Von Simone Tröger

Der Juni-Tag beginnt super-sonnig. Zu dieser frühen Stunde ist es schon sehr warm. Aus dem Nachthemd heraus schlüpfe ich hinein in meine Freizeithose und mein Top. Es ist der erste Tag meines Urlaubs. Meine Freundin Marlen und ich wollen in die Provence. In ihrem neuen Cabrio lassen wir uns auf der Fahrt dahin den, hoffentlich, warmen Wind um die Ohren wehen. Allerdings erst übermorgen. Jetzt schon freue ich mich, wie… Die zirpenden Zikaden, der Lavendel, auch, wenn der fast verblüht ist, die Olivenbäume, der Wein, der Käse und vor allem die lauen Temperaturen bescheren mir ein Glücksgefühl – es ist nicht zu beschreiben…

Mein knurrender Magen holt mich in die Realität zurück. Zunächst einmal muss ich etwas frühstücken, also beschließe ich einen Gang zum Bäcker mit anschließendem Picknick im Park. Marlen kann mir keine Gesellschaft leisten, denn sie hat noch nicht frei.

Unter dem Stapel Klamotten, der bereit ist, in den Koffer gepackt zu werden, nehme ich den erstbesten Beutel hervor.  Schon ewig habe ich den nicht beachtet oder gar benutzt. Ein Wunder, dass ich ihn noch nicht entsorgt habe. 

Der Grund ist Max. Komisch, an welchen Dingen man seine Erinnerungen festmacht…

 

Dieses Behältnis enthielt damals die Utensilien einer unserer Kochabende. In der Tasche finde ich sogar noch einen Einkaufszettel von mir geschrieben. Besorgen wollte ich Gambas, Avocado, Sekt und Sprühsahne. Was wir kochen wollten, weiß ich nicht mehr. Vermutlich etwas Erlesenes, denn Max entpuppe sich als Vorzeigekoch. Sehr genau kann ich mich erinnern, dass ich die ersten beiden Zeilen benutzte, um Sachen für mich persönlich zu notieren. Das waren Haarwachs und ein Fön. Mein Fön hatte seinen Geist aufgegeben, und Haarwachs benutze ich immer.

 

Max lernte ich in einer Disco kennen. Ganz Gentlemen-like fragte er, ob er mich um diesen Tanz bitten dürfe. Bei mir dachte ich, dass der spinnt, auf diese altmodische Art ein Mädchen zum Tanz aufzufordern, beziehungsweise, dichtete ich ihm ein leicht betrunkenes Dasein an, Schüchternheit sowieso. 

Der Song war genauso antik, fand ich. Doch der Mann umso schöner, nur deshalb erhob ich mich. Sein modernes Outfit passte nicht zu seiner angestaubten Art. Da ich aber hin und weg von seinem Antlitz war, tanzten wir einige dieser Evergreens zusammen. In einer solchen Situation achtete man sicher nicht auf das Alter der Lieder.

 

Jetzt muss ich lachen – Antlitz – auch das Wort gehört ins Antiquariat.

 

Der schöne Mann lud mich zum Essen ein. Auch hier ging ich mit, denn das Restaurant galt als Gourmet-Tempel. Ein Essen dort hätte ich mir selbst nie leisten mögen, obwohl ich nicht arm dran war. Eine nicht knappe Erbschaft bereitete mir ein sorgloses Leben.

Etwaige Ambitionen für ein Techtelmechtel, oder gar mehr, hatte ich nicht.

Er ließ nicht locker und besuchte mich mindestens einmal pro Woche in meiner Wohnung. Die Adresse fand er im Telefonbuch. Sicherlich hätte ich sie ihm nach einer Weile freiwillig gegeben. 

Reden war unsere Beschäftigung, neben dem Kochen. Er machte niemals den Eindruck, als wäre er auf etwas anderes aus.

Zwischen den Besuchen kriegte ich mindestens einen Strauß rote Rosen. Das schmeichelte mir. Wenn der Bote mit den Blumen eine Stunde später erschien, als gewohnt, wurde ich nervös.

Max und ich lernten uns besser kennen und trafen uns öfter. Er war ganz und gar nicht aus der Mode gekommen und konservativ,  sondern zuvorkommend, aufmerksam und höflich. Dieser Mensch hatte Manieren.

Inzwischen verliebt und hin- und weg von solch einer Grandiosität, war er aus meiner Welt nicht mehr wegzudenken.

Die Beziehung nahm ihren Lauf, und es wurde Liebe, die auf Gegenseitigkeit beruhte.

 

Daran will ich mich an diesem schönen Morgen nicht erinnern, sondern nehme den Weg zum Bäcker und zum geplanten Spaziergang. Der Morgen lädt zu einem ausgiebigen Sonnenbad ein, also setze ich mich auf die nahe Bank und packe mein Frühstück aus.

Die Vergangenheit lässt mich heute nicht los, erneut denke ich an Max.

Nein, das ist nicht möglich. Nicht so viel Erinnerung vorm Urlaub!

 

Max und ich zogen zusammen. Es war ein harmonisches Zusammensein. Seine gut bezahlte Arbeit in der Firma gab er jedoch nicht auf. Somit hatte er, genau genommen, zwei Wohnungen. Mal war er hier, mal war er da. Wenn er in der anderen Wohnung war, freute ich mich auf sein Nachhausekommen. Alles richtete ich geschmackvoll her und machte es uns schön.

 

Die Zeit mit ihm war fantastisch, so dass wir nach einem Jahr beschlossen, zu heiraten.

Wir hingen das an die große Glocke. Eine Menge Menschen wurden eingeladen.

Mit Marlen suchte ich mir ein pompöses Brautkleid aus. Kein weißes, das Kleid war knallrot und kein klassisches Hochzeitskleid mit Tüll und Spitze.

Meine Mama verdrehte die Augen. „Kind, das geht doch nicht, was sollen die Leute sagen?“ 

Papa, der mich zum Altar führen sollte, kümmerte das wenig.

 

Auch Max hatte für die Hochzeit seinen Anzug mit passend rotem Einstecktuch bereits gekauft.

Mein Kleid offenbarte ich ihm, denn vom Aberglauben „vor der Hochzeit darf der Bräutigam nicht…“  hielt ich nichts.

Hätte ich es getan!

Etwa drei Wochen vor der Hochzeit klingelte es an der Tür. Die Beamten von der Polizei machten mir begreiflich, dass Max etwa 500 km weit weg auf der Autobahn von der Fahrbahn abkam, sein Wagen sich überschlug, unter einen LKW rutschte und so liegen blieb.

Liegen blieb nicht nur der Wagen. Max war auf der Stelle tot.

 

Heute wie damals heule ich wie ein Seehundbaby auf der Suche nach seiner Mutter. Glücklicherweise sind an diesem sonnigen Morgen die Zuschauer noch rar. Anderenfalls müsste ich eine Erklärung abgeben.

 

Nach dieser Nachricht musste ich versuchen, nicht unterzugehen in meinem eigenen Tränensee. Was versuchte Marlen nicht alles, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Unternehmungen, Kino, Theater etc. 

Vorerst half das nicht. Mein eigenes Leben war zerstört. Das Bild, dass ich vom Leben hatte, das so schön gemalt war, war nur noch eine zerschnippelte Leinwand in Weiß.

 

Die Beisetzung war in Max´ Heimatstadt. Also fuhr ich mit Marlen dahin. 

Mir war laufend schlecht, und ich übergab mich ständig, wenn ich an die Beerdigung dachte.

Max´ und meine Freunde waren fast alle gekommen. 

Es war ein trüber Tag – im wahrsten Sinn des Wortes.

Denn dort traf ich auf Max´ Frau und seinen neunjährigen Sohn!

 

Marlen hielt mich fest im Arm, ich wurde von mehreren Leuten gestützt, ich übergab mich ins offene Grab, ehe man mich vom Ort des Geschehens ins Auto schleppte.

Einen Leichenschmaus gab es für mich freilich nicht.

Denken war nicht mehr möglich an diesem Tag.

Erst, als ich daheim war, realisierte ich, dass ich verarscht wurde. Eine Erklärung über das „warum?“ fand ich nicht. Mir wurde klar, weshalb Max seinen Job und die Wohnung aufrechterhielt. Was hatte er bloß dieser Frau und dem Kind erzählt, wenn er bei mir – bei uns – im trauten Heim war. Was wäre denn gewesen, wenn er mich hätte heiraten „müssen“?

(Marlen hatte ihre eigene Theorie…)

Der Standesbeamte beim Bestellen des Aufgebotes hätte merken müssen, dass Max verheiratet war.

Nein, nein, verheiratet konnte er nicht gewesen sein. Die Frau war also seine Lebensgefährtin? Dann hätte er sich doch von ihr trennen und mir alles erzählen können. So kam es ständig in der Welt. Dafür hätte ich Verständnis gehabt. Obwohl er es mir nicht sofort klarmachte.

WARUM?

WARUM?

WARUM?

Das Bild vom netten schönen Max verwandelte sich in eine Fratze.

 

Meine Trauer und meine Grübelei dauerten daraufhin nicht mehr lange.

Am besten für mich fand ich den Umzug in eine kleinere Wohnung ohne Ballast. 

Mit der Lebensgefährtin setzte ich mich nie persönlich auseinander. Über acht Ecken erfuhr ich, dass die beiden zwar nicht verheiratet, aber schon ewig ein Paar waren und als kleine Familie ein großartiges Haus bewohnten und sogar Bedienstete hatten.  Der Junge nahm wahr, dass sein Vater tot sei. Einzelheiten verschwieg man ihm. Es war mir auch egal. Die Frau tat mir nur leid wegen des Sohnes, wenn es in dieser Situation überhaupt eine Mitleid erregende Phase gab.  Zu meiner Freundin bzw. Verbündeten machte ich sie dennoch nicht.

 

Nun haben die Tasche und der Einkaufszettel meine Erinnerungen hervorgeholt. 

Kurzerhand werfe ich beides in den Papierkorb. Genau wie die Gedanken an Max.

 

(Einen Moment nur frage ich mich, ob Marlen nicht doch recht hat…)

 

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