Von Ingo Pietsch

Isa hatte ihren Master in Sozialwissenschaften geschafft und wollte jetzt mit ihren Mädels bei uns zu Hause so richtig Party machen.
Deswegen standen auf meiner Einkaufsliste Gambas, Avocados, Sekt und Sprühsahne. Ich hatte noch Haarwachs hinzugefügt, weil mir dieses ausgegangen war. Meine Haare waren echt widerspenstig und normales Spray oder Lack halfen da nicht.
Tortilla Chips und Knabberstangen hatten wir noch zu Hause, genauso wie Joghurt, Zitronen und Knoblauch für eine Guacamole.
Ich hasste Knoblauch. Bei dem Geruch wurde mir immer übel, besonders, wenn Isa welchen gegessen hatte und mich die ganze Nacht im Bett anatmete.
Dazu brauchten wir die Avocados.
Ich würde die Mädels zwar heute bewirten, aber wahrscheinlich schon vor Isa schlafen gehen.
Wie so oft in letzter Zeit, wo sie lieber noch eine Serie sehen wollte, ich aber am nächsten Tag schon wieder früh aufstehen musste.
Mein Blick ging über die Einkaufliste und kehrte gleich darauf wieder auf die Wörter auf dem Papier zurück.
Sekt! Rose, halbtrocken, so süß wie möglich.
Da rollten sich bei mir die Fußnägel hoch. Wie konnte man nur so eine Plörre trinken?
Nichts gegen einen Jack Daniels oder Bacardi. Was Raues in der Kehle. Nicht so ein Traubensaft, versetzt mit Kohlensäure.
So verschieden waren unsere Geschmäcker und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fiel mir auf, wie gegensätzlich wir waren und kaum etwas gemeinsam hatten.
Wir waren jetzt seit vier Jahren zusammen und hatten letztes Jahr eine gemeinsame Wohnung bezogen.
Ich war bis dahin überzeugter Single gewesen und ein kleiner Ordnungsfanatiker.
Isa hatte darin eine entspanntere Haltung, die in anderen Dingen unserer Beziehung von Vorteil war, dass ich mich nicht beschweren wollte.
Aber wenn ständig ihre Sachen irgendwo auf dem Boden lagen oder das dreckige Geschirr es nicht in die Spülmaschine geschafft hatte, brachte es mein Blut zum Kochen.
Ich merkte, wie ich mich in etwas reinsteigerte, was aber eigentlich kein Grund für meine Wut hätte sein sollen.
Der Sekt!
Ich schob meinen Wagen durch die Gänge des Supermarktes und klaubte zwei Kisten Jules Mumm Rose von einem Aufbau. Bei der Gelegenheit fand sich auch noch Platz für eine Flasche vom besagten Whiskey. Sonst würde ich den Abend  sicherlich nicht überstehen.
Ich durfte mal wieder die schweren Sachen schleppen. Typisch! Stopp! Es fing schon wieder an.
Ich atmete tief durch und dachte an Isa.
Ständig hielt sie mir vor, was sie alles mit dem Abschluss machen wollte. Und irgendwie bekam ich das Gefühl, dass ich in ihrem Leben einfach keinen Platz mehr hatte.
AVOCADOS! Hämmerte ich mir in meinen Kopf.
Hinten im Laden waren die Obst- und Gemüseabteilung und daneben auch das Tiefkühlzeug.
Die Avocados waren schnell gefunden. Ich begutachtete alle einzeln von allen Seiten. 10 Stück suchte ich heraus. Sie durften weder zu hart, noch zu weich sein. Das würde mir Isa nie verzeihen, wenn ihre ach so beliebte Guacamole daneben ging.
Ich schlug mir vor die Stirn, dass es klatschte.
Leute drehten sich zu mir um. Musste ich mir denn alles gefallen lassen?
Ich war, ich war, ich. Mist, wirklich? Welche Position hatte ich denn in unserer Beziehung?
War ich nur die Putzkraft und für gelegentliche Liebesspiele da?
Ich schüttelte mich und fuhr weiter. In Gedanken rempelte ich einen anderen Wagen an.
Eine hübsche junge Frau mit strahlenden Augen blickte mich erschrocken an.
„Tschuldigung“, murmelte ich und wollte verlegen wegschauen. Aber unsere Blicke hielten weiter Kontakt.
„Ist doch nichts passiert“, lächelte sie mich an.
Auf jeden Fall hatte ich nichts von meinem Charme verloren.
„Dann hätte ich sie wohl verarzten müssen“, flirtete ich.
Ihr Kopf wurde ganz rot und sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Das sieht nach einer Party aus.“ Sie bemerkte meinen Einkauf. Sie hatte eher für ein Singlewochenende Sachen in ihren Wagen eingeladen.
„Ja, meine … Schwester hat ihren Schulabschluss gemacht und ich organisiere jetzt die Feier.“ Wow, ich verspürte nicht die geringste Scham beim Lügen. „Ich brauche noch Gambas und Schlagsahne“, las ich vom Zettel ab.
„Die Gambas sind da hinten.“ Sie zeigte in Richtung der Tiefkühltruhen. „Ich kann gerne mitkommen.“
Oha, das ging jetzt fix!
„Gerne.“
Wir schlenderten zusammen zu den Meeresfrüchten und ich meinte: „Wenn du Lust hast, kannst du ja auch zur Party kommen.“
Ich zückte mein Handy, damit wir Nummern austauschen konnten und sie antwortete: „Ist schon Ok. Ich komme sowieso, ich bin eine von Isas Freundinnen.“
Ich wollte nicht wissen, wie es aussah, als mein Blick entgleiste und meine Schultern herabfielen.
„Aber keine Angst, das bleibt unter uns.“ Sie zwinkerte mir zu und gab mir einen Luftkuss.
Voll ins Fettnäpfchen getreten.
Ich riss die Schiebeglasscheibe mit solcher Kraft auf, dass ich dachte, das Glas würde brechen. Voller Wucht warf ich vier Tüten mit den Gambas in den Wagen und raste blindlings los.
Eine ältere Dame schlug mich mit ihrem Gehstock, weil ich ihr die Vorfahrt genommen hatte. „Sie Rüpel!“, schimpfte sie.
Langsamer trotte ich weiter. In einem leeren Gang blieb ich stehen und glotzte eine der hässlichen Garnelen an. Ich fand die Dinger schon immer gruselig mit ihren langen Antennen und den kleinen Knopfaugen. Je länger ich das tat, desto mehr sah die Garnele wie Isa aus, auch wenn das gar nicht der Fall war.
Jetzt reiß dich zusammen! Eigentlich sind wir beide doch glücklich miteinander. Jeder hat seinen Freiraum und wir unternehmen auch oft etwas zu zweit.
Sie war eine Freundin, eine Lebensgefährtin. Aber die Frau fürs Leben? Die ich heiraten würde wollen?
Nach der Begegnung gerade eben war ich mir da nicht mehr so sicher.
Die Liste!
Sprühsahne und Haarwachs fehlten noch.
Die Sahne war nicht weit entfernt. Ich packte vier Flaschen zu den anderen Sachen. Keine Ahnung, was sie damit wollte, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, dass man damit eine Menge Spaß haben konnte.
Das ließ ich mal so im Raum stehen. Punkt.
Da kam Isas Freundin um die Ecke. Sie hob die Augenbrauen, als sie sah, wie ich so tat, als würde ich die Sprühsahne als Deospray benutzen und Geräusche mit meinem Mund machte, als zischte es dabei.
„Wenn du nicht mit Isa zusammen wärst, würde ich dich glatt zum Essen einladen.“
Ich lächelte schief.
Sie fuhr an mir vorbei und streifte mit ihrer Hand meinen Po.
Ich bekam Gänsehaut am ganzen Körper.
Das war genau das, was mir fehlte. Ein Ausbruch aus der Routine.
Ich schob den Gedanken beiseite und holte das Haarwachs.
Dann schlenderte ich zum Zeitschriftenregal und blätterte in einer Computerzeitung herum.
Plötzlich hatte ich es gar nicht mehr so eilig.
Der Einkauf war erledigt und ich musste nur noch zur Kasse.
Irgendetwas hielt mich aber davon ab, den Laden zu verlassen. Ich hatte etwas vergessen, aber was?
Isas Freundin war schon wieder in meiner Nähe. Spionierte sie hinter mir her?
„Sollten die Gambas nicht gefroren bleiben?“, fragte sie mich.
„Hä?“, fragte ich verwundert zurück und sah, dass die Garnelen schon zu tauen begannen und Wasser auf den Boden tropfte.
Ich konnte mich nicht erinnern, wie lange ich hier gestanden hatte.
Mit einem Schlag kamen die ganzen Erinnerungen wieder.
„Wollen wir zu dir?“, setzte ich alles auf eine Karte.
„Ein Mann, der weiß, was er will. Gerne.“
Ich ließ meinen Wagen einfach stehen und ging mit ihr mit.
„Und dein Einkauf?“
„Ich denke, die Party fällt heute aus.“
Der Punkt, den ich vergessen hatte und der noch auf meiner Liste stand, war ein neuer Föhn. Ich hatte mich mit Isa wegen des heutigen Abends dermaßen gestritten, dass der alte Haartrockner mit ihr zusammen in der vollen Badewanne lag und sicher nicht mehr funktionieren würde …

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