Von Jolina Scholz

Ich musste mich entscheiden. Alles würde nicht in den Koffer passen. Und dieses ganze Dilemma hatte ich nur meiner beschissenen Stiefmutter zu verdanken. Wie ich sie verabscheute. Vor einem Jahr sah ich sie das erste Mal, mein Vater hatte sie zum Kuchenessen eingeladen und vorher das ganze Haus geputzt, was er sonst nie tat.
Marianne, so heißt das Biest, war an dem Tag schon unfreundlich zu mir, allerdings nur, wenn mein Vater gerade wegschaute.
Er heiratete sie auch schon nach 3 Monaten und war überglücklich, was ich ihm auch gönnte. Aber musste es unbedingt dieses Biest sein?

Denn dass Erste, dass sie nach der Hochzeit machte, war ihre Konten zusammenzulegen und von dem Geld, das mein Vater als Manager sehr üppig verdiente, zu profitieren. Als mein Vater dann zwei Monate später bei einem Autounfall starb, hatte das Biest schon die Erziehungsberechtigung für mich. Ich ging die ersten drei Tage nach seinem Tod erstmal nicht in die Schule. Ich wollte auch nicht auf seine Beerdigung, ich wollte seinen Tod nicht wahrhaben. Also verkrümelte ich mich in meinem Zimmer und badete im Selbstmitleid.

Allerdings schmiss mich das Biest auch schon nach dem ersten Tag aus meinem Zimmer und meinte, dass ich ab nun in unserem kleinen Gästezimmer wohnen müsste, so als neue Umgebung für die neuen Umstände, pah. Ich sagte aber nichts dazu, denn mir war es egal gewesen, wo ich im Selbstmitleid versank. Und ihr war es auch egal.

In der Schule sah jeder mich nur so voller Mitleid an, dass ich immer wieder daran denken musste, statt davon abgelenkt zu werden.

Allerdings erlöste mich das Biest schon nach der ersten Woche davon. Natürlich nur zu meinem Besten erzählte sie mir: „Du wirst ab nächstem Montag auf ein Internat gehen. Pack deine Sachen und lass mich mit deinem Anblick in Ruhe.“

Und da bin ich nun in dem Gästezimmer und packe das letzte T-Shirt in meinen Schrank. Denn es reichte ja nicht für meine Stiefmutter, dass ich im Internat wohnte, nein, ich sollte sie auch nicht besuchen können und so schickte sie mich auf die ganz andere Seite des Landes.
Ich klappte den Koffer zu, ganz oben ein Bild von meinem Vater. Ich vermisste ihn und auch das Haus mit den ganzen Erinnerungen an ihn und meine Mutter. Nur Freunde würde ich nicht vermissen, denn die hatte ich so ziemlich nicht. Egal wie doll meine Geschichte sich nach einem Märchen anhört, ich sah nicht nach der super schönen, aber armen Hauptperson aus. Weder war ich Schneewittchen mit schwarzen Haaren, denn meine waren blond, noch war ich Aschenputtel mit einer guter Fee. Ich hatte keine und wenn dann eine böse.
Nur über eins war ich froh: Dass ich das Biest nicht mehr sehen musste. Win-Win Situation also.

Ich schleppte meinen Koffer runter und setzte mich in einen Reisebus, der mich ins Internat bringen würde. Eine Verabschiedung gab es nicht. Die Geschehnisse zogen an mir vorbei und nach gefühlten zehn Minuten war ich auch schon vor dem Internat. Es sah nicht von schlechten Eltern aus, aber wahrscheinlich auch nur, weil sonst die Freunde meines Vaters über das Biest empört wären. Da sieht man mal, Erwachsene sind wieder wichtiger als Kinder für Erwachsene. Falls ihr versteht was ich meine.
Es sah wie ein kleines Schloss aus, mit seinen weißen Türmchen. Aber mich ließ der Blick kalt, denn Fassade kann täuschen. Ich meldete mich an und wurde schnell ins Zimmer 28 verwiesen.
Schon auf dem Gang wurde ich von drei Tussis beäugt und angemacht, was ich aber an mir abprallen ließ. An meiner Zimmertür kramte ich den Schlüssel aus der Hosentasche hervor und schloss auf. Ich erwartete ein Doppelzimmer und eine nervende Zimmernachbarin, aber dir Einrichtung ließ mich schnauben. Und wieder wurde mein Motto wahr, denn dass hier sah dann doch nicht nach guten Eltern aus. Nach kurzem Zählen wusste ich für wie viele Leute dieser kleine Raum gedacht war. Acht Leute auf vielleicht neun Quadratmetern. Wahrscheinlich konnte man hier die günstige oder die teure Variation buchen. In meinem Fall eindeutig die sehr günstige. Da konnte ich nur hoffen, dass meine Mitbewohner freundlich waren.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen, es quietschte übrigens beachtlich, und machte die Augen zu. Heute war Sonntag und ich würde erst morgen Unterricht haben. Also stand ich auf, ging aus dem Zimmer raus und schaute den Plan an.
Im Erdgeschoss wären die Unterrichtsräume und die Mensa, im zweiten Geschoss die Fitness und Unterhaltungsräume und darüber die Zimmer. Ich schaute mir alles noch mal aus der Nähe an und ging dann wieder zurück. Auf halbem Weg stolperte ich über ein Seil, das knapp über dem Boden gespannt war und hörte die Lacher von einigen Mädchen. Mit einer Beule am Kopf kam ich schließlich vor Zimmer an, aus dem einige Stimmen zu hören waren.

Ich klopfte einmal, obwohl es jetzt auch mein Zimmer war, und ging dann rein. Sieben Augenpaare schauten mich kritisch an. Eine Brünette hüpfte als erstes auf mich zu, ja sie hüpfte und klatschte dabei in die Hände.
„Halli hallo ich bin Sina und du? Ach auch egal, du scheinst zu uns zu passen, wir sind hier in der Schule die Außenseiter, weil unsere Eltern nicht so reich sind. Aber dafür sind wir die coolsten. Also das sind Max, Fabio, Lexa, Jeniffer, Andre und Kathe.“

Okaaay, sie hat das wie aus der Pistole geschossenen gesagt und ich habe jetzt schon keine Ahnung mehr wie sie alle heißen. Aber danke, ich schaue also wie ein Außenseiter aus.
„Hi, ich bin Eve“, weiter kam ich nicht, bevor Sina wieder weiter munter drauflos redete. Und so lernte ich dann doch schnell die Namen, denn sie erzählte mir zu jedem immer wieder etwas.
Am Abend gingen wir in die Mensa, um zu essen. Immer wieder wurde ich komisch beäugt, weil ich die neue Außenseiterin war, aber das ignorierte ich komplett, naja halb komplett.

Dann war es auch schon wieder Schlafenszeit und am nächsten Morgen machte ich mich mit Sina auf zu meiner Klasse. Die anderen sechs waren in anderen Klassen. Der Platz neben Sina war darum natürlich noch frei und so setzte ich mich einfach neben sie. Und dann fing der Unterricht auch schon an, ich musste mich nicht vorstellen, da ich schon gestern im Internat war, was für eine Logik!
Der Stoff ,der hier dran kam, haben wir bei uns Zuhause schon gemacht und so meldete ich mich immer mal wieder und döste die meiste Zeit. Ich musste manchmal an meinen Vater denken, aber nicht so oft wie Zuhause, da mich niemand voller Mitleid anguckte. Am Abend gingen wir noch in den Pool und legten uns dann mit vollen Bäuchen schlafen. Und so zogen die Tage nur an mir vorbei. Ich schaute mir mal die Aufenthaltsräume an, dann musste ich lernen oder wir spielten gemeinsam Kartenspiele.
Nach einer Woche hatte ich auch so ziemlich alles erkundet und fragte Sina und Kathe, was denn das Dorf unten zu bieten hatte. Nicht viel, wie mir später gesagt wurde. Ich ging aber trotzdem mal runter in die Bibliothek, um mir neuen Lesestoff zu holen und checkte nebenbei noch einmal meine Konto ab. Mir blieb der Mund offen stehen! Das Biest hatte mein Geld ausgegeben. Ich sparte seit Jahren auf ein eigenes Auto, das ich mir nach dem Führerschein kaufen wollte. Ich kriegte auch immer wieder von meinen Omas und Opas Geld dafür. Aber als meine Erziehungsberechtigte hatte sie Zugriff auf mein Konto und das hat sie mal wieder ganz ausgenutzt. Nur noch fünfzehn Euro. Uh, die konnte mich mal. Die ganze Woche hatte ich nicht an sie gedacht und jetzt kam sie mir so daher. Mal gucken, was sie dazu zu sagen hat, dachte ich mir und wollte sie anschreiben. Aber ich wurde von einer Nachricht überrascht.

 

Tja, Geld weg!

Und wenn du nächstes Jahr 18 bist:

Wohnung auch weg!

Mal schauen wie du Teufel dann noch schöner sein willst als ich, so ohne Haarkur und Gesichtsmaske:)

 

Tja, das hatte ich ganz verdrängt. Dass das Biest immer eifersüchtig auf mich war, da sie selbst sich als hässlicher als mich einschätzte. Dass sie mich schlug, damit ich hässlicher als sie wäre. Weil mein Vater mich ja öfter angesehen hat. Pah. Und schon wieder kamen mir bei seinem Gedanken die Tränen.

Aber jetzt hatte ich ein größeres Problem, nächstes Jahr hätte ich keine Wohnung mehr! Ich ging geschockt zurück ins Internat. Die nächsten Tage waren wieder eine Qual für mich. Ich dachte nur noch an mein riesiges Problem.

Selbst als ich Aiden, den beliebtesten Jungen unserer Schule kennenlernte, wurde ich davon bedrückt. Aber nicht so doll wie sonst. Erst schätze ich ihn auf arrogant ein, aber je öfter wir uns zu einem Spaziergang trafen, desto mehr mochte ich ihn. Mal wieder: Fassade kann täuschen. Er war immer zuvorkommend, nett und vor allem rücksichtsvoll. Er hackte nicht nach, wenn ich weinte und auch als ich ihm von meinem Vater erzählte, schaute er mich nicht voller Mitleid an, sondern tröstete mich nur. Die Schmetterlinge flatterten immer in meinem Bauch, wenn er in der Nähe war und schließlich wurden wir dann ein Paar.

Die ersten Ferien standen an und da ich in diesen Ferien noch einmal für ein Familientreffen nach Hause sollte, wurde ich immer unruhiger. Hatte Angst vor der Zukunft, die mir meine Stiefmutter zerstören wird. Denn ich wäre mit gerade Mal 18 nicht für Arbeit bereit, ich wollte studieren! Also erzählte ich Aiden schließlich von dem Biest, ließ den ganzen Kummer raus. Und er reagierte wie immer super lieb. Er nahm mich in den Arm und flüsterte mir zu, dass alles gut werden würde. Natürlich glaubte ich ihm das nicht, dieser Satz stimmt nie. Aber er erzählte mir, dass sein Vater als berühmter Anwalt sein Geld verdiene und er meine Stiefmutter für ihre Drohungen und Schläge hinter Gitter bringen würde. Ich sagte ihm natürlich, dass sie das nicht für mich tun sollten. Aber er überredete mich und gemeinsam gingen wir am letzten Wochenende zu seinem Vater, der schließlich das Biest verklagte. Ich bekam das Erbe und mein Geld wieder, außerdem war jetzt Aidens Vater mein Erziehungsberechtigter. Und so erfuhr dann auch der Freundeskreis von dem Biest. Und auch sie lernten dazu: Fassade kann täuschen!