Von Viktoria Wehrle

 Ich glaubs ja nicht! Der zieht an mir vorbei. Dickes Auto mit sattem Sound.

He, hier ist 100! Meine Tachonadel zittert angespannt bei 120.  Mehr geht nicht. Aber ich kann warten. Gleich geht es die Kurven steil hoch durchs Höllental. Dich pack ich noch!

 

Als Kinder hatten wir eine Schallplatte. Mit Geräuschen von Autorennen. Kurz vor dem Start  ein  leises unregelmäßiges Brummen. Ich konnte die angespannten glänzenden Karosserien vor mir sehen, ein und aus atmen, sich gegenseitig belauern und dann ein Schuss und WROOOM bebte unser Wohnzimmer.  
Es geht los. Die erste Kurve in Sichtweite. Geschwindigkeitsbeschränkung. 50. Ich fahre mit 90 auf der linken Spur in die Kurve, ein kurzer Tipp auf die Bremse und sofort in der Kurvenmitte wieder Vollgas.

Jetzt hab ich ihn! Nicht rüber gucken. Locker zieh ich an dem Dicken vorbei und wechsle wieder vor ihn auf die rechte Spur. Hier haben sie alle Schiss. Als nächstes ein kurzes grades Stück Steigung. Das wäre die Chance für den Dicken mit seinem starken Motor. Klarer Vorteil für ihn. Aber der ist noch mit der letzten Kurve beschäftigt.
Jetzt schließt er auf. Vor mir ein Wohnmobil. Ich wechsle wieder auf die linke Spur. Der Dicke zieht sofort mit rüber. Hängt auf mir drauf.  Nee. Ich geh bestimmt nicht mehr auf die rechte Spur.  Da vorne winkt mir schon mein Verbündeter zu. Der Kreuzfelsen. Eine ganz enge steile Kurve führt um ihn herum. Hier fallen jedes Jahr 3 LKWs um, weil sie schneller als die vorgegebenen 10 Stundenkilometer   fahren. Erst kürzlich ein spanischer Zitronenlaster.

Ich bleibe auf dem Gas und auf der Überholspur.

 

Letzte Woche war Familientreffen bei Muttern. „Lust auf eine Spritzfahrt mit meinem neuen Auto?“ begrüßt mich mein Bruder.

 

 

Ein nagelneuer 911er. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und atme

tief ein. Der Geruch nach Leder und nach schnellem Auto. Ich sauge es auf, das muss ich speichern. Meine Hand fährt zärtlich über das Armaturenbrett. Wurzelholz. Nach ein paar Minuten sind wir auf der Beschleunigungsspur auf der Autobahn. Kick down.

Der  Geschwindigkeitssog presst mich tief in meinen Sitz, ich kriege kurz keine Luft mehr. Wie im Flugzeug. Nee. Schöner.  Viel schöner.
„Wie viel PS?“ presse ich kurz heraus. „540.“
Wenn ich die nur hätte. Aber dem Dicken zeig ich, dass Auto fahren nichts mit PS zu tun hat. Auf der rechten Spur ein Bus. Von oben kommt ein Tanklastwagen – oh das liebe ich.  In der Kurve mittig auf der Überholspur durch beide durchfahren. Das trauen sich nur wenige. Das ist meine einzige Chance, die unfairen PS Zahlen auszugleichen. Ha, wusste ich es doch. Der Dicke fällt zurück. Ich sehe nicht mal mehr seine Lichter.
Aber noch habe ich es nicht geschafft. Jetzt die letzte Kehre bevor ich oben bin und die Strasse wieder gerade verläuft. Ich sehe wieder Schweinwerfer im Rückspiegel. Er holt auf. Jetzt muss ich auf dem Gas bleiben, sonst war alles umsonst!
Wie konnte ich so blöd sein und einen Fiesta mit 70 PS kaufen. Auf dem Hof stand ein gebrauchter Fiesta ST mit 183 PS.  Ich höre meinen Autohändler noch: „Nee, lass mal ist nichts für dich“ und die Kollegen in der Mittagspause haben auch abgeraten. „Oje, lass lieber die Finger davon, 70 PS reichen doch für dich.“ Keiner von denen ist jemals mit mir gefahren. Die kennen mich nur zu Fuß!

 

Ich muss das Gaspedal jetzt voll durchdrücken, sonst hab ich verloren. Konzentration! Gleich kommt der Abzweig nach Hinterzarten. Da wird es einspurig. Da kann mich keiner mehr überholen. Der Dicke kommt näher. Jetzt blendet der noch auf.  Noch 300m.

 

 

Gaspedal und Unterboden sind miteinander verschmolzen. Jetzt! Ich grinse die Scheinwerfer im Rückspiegel an und gehe runter auf 70. Hier ist Geschwindigkeitsbegrenzung.

 

Morgen guck ich ob der ST noch im Hof steht.