Von Diana Osieja

Die Sonne schien auf die Lichtung in deren Mitte ein kleines, äußerst appetitliches Häuschen stand. Gerade öffnete sich die Tür und eine ältere Dame, in Schürze und mit Mehl bestäubt, trat heraus. In ihrer Armbeuge hing ein schwerer, geflochtener Korb mit einem rotweiß karierten Tuch darauf.
Schwer atmend, aber offensichtlich zufrieden und glücklich setzte die etwas mollige Frau den Korb an der Türschwelle ab und blickte nach oben. Das Dach war die letzte große Aufgabe nach all den Restaurierungsarbeiten der letzten Tage.

Einmal tief Luft holend, um Kraft für die kommende Arbeit zu schöpfen wandte sie sich dem Schuppen zu.  Von dort schleppte sie schnaufend eine hohe Trittbrettleiter heran und stellte sie nahe der Außenwand auf. Es kostete viel Kraft den schweren Korb auf das obere Trittbrett zu wuchten, doch als er endlich oben war grinste die Dame schelmisch.  

Als sie jedoch das Ausmaß des Schadens endlich vollständig überblicken konnte, verdüsterte sich ihre Miene. Sie nahm die erste Schindel, studierte die Schäden und ließ sie dann achtlos zu Boden fallen. Ein Stück nach dem anderen vom Dach klaubend wurde die Lücke größer, bis keine beschädigte mehr zu finden war. Die Dame besah sich weiterhin jede Schindel einzeln, wollte sie doch wissen, wer sich da heimlich an ihrem Haus zu schaffen machte. Ihre Vermutung bestätigte sich und ihr Zorn wuchs.

Endlich waren alle auszutauschenden Schindeln entfernt.

Fast schon feierlich hob sie das Tuch vom Korb und beugte sich summend über den Korb. Sie nahm den etwas ölig glänzenden Ersatz aus Marzipan heraus und fügte ihn ins Dach ein. Danach kam eine Lebkuchenschindel dran. Immer noch vor sich hin summend arbeitete sie zügig und sehr penibel weiter. Ihre Laune stieg bei jedem eingesetzten Ziegel. Nach und nach wurde das Loch mit einer Süßigkeit nach der anderen abgedeckt.

Als sie gegen Mittag fertig war, stieg sie umständlich von der Leiter herab, nahm den Korb dabei gleich mit und ging ein paar Schritte vom Haus fort. Sie wollte aus einiger Entfernung ihre Arbeit betrachten. Zufrieden stellte sie fest, dass ihr Werk wunderbar zu den anderen Süßigkeiten passte. In den letzten Tagen hatte sie schon einiges ausbessern müssen: zwei Fensterrahmen, die Dachrinne, mehrere Treppensteine, vereinzelte Zierbalken, einen Fensterladen und viele kleine Ecken und Flächen am Haus. Nun aber war sie fertig und ihre Wohnstatt sah wieder intakt und einladend aus.

Gut gelaunt betrat sie ihr Häuschen und wandte sich der Küche zu. Nach dem Backen sah es hier immer aus als wäre eine Mehlbombe eingeschlagen – dieses Chaos musste sie auch noch beseitigen. Schon schwang sie den Lappen und den Besen.

Zufrieden setzte sie sich nach getaner Arbeit in ihren Schaukelstuhl und genoss die Ruhe und die wohlverdiente Pause. Aber es war erst kurz nach Mittag und ihre arbeitsamen Hände ließen sie nicht in Ruhe. Eigentlich wollte sie auf jene warten die regelmäßig Vandalismus an ihrem Haus betrieben und ihnen einen gehörigen Schrecken einjagen, aber sie konnte einfach nicht still sitzen bleiben. Dann fiel ihr Blick auf die Überreste der Schindeln und schnell war der Entschluss gefasst: Sie würde nicht warten, sondern lieber ein paar Kinder besuchen. Wie eine Traube würden sie sich um sie tummeln, mit offenen Mündern, großen Augen und mit der einen oder anderen verstohlenen Träne des Glücks.

Rasch war ihr Korb erneut gepackt mit den Resten des Daches und einigen anderen Spezereien. Ein kurzer Blick zurück auf die Reparaturarbeiten, dann machte sich bestens gelaunt auf den Weg in die Stadt.

 

„Endlich ist sie weg!“, tönt Heinz zufrieden.

„Es hat ja lang genug gedauert.“, stimmt Gitta – seine Schwester –  ihm zu.

Beide lachen gehässig und spähen hinüber zum Lebkuchenhaus. Der hübsche Einspänner in dem sie sitzen, ist weich gepolstert und aufwendig verziert. Das Dach ist eingeklappt und lässt sich schnell bei Regen aufstellen, sodass die Insassen geschützt sind. Der Kutscher, ein Mann mittleren Alters, sitzt zusammengesunken auf den Bock und wartet ab. Die beiden recht fetten Kinder geben dem Diener ein Zeichen und schon setzt sich der Einspänner in Bewegung und hält direkt vor dem Haus der alten Dame. Gierige Blicke treffen auf die Süßigkeiten und Spezereien, aber weder Gitta noch Heinz steigen aus dem Wagen.

„Nils! Ich möchte die Zuckerstangen-Türklinke haben!“

„Nils! Bring mir ein Stück der Regenrinne aus Schokoguss!“

„Und dann ein paar Honigküchlein von der Wand…“

„und…“

Genervt und ungehalten steigt der Kutscher ab, bindet das gute Pferd mit einem Pflock am Boden fest und holt die gewünschten Dinge. Klettert an und auf dem Süßigkeitenhaus herum, während die beiden Gören immer mehr verlangen. Kuchen, Schokolade, Marzipan, Lebkuchen und noch vieles mehr sammelt sich im Wagen. Gitta und Heinz lachen gehässig, als der arme Nils verklebt, bekrümelt und mit Schokolade in allen Farben verschmiert die letzten Wünsche in den Wagen hievt. Zwar sehen ihre Mäuler und dicken Finger nach einer Weile genauso aus, aber das ist natürlich etwas ganz anderes.

Überall im Einspänner türmen sich die Süßigkeiten – Gitta und Heinz können sich kaum bewegen, aber das ist für sie nichts Neues. Endlich geben sie das Zeichen zur Heimfahrt.

Geschickt wendet Nils die Kutsche und schnalzt dem treuen Pferd mit der Zunge zu. Sofort setzt es sich in Bewegung und trabt durch den Wald zurück zum herrschaftlichen Haus.

Währenddessen mampfen die beiden Kinder wie besessen von allem, was ihre Hände zu fassen bekommen, ohne wirklich zu schmecken und zu genießen. Manchmal beißen sie nur ein Stück ab und werfen es dann achtlos zur Seite oder gar aus der Kutsche. Am Anfang stopfen sie sich die Leckereien in ihrer Gier einfach nur in den Mund. Dann aber scheint eine Art stummer Wettbewerb im Vielessen zu beginnen – die Augen  verengen sich zu schmalen Schlitzen, die Hände fliegen immer schneller zum Mund, um ihn erneut zu füllen. Stopfen, kurz Kauen, Schlucken, Stopfen, kurz Kauen, Schlucken.

Gitta hat es auf einen Blumentopf abgesehen, doch im gleichen Moment hat auch Heinz das begehrte Objekt gesichtet. Beide greifen gleichzeitig danach und zerquetschen es dabei. Wütend fixieren die Geschwister sich. Egal wohin der Blick des einen geht, der Blick des anderen folgt sofort. Wurstfinger patschen durch das geklaute Essen. Alles wird vermengt, als die Kinder in ihrer Wut aufeinander losgehen inmitten der Süßigkeiten.

Der Einspänner schaukelt wild und ein widerliches Schmatzen begleitet jede Bewegung. Heinz und Gitta japsen nach Luft, als sie miteinander ringen. Der eine oder andere stinkende Furz rahmt das eklige Geschehen auch noch akustisch ein.

Endlich am Herrenhaus angekommen, quillt aus den Fugen und Ritzen des Wagens die süße Kost. Einzelne Brocken gleiten durch Honig oder Butter geschmiert die Seitenwand hinunter und zu Boden.

Heinz und Gitta jedoch sind zur Ruhe gekommen, verschmiert und erschöpft liegen sie im Essen. Sie halten sich die Bäuche. Leidende Gesichter, Bauchkrämpfe, wimmernde Stimmen und der alles übertönende Geruch von Fäkalien liegt in der Luft.

Nils jedoch lässt das kalt, in Gedanken formuliert er schon seine Kündigung.

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Die alte Dame kehrte beschwingt nach Hause zurück und lächelte vergnügt als sie die Verwüstung sah. Belustigt betrachtete sie jede abgebrochene Ecke und jedes herausgerissene Stück. Ein Lachen bahnte sich seinen Weg von der Brust herauf an die Oberfläche und schon bald saß sie mit Tränen der Erheiterung auf dem Boden und hielt sich den Bauch.

 

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Sie schmeckte es in der Luft, konnte es förmlich schon zwischen ihren Beißwerkzeugen spüren, aber dennoch war sie vorsichtig. Schon einmal war etwas von dem klebrigen, goldgelben Zeug an so einem Happen gewesen. Wenn sie damals alleine gewesen wäre, hätte sie elendig im süßen Saft verenden müssen. Glücklicherweise war sie aber nie alleine. Ihr Trupp umfasste mindestens 20 Arbeiterinnen, alle vom ASS –  dem Arbeitertrupp Sektor Süd.

Jedes Mal wenn die Erde bebte wie unter Trommelschlägen und das große Donnerhuf mit dem quietschenden Ding hinter sich vorbei zog, verteilte es die allseits beliebten Zucker- und Kohlenhydratbrocken. Das geschah alle paar Tage und soweit man gehört hatte rannte das Donnerhuf fast einmal komplett durch den Wald. Viele benachbarte Stämme rückten sofort aus, wenn die Erde sich beruhigte und das Laub sich gelegt hatte.

Nun hatten auch ihre Kameradinnen endlich den Duft bemerkt und sie rückten vorsichtig vor. Es konnte immer passieren, dass eines von diesen Pelzdingern in der Nähe war oder gar das widerliche Federvieh, das ebenfalls Anspruch auf die Beute erhob. Dieses Mal jedoch schien keines davon in der Umgebung zu sein. Vielleicht hatten sie auch schon etwas anderes gefunden und kein Interesse. Nicht das die Baumhüpfer gefährlich wären, aber es war schon oft vorgekommen, dass eine oder gar mehrere Kameradinnen ungewollt verschleppt wurden. Manche kehrten nie wieder zurück.

Sie standen vor dem bisher größten Brocken in der Geschichte ihres ASS-Trupps. Mehrmals umrundeten sie gemeinsam die Leckerei und schätzten dass mindestens 4 weitere Trupps von Nöten wären um den Giganten in passende Stücke zu zerlegen. Das Beste war jedoch, dass da nicht nur einer herumlag, sondern gleich mehrere in relativer Nähe. Wie eine ihrer Duftstraßen zog sich die Spur aus Leckereien durch den Wald.

Aber es kam ihr schon seltsam vor, dass keines der Pelzdinger in der Nähe war um ihnen den Happen wegzuschnappen. Die Mutigste unter ihnen erklärte sich bereit vorzukosten.

Schon nach einem Bissen hielt sie inne. „Da ist irgendwas Komisches dabei –  ölig und nicht so lecker wie sonst.“, signalisierte sie, doch als sie weder umkippte –  noch irgendwelche anderen Zeichen erkennbar waren, die auf etwas Ungenießbares schließen ließen – wurde der Startschuss gegeben. Diesmal würde es Tage dauern bis der eine gigantische Brocken abgearbeitet war – und davon lagen noch etliche in gerader Linie herum.