichen Tag. 

 

Sie ansehen, wie sie lief und ihre Haare beim Gehen wehten, dieser grazile Gang, den sie hatte und dieses feine Lächeln, was ihr stets auf den Lippen hing. All das, sie nur kurz am Tag zu beobachten, versüßte ihm den Tag. Dieser verdammte Tag.

 

Sein Chef hatte sich wieder an ihm ausgelassen. Er war der Jüngste im Team und somit auch der Unerfahrenste und in jeder freien Minute ließ sein Chef ihn das spüren. So oft hatte er schon versucht sich ihm zu nähern. Hatte versucht Smalltalk zu führen. Aber machte er nur den kleinsten Fehler, zum Beispiel hatte er letztens eine interne Mail mit der falschen Signatur verschickt, sofort nahm sein Chef das als Anhaltspunkt um ihn vor versammelter Mannschaft so lautstark anzuschnauzen, dass selbst Unbeteiligten vom Zuschauen und Zuhören mulmig wurde und sie peinlich berührt das Weite suchten. Und da genau heute so ein schlimmer Tag war, wollte er nur seinen Feierabend mit ein wenig Liebreiz beenden. Aber nein, natürlich machte sie ihm einen Strich durch die Rechnung. 

 

Ach, was konnte er schon von ihr erwarten? Sie war jung, impulsiv, voller Leben und Lust auf Abenteuer. Abenteuer, die einen manchmal eben auch später ins Bett brachten als einem lieb war. Beziehungsweise eher als es einem gut tat. 

 

Ja, aber nicht sie sollte das wissen, was ihr gut tat. Er wusste was gut für sie war. Hatte er es nicht schon tausendmal bewiesen? Gezeigt, dass er es wirklich ernst meinte. Mit ihr. Mit allem. Immer und immer wieder?

 

Er war ein guter Samariter. Ihr guter Samariter. Der auf sie Acht gab. Sie beschützte und im Blick hatte aus sicherer Entfernung. Sie sollte sich ja sicher fühlen und nicht unbehaglich. Im richtigen Augenblick würde er sich ihr zu erkennen geben. Er hatte sich auch schon ausgemalt wie das aussehen sollte. 

 

Er wusste sie arbeitet manchmal, meistens Dienstags, in einem Büro in der Stadtmitte. Dort übernahm sie für fünf Stunden kleinere Büroarbeiten, um sich ein paar Euro dazu zu verdienen. Und da sie ja Studentin war und tagsüber in der Uni saß oder lernte, machte sie die Stunden immer abends. Dort war sie abends meist allein. Er hatte sie oft beobachtet, da das Büro im Erdgeschoss war und die riesigen, sauberen Fenster einen perfekten Einblick in das Innere gaben. Dort sah er sie, wie sie an ihrem Laptop saß, zum Drucker ging oder sich mit den letzten Kollegen im Büro vor dem Feierabend unterhielt. Und genau da war der perfekte Ort sie zu überraschen. 

 

Er würde einfach den perfekten Tag abwarten und sie dann mit einem Strauß roter Rosen und Schokolade überraschen und ihr seine Liebe gestehen. Sie würde doch bei so einer Überraschung, vor allem, wenn er vorher das Licht im ganzen Büro löschen würde, niemals Nein zu ihm sagen. Es wäre doch eine romantische Geste, genauso wie sie sie aus Filmen kannte. Und er wusste genau sie liebte Nicholas Sparks Verfilmungen und Rom-Coms, die ja vor Romantik nur so trieften. Wie könnte sie also zu ihm Nein sagen, einem gestandenen Mann, der wusste was und wen er wollte. 

 

Er wollte sich natürlich nicht ausmalen, dass auch das Schlimmste eintreten könnte und sie ihm einen Korb geben könnte. Falls sie den wahr gewordenen Traum nicht haben wollen würde, dann würde das für sie Konsequenzen haben. Das könne sie ihm nicht antun. Er ist der perfekte Mann für sie. Und wenn sie das nicht kapieren würde, dann müsste er es ihr eindringlich beweisen aus welchem Holz er geschnitzt war. Er würde ihr schon zeigen zu was er im Stande war. Er würde es ihr und allen anderen zeigen. Allen anderen, die womöglich an ihm zweifelten.