Von Michael Kothe
Prüfend glitt ihr Blick ein letztes Mal über den Einkaufswagen, bevor sie sich in die Schlange an der Kasse des Einkaufszentrums einreihte. Haarwachs, Föhn, Gambas, Avocados, Sekt und Sprühsahne. Zufrieden nickte sie, hatte sie doch alles, was auf ihrem Einkaufszettel stand. Was sie sonst noch brauchte, lag zu Hause im Küchenschrank. Bis sie ihre Waren aufs Kassenband legen konnte, ging sie in Gedanken ihre Playlist durch. Jazzmusik, beschwingt und sanft, wie sie sie liebte. Einem ruhigen Nachmittag, dem kulinarischen Genuss und dem gemütlichen Abend stand nichts mehr im Wege.
Kaum war sie in ihrer behaglichen Zweizimmerwohnung angekommen, stellte sie den Sekt in den Kühlschrank und bereitete in der Kochnische alles für ihr Abendessen vor. Gambas a la plancha hatte sie sich vorgenommen. Zu den gegrillten Riesengarnelen gehört nun mal Alioli, die spanische Knoblauchcreme. Sie seufzte, als sie sich vorstellte, wie ihre Wohnung riechen würde. Und erst recht ihre Hände! Wann verflog der strenge Geruch nach Knoblauch? Ein ironisches Grinsen flog ihr übers Gesicht: Wenigstens rochen Olivenöl und Salz nicht! Über ihren eigenen Körpergeruch und den unvermeidlichen Mundgeruch nach dem Genuss von Gambas mit Alioli machte sie sich keine Gedanken. Niemand würde sich daran stören, und morgen war Samstag, da konnte sie den ganzen Tag daheim im Bett und auf der Couch verbringen. Heftig schüttelte sie sich, als sie zum Abschmecken den Stößel ableckte, und verzog den Mund so stark, dass ihr die Sehnen seitlich am Hals das Aussehen einer Kragenechse in Kampfpose verliehen. Es sah niemand, sie musste sich nicht schämen. Die Alioi war scharf, sehr scharf, aber gut. Nachdem sie den Mörser mit der Creme zur Seite gestellt und die Pfanne für die Garnelen auf die kalte Herdplatte gezogen hatte, schaute sie auf die Küchenuhr. Noch hatte sie Zeit im Überfluss, doch ihre Entspannung rang mit einem plötzlichen Ärger, als sie die Alioliflecken auf ihrer Bluse und ihrem Hosenrock bemerkte. Das Auswaschen würde sie sicherlich eine Extraviertelstunde lang beschäftigen. Warum hatte sie sich nicht umgezogen, bevor sie in der Küche hantierte! Wenigsten würde sie nachher daran denken, sich für die Zubereitung der Gambas eine Schürze umzubinden. Sie war schon auf dem Weg ins Schlafzimmer, um ihre Bürokleidung abzulegen, als ihre Nase juckte und sie sich kratzte. Unwillkürlich atmete sie tief ein. Sie musste sich beruhigen, denn der Geruch an ihren Händen erinnerte sie daran, dass sie sich nochmals mit dem Knoblauch auseinanderzusetzen hatte. Die Guacamole war dann doch keine große Herausforderung, und so war der Dip im Handumdrehen fertig. Und nach Knoblauch „dufteten“ ihre Hände sowieso.
Der neue Föhn war stärker als der alte, den sie nicht mehr benutzte, seit er beim Gebrauch nach verbranntem Plastik roch. Ihr Haar war nach der Dusche schneller gerichtet als sonst, und zum Spaß pustete sie heiße Luft über den deckenhohen Badspiegel. Im Nu war er nicht mehr beschlagen und offenbarte ihr ein Spiegelbild, das sie mit Genugtuung und auch mit Stolz betrachtete. Für eine Dreißigjährige hast du dich gut gehalten. Ihr Eigenlob stimmte sie optimistisch für den nächsten Schritt bei der Vorbereitung eines ebenso gemütlichen wie prickelnden Abends. Barfuß bis zum Hals lief sie in die Küche, wo sie vorsichtig das Töpfchen auf dem Herd erwärmte, ab und zu mit dem Holzspatel die Konsistenz vom Haarwachs prüfte und dann mit dem heißen Napf vor den Badezimmerspiegel zurückkehrte. Vom Stolz über ihre Figur spürte sie nichts mehr. Anstatt auf einer Achterbahn zwischen Erregung und Vernunft fuhren ihre Gefühle in eine Geisterbahn, sie erkannte sich als die personifizierte Unentschlossenheit, wie sie mit dem Tiegel in der einen und dem Spatel in der anderen Hand dastand. Die Fragen in ihrem Blick konnte auch ihr Spiegelbild nicht beantworten. Hollywood Cut oder doch nur American Wax, Landingstripe oder Cocktailglas? Schon befürchtete sie, dass das Wachs kalt würde, bevor sie sich entschieden hätte, als sich ihr der rettende Gedanke aufdrängte: Briefmarke! Begeistert hatte sie kürzlich von dem angesagten Design in einem einschlägigen Online-Magazin gelesen, und entschlossen setzte sie ihr Vorhaben in die Tat um.
Mit festem Biss auf die Unterlippe, weil ihr Abenteuer mehr geziept und die Haut stärker gereizt hatte als erwartet, schlich sie ins Schlafzimmer, stieg ohne Leibwäsche in ihren Jumpsuit und kehrte gut gelaunt in die Küche zurück. Als erstes schnitt sie das knusprige Baguette auf und trug es zusammen mit der Guacamole und der Alioli auf den Tisch in der Essecke. Dann deckte sie ein, öffnete den Garnacha Rosado und stellte ihn in den Weinkühler. Stilvoll und gemütlich wollte sie das Essen und den Abend genießen. Sie fand, ein leichter trockener Rosé aus Spanien passte gut zu den Garnelen. Spitzbübisch grinste sie beim Gedanken an die aphrodisierende Wirkung, die man gemeinhin sowohl Meeresfrüchten als auch Avocados zuschrieb. Wobei, das gab sie zu bedenken, es an diesem Abend keine Testosteronproduktion anzukurbeln galt, und Gambas wirkten sicherlich nicht so stark wie Austern. Beim Gedanken an jene zweifelhafte Delikatesse schüttelte sie sich in gespielt übertriebenem Ekel.
Sie schaute auf die Uhr. Zu beeilen brauchte sie sich nicht, aber trödeln durfte sie ebenso wenig. Bevor sie die Garnelen auf einer hauchdünnen Schicht Olivenöl in der Pfanne grillen wollte, trug sie zwei Sektgläser und die Sprühsahne ins Schlafzimmer und stellte sie auf ihren Nachttisch. Ein letzter Kontrollblick beruhigte sie, alles war in Ordnung, alles war vorbereitet. Wie immer käme Melanie pünktlich und – sie lächelte verträumt und euphorisch zugleich – sicherlich käme ihr nach diesem harmonischen und aufregenden Abend endlich der Einfall, auf den sie schon so lange wartete: der Plot für die Aufgabe ihres Autorenforums Schreibe eine erotische Geschichte!
V1, 5.981 Zeichen