Von Klaus Freise

Becky Summers hatte mich angerufen.

Ob ich mit ihr ins Autokino fahre?

Ob ich den Wagen von meinem Dad kriegen könnte?

Wow,sie hatte mich angerufen. Mich. Fast fiel mir der Hörer aus der Hand.

Aber da wir beide das gleiche Handycap hatten, war die Bitte dann doch nicht so abwegig.

Auf meine Frage, welchen Film es gab, säuselte sie:

„Denn sie wissen nicht was sie tun.“

Natürlich. Heute lief der Film endlich auch in unserem Kuhdorf Jacksonville. Der alte Harper hatte schon seit dem Mai Werbung an seinem Kino aufgestellt. Jetzt hatten wir den 29. September. Hier in Alabama konnte man bei siebentausend Einwohnern froh sein, wenn man überhaupt ein Kino hatte.

Ich drückte den Hörer ans Ohr und sagte:

„Ja. Klar will ich. Wollen wir uns wieder verkleiden, Becky?“

Sie kicherte. „Hast du denn noch die Jimmy-Jacke? Das wäre toll, William.“

„Ja, Becky,“ fast hätte ich >ich dich auch< gesagt. Aber ich brachte nur zustande:

„Dann bis um acht, ich hole dich ab.“

Prima, ich hatte weder den Wagen, noch die Jimmy-Jacke. Die Jacke gehörte Bobby „Bumper“ McCoy, er arbeitete bei der Tankstelle an der Pelham Road.

Ich hasste Bumper McCoy.

Er war groß, stark, Held beim Football, Held bei den Mädchen und dumm wie ein Stück Toastbrot. Mit Butter drauf, wäre er schlauer.

Da gab es nur eins.

Ich drückte die Küchentür auf. Mein Vater saß zeitunglesend am Tisch, während Mom Eier mit Bohnen und Speck briet.

Ich ging um den Tisch, stellte mich neben ihn und blickte in der aufgeschlagenen Seite.

„Wow, die Bulls haben wieder gewonnen, haben in dieser Saison wohl einen Lauf.“

Mein Dad sagte, ohne mich anzusehen:

„Hast du Geld? Denn von mir bekommst du keins, Will. Nicht einen Cent.“

„Seit die den neuen Trainer haben, läufts in Chicago echt rund. Ich hab Geld, Dad. Wenn ich ihn wasche und volltanke, kann ich heute um acht ins Kino?“

Meine Mom hatte die Pfanne vom Herd geschoben, stemmte die Hände in die Hüften und fragte:

„Was willst du denn alleine im Kino?“, fragte sie.

Bevor ich antworten konnte sagte Dad:

„Wie heißt die Kleine doch gleich ?“

„Becky Summers, Dad.“

Zu meiner Mutter gewandt meinte er:

„Sie hat das gleiche Problem wie William.“ Dabei deutete er auf meinen Mund und kramte den Wagenschlüssel aus der Tasche. Gerade als ich zufassen wollte, schloss er die Hand.

„Vollgetankt und gewaschen, klar?“

„Ja, Dad.“

„Keine Kratzer, kein Popkorn oder Coke-Flecken, klar.“ Er spähte über die Zeitung und fügte hinzu: „Überhaupt keine Flecken, klar?“

„Ja, Dad.“ Der Schlüssel fiel in meine Hand.

Als ich die Küche verlassen wollte, meinte Dad:

„Wo willst du denn jetzt hin?“

„Oh, ich wollte … also mit dem Waschen und Tanken schon anfangen. Ich bin bei McCoy`s Tankstelle.“

Meine Mutter rief mir nach:

„Ladt deine Becky doch mal zu uns ein, ich kann ja einen Brei kochen oder so.“

Der 54er Chevy war nur ein Jahr alt und, weil Dad einen Dienstwagen hatte, praktisch neu.

Dementsprechend glotzte Bumper auch, als ich bei ihm hielt. Blöderweise grinste ich beim Aussteigen von einem Ohr zum anderen. Sofort legte er den Kopf schief und starrte auf meinen Mund.

„Rostet das Ding eigentlich?“

„Hey Bumper, volltanken und waschen. Ach, und wenn du mir nochmal die weinrote Windjacke leihen könntest, gibt’s einen Dollar extra.“

Er stopfte die Pranken in seinen Overall und sagte:

„Fünf oder verpiss dich. Außerdem ist es eine Baseballjacke, Idiot.“

Seufzend zog ich das Geld aus der Hosentasche, vielleicht war er doch nicht so dumm.

Als ich eine halbe Stunde später vom Hof fuhr, rief er mir nach:

„Brauchste noch Öl? Dann rostet das Ding nicht.“

 

Becky trug so ein Kleid wie Natalie Wood, naja, von dem Blümchenmuster mal abgesehen, sah sie ungefähr … in etwa … zumindest hatte ich meine Jimmy-Jacke, meine Haare gegelt und solange ich den Mund nicht aufmachte…

Es war schon dunkel, als wir bei Harper`s Kino ankamen. Ich kurbelte das Fenster herunter und löste zwei Tickets.

„Wollt ihr noch ne Heizung? Oder Popcorn?“

„Oh, nein danke Mr. Harper.“ Er hängte den Lautsprecher an die Scheibe, und ich kurbelte das Fenster wieder hoch.

Becky strahlte. Bei mir strahlte sie immer. Auf der Highschool hatte sie in der Klasse immer verhalten den Mund verkrampft, aber hier konnte ich zurück lächeln.

„Der Wagen ist echt toll.“

„Ja, Bumper hat ihn gewaschen.“

„Bumper McCoy?“ Sie rutschte auf der Sitzbank zu mir rüber, da der Wagen eine Lenkradschaltung hatte, fehlte der Mitteltunnel. Dann hauchte sie mir ins Ohr.

„Du bist soo cool, William Brody.“

Ich legte meinen Arm um sie.

Sie legte den dunklen Lockenkopf an meine Schulter.

Während ihre Hand über mein T-Shirt wanderte, hatte ich Probleme, dem Film zu folgen.

Aber Jimmy war wieder großartig und mir wurde warm. Ich rutschte dichter an sie heran und flüsterte in ihr Haar:

„Du duftest so gut.“ Ihre Hand zupfte jetzt mein Shirt aus der Jeans.

„Becky Summers, ist das okay, wenn ich dich jetzt küsse?“

Sie drehte sich zu mir, nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich. Dabei machte sie:

„Hhmmm …“

Mein Herz prallte an die Rippen.  Bevor ich auch Hhmmm machen konnte, zog sie mein Kinn nach unten und ihre flinke Zunge sauste durch meine Mundhöhle wie eine Flipperkugel.

„Hhmmm …oh Will“

Jetzt hatte sie meine Jeans geöffnet, während ich noch zaghaft an ihre Brust griff. Ich hatte Becky gewaltig unterschätzt.

Ich bekam den Mund gar nicht wieder zu. Ihre Zunge war überall und die warme Hand in meiner Jeans …

Ein ganzer Ozean rauschte in meinen Ohren. Mein Herz hatte den Körper verlassen und war zu Becky übergesprungen. Vor meinen Augen tanzten Funken und Regenbögen vor einem Feuerwerk …

Gerade als sie mich geschickt mit ihrer Hand so massierte, dass ich alle Muskeln verkrampfte, machte es Klick.

Klick in meinem Mund.

Klick in ihrem Mund.

Unsere Zahnspangen hatte sich vereinigt. Untrennbar.

Ich riss die Augen auf und starrte in ihre braunen riesigen Monde. Panisch wollte sie den Kopf bewegen. Meine Oberlippe spannte sich und etwas salziges metallisches tropfte auf meine Zunge. Schnell presste ich beide Hände an ihren süßen Lockenkopf.

„Mhhmm Mhmm“, brachte sie panisch hervor. Tränen liefen über ihre Wangen und meine Lippen.

Ich weiß nicht wie ich es schaffte, sie zu beruhigen, aber es gelang uns gleichmäßig zu atmen.

Zeit und Raum wollten uns gefühlte Jahrzehnte festhalten.

Irgendwann, als Becky`s Tränen meinen geöffneten Mund überfluteten und wir beide innig vereint zu ersticken drohten, wurde die Tür aufgerissen. Harper leuchtete in den Wagen und sagte:

„So ihr Turteltauben, jetzt ist aber Schluss.“

Entsetzt starrte er uns an. Unser Speichel, ihre Tränen und mein Blut hatte uns vom Kinn an abwärts besudelt.

 Als er mit der Lampe auf meine Hose leuchtete, sah er noch mehr Flüssigkeit.

„Ihr seit ja pervers. Ich rufe jetzt den Sheriff.“ Damit knallte er die Tür zu.

Jetzt kamen mir auch die Tränen.

Der Sheriff war mein Vater.

Mühsam versuchte ich, mit dem Ärmel von Bumpers Jacke, die Spuren etwas zu beseitigen. Aber Becky hatte durch die unbequeme Haltung keine Kraft mehr.

Durch die Fenster zuckten blaue und rote Lichter. Mein Vater würde den Wagen erkennen, er würde … ich wusste es nicht. Ich wollte hier und jetzt in Becky`s Armen sterben.

 

Die Fahrertür wurde geöffnet. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe traf mich im Gesicht.

„Mein Gott, Chief, sehen Sie sich das an. Der Kerl hat ihr die Zunge abgebissen.“

Das war Deputy Dwayne Johnson.

„Lass sie los du …“ Eine Hand legte sich auf den Arm von Johnson.

„Is gut, Dwayne, ich kenn die beiden.“

„Aber …der beißt sie ja immer noch, dieses Schwein.“

Ohne seinen Deputy anzusehen hockte sich mein Vater vor die geöffnete Tür.

„Du kannst dich verpissen, Dwayne.“

Mein Vater war nur aus einem Grund der beste Sheriff von Jacksonville.

Mein Vater war cool.

„Fie Flammer Flemmt“, brachte ich mühsam hervor.

Er nahm meinen Kopf vorsichtig in beide Hände. Becky schloss die Augen. Langsam zog er nach oben.

Dann machte es Klick.

Nachdem ich mich und Becky mit einem Handtuch gereinigt hatte, sah mein Vater mich ernst an.

„Bring sie nach Hause.“

Keine Ohrfeige, keine Schelte, kein Wutausbruch. Er hatte noch die ganze Nachtschicht bis morgen um sechs. Aber dann …

Becky hatte sich schon soweit gefangen, als sie einen Anpfiff bekam, weil wir so spät zurück kamen. Aber das wars dann auch.

Mom schlief schon, als ich nach oben ins Bett schlich.

Der nächste Morgen wurde zum Albtraum.

Als Mom an meine Tür klopfte, zeigte meine Uhr Zehn an. Dad hatte mich ausschlafen lassen, oder war er noch gar nicht zurück?

 

„Becky Summers ist am Telefon“, sagte Mom. Während ich die Treppe runter lief, überlegte ich, wie schnell jemand schwanger werden konnte.

„Hey Becky, es tut mir leid …“

Sie schluchzte, also hatte sie vermutlich die Nacht über geweint.

„Du weißt es noch gar nicht, oder William?“

„Was weiß ich nicht? Hör zu Becky, ich wollte nicht …“

„ Er ist tot William, hast du die Nachrichten nicht gehört. Ist das nicht schrecklich? Ein Autounfall sagen sie.“

„Wer ist tot, Becky. Wer?“

Sie schluchzte wieder.

„Jimmy ist tot. Jimmy Dean hatte einen Autounfall.“

 

 

 

Version 2