Von Florian Ehrhardt

Wir treten vor die Tür des alten Schlossturms. Tief unter uns leuchtet und blinkt die Stadt, aber hier oben hat uns die Lichtverschmutzung den Sternenhimmel noch nicht rauben können.

„Schau mal, eine Sternschnuppe!“, meint Lisa.

„Ich glaube, das ist eher Starlink, aber damit können die Leute im Regenwald jetzt wenigstens auch stundenlang Insta-Reels oder TikTok scrollen“, mansplaine ich.

Solange sie nicht deine Kurzgeschichten mit den traurigen Enden lesen, ist das doch gar nicht so schlimm, oder Fabi?“, feixt sie zurück.

„Ich kann einfach kein Happy End schreiben.“

„Also ich finde das leicht“, sagt sie, räuspert sich und fügt bedeutungsschwanger an: „Dann küssten sie sich unter dem unendlichen Sternenhimmel und ihre Sorgen waren vergessen“, um schließlich ihren Worten Taten folgen zu lassen.

„Schön“ grinse ich.

„Ich finde, deine Protagonisten hätten das auch mal verdient. Du nicht?“

„Wäre das nicht viel zu langweilig?“

„Du bist unverbesserlich!“

„Warum? Eine Schnulze will doch keiner lesen!“

„Dein Zeug aber auch nicht!“

Ich seufze. „Kann schon sein, aber mir geht’s auch um das Gesamtkunstwerk!“

„Was für ein Gesamtkunstwerk denn? Kann eine Geschichte erst Kunst sein, wenn der Bräutigam kurz vor der Hochzeit abgeschoben wird, gegen den einzigen Baum im Landkreis fährt oder von einer Langstreckenrakete erwischt wird?“

„Ne, aber—“

„Nix aber! Ich weiß doch, dass du romantisch fühlen und schreiben kannst, warum versaust du es dann immer wieder?“

„Weil das Leben nicht so ist! Ich glaube nicht an happily ever after.“

Lisa sieht mich traurig an: „Für uns auch nicht?“

Ich blicke in den Sternenhimmel.

„Arsch!“, zischt sie.

„Das wäre doch viel zu langweilig“, wiederhole ich.

„Bin ich dir etwa auch zu langweilig, weil ich nicht tot genug bin?“

„Nein, du—“

„Oder muss ich mich fragen, ob du mich irgendwann für den Plot abstichst?“

Ich schweige und versuche etwas unbeholfen, meinen Arm um Lisa zu legen.

Sie kuschelt sich zaghaft an mich. „Ich möchte eine Zukunft mit dir. Kannst du mir das nicht versprechen?

Ich schweige, frage mich, was in einer Welt zwischen Krankheiten, Krieg und Klimakrise überhaupt Zukunft haben könnte.

Lisa kann meine Gedanken hören: „Ich bin nicht so naiv wie die eindimensionalen Püppchen, auf die deine Helden abfahren. Ich weiß, die Welt ist nicht perfekt, sondern chaotisch und ungewiss. Manchmal macht sie mir fast so viel Angst wie dir.“

„Ich bin eben Realist“, entgegne ich zaghaft.

Wieder wandert ihr Blick zu den Sternen. „Ist dieser Ausblick nicht real? Ich darf doch hoffen, dass wir so einen Moment noch öfter teilen, oder?“

„Damit könnte ich mich anfreunden“, schmunzle ich und spüre dieses manchmal fast vergessene Gefühl der Wärme im Bauch.

„DAS ist jetzt aber wirklich eine Sternschnuppe!“, ruft Lisa.

„Und noch eine!“, sage ich etwas leiser, als der nächste Marschflugkörper über uns hinwegzieht.

„Schon wieder!“

Anstatt wieder irgendetwas besser wissen zu wollen, sage ich: „Mach schnell die Augen zu und wünsch‘ dir was!“

„Ich hab‘ schon alles, was ich mir gewünscht habe“, sagt sie und dreht ihren Kopf verträumt zu mir.

Wir küssen uns, während der Horizont in einem Feuerball aufgeht.

 

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