Von Anne Zeisig

„Erde zu Erde, Staub zu Staub.“

 

Ein wunderschöner, wamer Junitag, die Sonne sendet ihre wohligen Strahlen herab. Die Helligkeit dringt nicht in meine Pupillen, das verhindert die Sonnenbrille. Der schwarze Basthut mit grauer Samtschleife verhüllt mein halbes Gesicht, denn mir ist klar, dass das ganze Dorf auf meine Mimik achtet.

 

„Eiskalt steht sie am Grab, wie versteinert.“

„Zeigt keine Regung net!“

„Nichtmal ein Zucken um die Mundwinkel.“

 

Bin nie eine von ihnen geworden. War immer die Zugereiste.

Die arme Waise aus der Kleinstadt ohne Mitgift.

 

Er hatte mich aus der Kneipe, wo ich nach meiner Ausbildung kurzfristig als Buchhalterin tätig war, auf seinen starken Armen hinausgetragen aufs Land, auf seinen Hof, zu seinen Eltern, die recht froh waren, dass ihr Sohn mit Vierzig endlich eine Schwiegertochter ins Haus brachte.

Zudem eine zwanzig Jahre jüngere, die ihnen Enkelkinder schenken würde.

 

Ja! Es war Liebe! Er gab mir Geborgenheit und Sicherheit.

Ich zeigte ihm, dass ich auf dem Hof gut zupacken konnte. Auch bei der Verwaltung des Betriebes Geschick zeigte, mir die Schwiegermutter deshalb gerne das Büro überlassen hat.

 

„Dei Mann gehört aufs Feld und hat sein Talent in den Händen fürs Herrichten. Der Bube ist nie a Büromensch g’wesen.“

 

* * *

 

Der knallrote Lippenstift steht mir gut zu dem schwarzen Hosenanzug, den ich mir vor Jahren zur Bestattung des Schwiegervaters kaufen durfte, und die wasserfeste Wimperntusche wäre heute nicht notwendig gewesen, denn ich bringe keine Träne heraus. Auch darüber werden sie sich ihre Mäuler zerreißen.

 

„G’schminkt wie a Nutten.“

 

Meine Schwiegermutter schluchzt vornübergebeugt, der Bürgermeister hält sie untergehakt.

Wird doch gerade ihr heißgeliebter Sohn samt Heiligenschein ins Grab versenkt.

 

Meine Tochter drückt sanft meine Hand. Zumindest gedanklich. Wegen einer wichtigen Klausur kann sie mich nicht stützen.

 

„Mama! Fürs Erste kommst du zu mir!“

 

Habe bereits in aller Herrgottsfrühe meine Koffer gepackt und sie in der Scheune versteckt. Soll die Alte zusehen, wie sie alleine zurecht kommt. Das Zugticket knistert in meiner Jackentasche. Es fühlt sich gut an.

Brauche keinen Leichenschmaus mit etlichen Schnapserln, wie es hier Usus ist.

 

Die Mutter meines Mannes blickt mich mit zusammengekniffenen blassen Lippen streng an, zückt ihr Spitzentaschentuch und tupft sich die Tränen aus den Augen, die in tiefen, dunklen Höhlen liegen.

 

„Wennst aufs Hof-Erbe schielst, da hast dich verrechnet.“, zischt sie mir ins Ohr.

 

Ich lächele bitter. Habe zwanzig Jahre den Hof geführt, weil ihr Sohn an dem umfangreichen Schriftkram kein Interesse hatte. Hernach rackerte ich noch im Stall bis zu den Presswehen.

Kein Kindsbett war mir vergönnt.

Habe mit Fieber den Stall ausgemistet, sogar sonn- und feiertags, bin in der Kirche eingeschlafen vor Erschöpfung.

Aber ich tat halt meine Pflicht. War ich doch diejenige, die nichts, wirklich NICHTS mit in diese Ehe hinein gebracht hatte! Ich hatte NICHTS, außer meiner Arbeitskraft.

Und es ging uns ja gut, wenn wir abends vorm Kachelofen saßen und uns wohlig die Rücken wärmten, ich ein Buch aufgeschlagen hatte, um der Tochter etwas vorzulesen. Das liebte die Kleine.

Mussten nicht hungern und sie entwickelte sich gut.

 

* * *

 

„A Enkel hätt’ den Hof übernehmen können!“

 

‘Eine Enkelin könnte es auch, Schwiegermutter’, habe ich gedacht, ‘aber das will ich nicht. Bin froh, dass sie andere Vorstellungen hat.’

 

„Warst jung g’nug für an zweit’s Kind!“, hatte sie mich angegiftet, „hätt’st ihm an Stammhalter schenken können!“

 

Hat sie nicht sehen wollen, dass ihr Sohn längst ein Trinker war? So wie sein Vater? Der sich totgesoffen hatte?

 

* * *

 

„Hättest aufgepasst beim Einkauf, er könnte noch leben!“, hatte Schwiegermama mich angeklagt. „Hast nie in all den Jahren so an süßes, eklig’s Zeug auf den Tisch g’stellt!“

 

„Dein Sohn hätt ‘s selber lesen können.“ Ich setzte mich auf die Bank vor den Kachelofen, als würde ich dort Halt finden wegen der guten Erinnerungen.

 

„Mein Bub’ hat dir vertraut, und er hat früher auch keinen Tropfen Alkohol angerührt! Erst als das Kind gekommen ist, da haben ihn die schlechten Gedanken zum Trinken g’bracht.“

 

„Welche Gedanken? Getratscht wird viel! Früher und heute.“

 

„Und was war des mit dem Wenzel-Bauer sein Schorschie? Was, wenn ‘s Madel ein Kuckucksei is, welches du meinem Buben in die Wiege gelegt hast? DAS trieb ihn umher und zum Schnaps!“

 

„Ah, geh! Der Schwiegerpapa, dein Mann selig, hatte auch den Hang, sein Leben im Alkohol zu vergessen! Auch ohne Kuckuckskind! Oder?“

 

Die Augen der Schwiegermama glühten. Sie rückte ihren grauen Haardutt zurecht.

 

„Kei Ahnung net, von wem der Bub’ des hat“, sagte sie sichtlich ermattet, „sei Vada hat alleweil gut für uns g’sorgt.“

 

„Hat dein Mann auch im Suff auf dich eingedroschen?“ Wie fremd mir doch meine Stimme war.

 

Sie stand auf, plusterte ihre Wangen auf und zeigte anklagend auf mich: „Du hast den Buben auf dem G’wiss’n!“

 

„Es war SEINE Allergie, er hätte längst selbst die Verantwortung dafür übernehmen können!“

 

„Mei Bub’ hat sich auf dich verlassen! ‘s Weib is zuständig für die Küche!“

 

„Ich hab ‘s für die Tochter gekauft!“, schleuderte ich der Alten entgegen. „Konnte nicht ahnen, dass er so dumm ist, und … er hätte selber lesen können, dass es für ihn gefährlich sein kann!“

 

* * *

 

An dem Morgen, als es passiert ist, war mein Mädchen in den Semesterferien hier und eigentlich wollten wir zu Dritt frühstücken.

Es war so ein schöner Tag!

Aber der Kerl hatte mir ein Auge blau geschlagen, weil ich ihm nicht sofort das Schreiben von der Landwirtschaftskammer vorgelesen habe.

 

„Werd nicht wegen deiner Faulheit a teure Lesebrille in der Stadt beim Optiker kaufen! ‘s Geld fürs Saatgut ist wichtiger!“

 

Und wenn es nicht das Saatgut war, dann waren es die Ersatzteile für den Traktor, oder das neue Scheunendach. 

Er hielt die Fäuste immer noch geballt.

Da bin ich schnell in den Stall und habe mich um das Vieh gekümmert. Schämte mich auch vor dem Maderl, dass ich mir das bieten lasse.

Aber so ein Studium kostet ja auch.

Er hat ‘s bezahlt. Ich konnte nie was beiseite legen, weil seine Mutter weiterhin Kontovollmacht hatte.

Also saßen die Tochter und er morgens ohne mich am Tisch, den ich vorher so festlich gedeckt hatte.

 

* * *

 

‘Produkt kann Spuren von Erdnüssen enthalten’, hatte auf der Packung der Nuss-Nougat-Creme im Kleingedruckten gestanden. Aber ausschlaggebend für den Allergieschock seien die Haselnüsse gewesen, meinte der Doktor.

Als der Notarzt eingetroffen ist, war es zu spät.

 

* * *

 

„So ruhe sanft und in Frieden.“

Ich werfe eine Schaufel voller Lehm hinunter auf den Sarg. Das Ritual will es so.

 

Die Sonnenbrille verbirgt auch die Platzwunde unter meinem Auge. Anstandshalber tue ich so, als tupfte ich mir Tränen von den Wangen.

 

Dem Wenzel-Bauer sein Schorschie tritt an mich heran, wünscht mir Beileid und flüstert: „Hast nicht g’wusst, dass dein Mann nit lesen kann?“

 

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