Von Helmut Blepp

Erika sprang vom Sessel auf und warf ihr Nähzeug auf den Tisch.

„Dieser Mist kommt mir aus dem Haus“, schrie sie aufgebracht.

„Aber, Liebes!“ Albert rang die Hände. „Bitte, nicht! Onkel Friedrich hat sich so gewünscht, dass ich seine Schätze in Ehren halte.“ 

Seine Frau war außer sich. Sie schnaubte empört.

„Wenn dein werter Onkel wirklich gewollt hätte, dass du dich um seinen Nachlass kümmerst, dann hätte er dir sein Vermögen vererben sollen, nicht diesen madigen Dreck.“ 

„Aber, Liebes“, flehte er erneut. „Schau dir doch diese wunderbaren Artefakte an!“

Er hob vorsichtig ein unscheinbares Säckchen aus dem Versandkarton. 

„Diesen Tabaksbeutel hat Onkel Friedrich vor vielen Jahren aus New Mexico mitgebracht. Ein alter Krieger hat ihm das gute Stück verkauft. Es stammt noch aus der Zeit der Indianerkriege im 19. Jahrhundert. Sein Vorfahre hat es damals nach einer berühmten Schlacht gegen die Blauröcke aus dem Hodensack eines Offiziers gemacht. Das ist Weltgeschichte!“ 

Erika zuckte angewidert zurück. Bevor sie etwas sagen konnte, holte er hastig einen weiteren Gegenstand aus der Verpackung. Es war ein mumifizierter Fuß. 

„Den trug die Witwe des verstorbenen Häuptlings eines indigenen Stammes am Amazonas monatelang um den Hals.“ 

„Wäre mir auch ein Genuss“, knurrte Erika und wandte den Blick ab. 

„Das Tollste kommt aber noch, Schatz“, buhlte Albert weiter um ihre Aufmerksamkeit. „Eine echte Rarität!“ 

Stolz präsentierte er ihr eine faustgroße schwarze Kugel, an der ein Büschel Haar hing. Es war ein Schrumpfkopf. 

„Aus Neu-Guinea“, verkündete er. „Schau dir nur diese feine Handarbeit an. Die Naht, die die Augen verschließt, die von kleinen Knoten zusammengehaltenen Lippen, die Haut, in der jede Falte, jede Narbe erhalten ist. Es wirkt so lebensecht, als würde er nur schlafen.“ 

„Fuchtle nicht mit diesem Ding vor meiner Nase herum, sonst drehe ich durch. Verdammt, nimm es weg!“ 

Sie stampfte wütend aufs Parkett. Noch nie in ihrer zwanzigjährigen Ehe war sie dermaßen ausgerastet. Ratlos stand er vor ihr und massierte nervös das ausgeprägte Grübchen in seinem Kinn. 

„Lass uns doch einmal drüber schlafen“, machte er einen neuen Versuch. 

„Nie und nimmer! Ich würde kein Auge zumachen mit diesen Leichenteilen unter einem Dach. Jetzt sieh endlich zu, dass du Land gewinnst! Entsorge die Kiste irgendwo, aber so, dass keine Kinder sie zufällig finden! Die würden ja einen Schock fürs Leben kriegen.“ 

Albert gab sich geschlagen. Er wusste aus vielen Auseinandersetzungen, dass er ihr hoffnungslos unterlegen war. Vor Ohnmacht bebend hob er den Karton vom Wohnzimmertisch und verließ schwerfällig den Raum in Richtung Diele, um seinen Mantel zu holen. 

Erika beruhigte sich. Sie atmete einige Male tief durch. Dann griff sie nach ihrer Handarbeit und setzte sich. 

„So ein Idiot“, murmelte sie. 

 

Die Angelegenheit war bald vergessen. Albert trottete jeden Morgen ins Büro, um sein langweiliges Angestelltendasein zu fristen. Erika kümmerte sich morgens um den Haushalt und genoss die entspannten Nachmittage ohne ihren Mann.

Einmal aber suchte sie in seinem Sekretär nach dem Ordner mit den Kontoauszügen, um eine Bankverbindung nachzuschlagen. Da entdeckte sie einen unauffälligen weißen Schuhkarton ganz unten im rechten Fach. Neugierig nahm sie den Deckel ab. Augenblicklich wurde sie rot vor Zorn.

„Dieser Scheißkerl hat mich hintergangen“, stellte sie im Selbstgespräch fest. „Lügt der mir doch frech ins Gesicht, er hätte alles weggeschafft. Dabei ist dieser unappetitliche Kram von seinem verrückten Onkel die ganze Zeit im Haus gewesen. Na, der kann was erleben!“ 

 

Es dauerte Monate, bis sie im Darknet einen Interessenten fand. Sie traf sich mit ihm im Hinterzimmer einer schummrigen Kneipe. Sein unsteter Blick unter den buschigen Augenbrauen machte sie gleich nervös, doch sie war entschlossen, das Geschäft durchzuziehen. Sie stellte die große Einkaufstasche auf den Tisch und holte einen Schuhkarton daraus hervor. 

Der Mann schaute sich um. Sie waren allein, die Tür geschlossen. Aus dem Schankraum ertönte Schlagermusik.

„Zeigen Sie her!“, zischte er mit rauer Stimme, und es klang wie ein Befehl. 

Sofort schob sie die Schachtel zu ihm hin. Er nahm den Deckel ab und schien für einen Augenblick verwirrt.

„Zwei?“, fragte er. „Am Telefon ist nur von einem die Rede gewesen.“ 

„Wenn wir uns über den Preis verständigen, können Sie beide haben.“ 

Gespannt wartete sie auf seine Reaktion. Er nahm eines der Objekte aus dem Karton, legte es vorsichtig wie ein rohes Ei auf seine Handfläche und betrachtete es genau. Er konnte seine Begeisterung kaum verbergen. 

„Wo haben Sie das her?“ Seine Hände zitterten leicht vor Aufregung. „Das ist eines der besten Stücke, die ich je gesehen habe.“ 

„Es stammt aus dem Nachlass eines entfernten Verwandten. Er war Anthropologe.“ 

„Verstehe!“ 

Er schien mit der Antwort zufrieden und wandte sich wieder dem Präparat zu. Fast andächtig strichen seine Finger über das feine Garn der zugenähten Augen, über die mit winzigen Knoten verschlossenen Lippen – und zuletzt über das ausgeprägte Grübchen am Kinn des Schrumpfkopfes.