Von Simone Tröger
Löcher in die Erde zu buddeln war er gewöhnt. Jetzt musste das nur recht schnell gehen. Also ließ er das graue verschnürte Bündel mit der wertvollen Kunst als Inhalt in die Tiefe gleiten. Hier im Garten seiner verstorbenen Arbeitgeberin würde keiner danach suchen. Der kunstvolle Körperschmuck sah aus, als hätte sie ihn von Königin Hatschepsut höchstselbst erhalten. Nicht nur wegen des Alters der Pharaonin oder der Besitzerin des Schmuckes. Eher wegen der edlen Verarbeitung und der angewandten Sorgfalt, die man den Dingen ansah. Vielleicht handelte es sich auch um Grabbeigaben der ägyptischen Herrscherin.
Die Kinder und Kindeskinder der Toten wurden vom Reichtum verfolgt. Er machte mit seiner Aktion keine Mittellosen arm. Nicht vergessen durfte er, einen Schlüssel für das hintere Tor anfertigen zu lassen, um ungehinderten Zugang zu dem teureren Geklimper in der Erde haben zu können, um es bei bester Gelegenheit hervorholen zu können. Diesen Pfortenöffner in seiner Jackentasche durfte er wohl kaum weiterhin benutzen. Hier hinten kam sowieso nichts vorbei, was sprechen konnte.
Unter dem dichten Laubdach war er sicher vor Zuschauern. Weit und breit gab es hier kein zweites Anwesen. Ja, er war schon ein vorausschauender Gärtner. Den Rasen, und alles, was darauf wuchs, hatte er im Griff.
Vom Tod der Greisin erfuhr frühmorgens die Haushälterin zuerst, und er würde später zutiefst mittrauern. Den Angehörigen sprach er sein herzlichstes Beileid aus und bedauerte den Heimgang der nettesten Seniorin aller Zeiten.
Die ermüdende Arbeit war getan. Ein recht großes Behältnis musste er da verstauen. Weit hinab grub er. Hoffentlich stieß er nicht auf Erdöl. Kurz musste er erst einmal verschnaufen, so schlapp fühlte er sich schlagartig. Sofort wurde er von einem Lufthauch in das Himmelblau gehoben. Obwohl es um ihn herum so schwarz war wie der Boden, den er eben aushöhlte.
Mit seiner gesamten Seele war er nicht in der Traumwelt angekommen. Das Nirvana
und die Realität vermischten sich zu unwirklichen Erlebnissen und inneren Monologen.
*
Eigentlich war es kein himmelblau, sondern meerblau. So blau, wie ein Meer blau sein konnte. Zu unterscheiden war es ohnehin nicht, wo das Blau des Wassers aufhörte, und das Blau des Horizontes anfing, wenn man weit hinausschaute oder seine Augen zumachte.
Die kunstvollen Schmuckstücke aus dem Besitz der Alten hatten längst den Eigentümer gewechselt. Es half ihm prächtig dabei, seinen Wohlstand zu finanzieren. Im Moment befand er sich auf einer polynesischen Insel, deren Namen er nicht aussprechen konnte. Mit ihren Einwohnern konnte er auch nicht sprechen. Insbesondere die rassigen leichtbekleideten Frauen waren auch nicht zum Sprechen da.
Als nächstes hatte er Hawaii geplant, danach vielleicht Australien. Auch Japan stand auf seiner Liste. Leisten konnte er sich das allemal – und Trinkgeld war für jeden auch noch drin.
In der kalten Heimat hatte er sich ein Taxi genommen – nach der Beerdigung seiner „Gönnerin“, versteht sich – und ist zum Flughafen gefahren. Dort buchte er sich einen Flug, der mindestens 12 Stunden nonstop dauerte. Da landete er eben hier. Er fühlte sich wie der König von Taka-Tuka-Land. Nach den Kunstgegenständen hatte man damals noch nicht gefahndet; und jetzt? Es interessierte ihn in diesem Schlaraffenland nicht die Palme. Was gab es vor Ort nicht? Schnee!
Er hatte selbst nicht daran gedacht, dass ihm so etwas gelang, er war doch ein ehrlicher Junge… Alte Leute waren schon sehr vertrauensvoll. Was konnte er denn dafür, wenn er von der Schmuckschatulle erzählt bekam.
Sozusagen einen Lageplan erhielt, wo der Kram zu finden war. Ein schöner Kram.
Die Worte seiner Mutter hämmerten ihn dabei im Kopf. „Man darf nicht mopsen!“ Als er noch Kind war, meinte sie das mit ausgetrecktem Zeigefinger, der sich eigens für die ausgesprochenen Verbote, gleich welche, zu verlängern schien. Welch ein Wort – genau wie mausen… Was hatten ein Mops oder eine Maus mit stehlen zu tun? Egal; irgendwer würde das schon wissen. Darüber musste er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Stattdessen fragte er sich, wie man das Lügen lernte.
Wie erzählte man so eine Geschichte? Beziehungsweise, wie erzählte man SEINE Geschichte?
Solch eine story konnte man doch gar nicht jemals jemanden erzählen.
Eine Übersiedlung in ein anderes Land wäre hilfreich. Nur kein zu großes Land – USA, Kanada – großes Land, viel Polizei. Aber auch kein nicht so dicht besiedeltes Land sollte es sein. Dann hatte die Staatsgewalt zu viel Zeit, um nach solchen, wie ihn zu fahnden. Eventuell wäre ein südamerikanisches Land die Alternative. Uruguay oder Paraguay sind überschaubar.
Nach solchen. Was hatte er schon getan? Etwas Schwund war doch immer dabei, hieß das. Die Kunst deklarierte er, sozusagen, als sein Erbe, für das er keine Steuern zahlen musste. Nachlass-Gegenstände für jahrelange aufopferungsvolle Arbeit. Fürs Rosen schneiden, Rasen mähen, Löcher graben und anderes. Vorsichtshalber konnte man sich überlegen, wer auf dieser traumhaften Insel einem eine neue Identität mit gefälschten Papieren gab. Die Schnörkel zu Buchstaben zu formen war hier keiner kundig. Ein überflüssiger Gedanke also.
Wie nannte man sich? Carlo Garcia oder James Miller? Man könnte behaupten, alle Ausweisdokumente wurden gestohlen. Wie ist man ins Land eingereist? Ausweise aus dem Flugzeug gefallen? Wo wohnte man?
Einsam? Dann wäre er hier richtig. Machte auf die Dauer aber irre. Immer nur rassige Weiber…
Unter Nachbarn? Hier war die Gefahr zu groß, zu viel Vertrauen in jemanden zu setzen und ihm die Wahrheit zu erzählen.
Familie? Und wenn man redete im Schlaf? Einige konnten einem auf diese Weise alles entlocken.
Arbeitskollegen, die fragten, woher du so viel Geld hattest, waren neidisch und kamen dir mit Erpressung oder Schlimmerem. Nonsens! Arbeit! Das hatte sich dann erledigt!
Selbst Freunde waren tabu.
Was sollte man allein auf dieser Welt nur tun? Gelohnt hätte sich doch dann alles nicht. Diese Einsicht wollte er jetzt nicht haben.
*
Ach, war die Welt schön: Süße Kokosmilch, so süß wie die Kellnerinnen. Hand ausstrecken und Bananen pflücken. Sand, dass der Vogel Strauß seine helle Freude daran hätte. Lagunen, dass man glatt einen romantischen Liebesfilm drehen könnte. Palmen, mit deren Wedeln Freitag seinem Herrn Frischluft zufächerte. Menschen, mit denen man nicht nur nicht reden konnte, sondern auch nicht reden musste. Was spielten da schon giftige Schlangen, bösartige Spinnen und größere Tiere für eine Rolle. Die gab es anderswo auch zur Genüge.
*
Ein durch alle Poren, Gliedmaßen und Organe dringendes „Hallo“. „Hallo“. „H-A-L-L-O!“ „Augen auf!“
Wer wollte etwas von ihm? War das ein internationales Grußwort?
Wie das defekte Scharnier einer Tür öffnete er seine Augen. Nur ohne Quietschen.
Das Glas seiner Brille war so dick wie eine arktische Eisschicht, doch die beiden uniformierten Beamten erkannte er nur schemenhaft.
Nachdem diese ihre Anklage laut und deutlich aussprachen, wurde er mit silbern schimmernden Handschellen zum Polizeiauto gebracht. Die Morgensonne versprach einen schönen Tag, was keinesfalls zur Situation passte. So hatte er wenigstens etwas von einer glanzvollen Kunst. Mehr blieb ihm nicht.
Die Polizisten erzählten ihm kurz mit einem Grinsen, dass die Überwachungskamera gute Bilder lieferte. Blöd genug fand er sich inzwischen selbst, das Zeug hier zu vergraben.
Der Wagen fuhr dahin, wo es noch mehr Träumer in (Par-)zellen mit Waschbecken gab.
V2