Von Sabine Esser

Zärtlich streichelt Ivar sein Schneewittchen. Sie ist so wunderschön. Und sie lebt! Sie lebt tatsächlich!

 

Wie schlecht hatte man sie behandelt, bevor er sie rettete. Nur durch Zufall hatte er sie entdeckt. Er hatte nicht einmal nach ihr gesucht – er sah sie, und es war Liebe auf den ersten Blick. Dass sie eigentlich tot war und dass ausgerechnet er sie wiederbeleben könnte … Nein, daran war damals nicht zu denken.

 

Alle Freunde rieten ihm davon ab, es mit ihr zu versuchen. Er habe eine fixe Idee, sie würde ihn teuer zu stehen kommen. Er habe Null Erfahrung und überhaupt sei er bescheuert, sich mit ihr zu belasten.

 

Ivar aber verteidigte sie. Jede freie Minute gehörte ihr. Sie bestimmte sein Leben. Er sprach mit ihr, spielte ihr seine Lieblingsmusik vor und lernte sie so nach und nach in- und auswendig kennen. Was hatte man ihr alles angetan! Es dauerte Monate, bis sie zum ersten Mal zaghaft hustete. Ja, es stimmt, da küsste er sie sogar!

Bis aber die runden Kulleraugen zum ersten Mal leuchteten, brauchte es noch lange, lange Zeit und viel, viel Liebe.

 

Etwas beschämt erinnert er sich an seine heftigen Schläge und Flüche. Auch daran, dass er mehr als ein Mal aufgeben wollte. Dass er an ihr zweifelte. Aber auch an die heimlichen Ausflüge, die sie gemeinsam unternommen hatten. Erst nur ein paar Meter, dann schon etwas mehr. Wie sie lernten, einander zu vertrauen. Auf jedes kleine Zeichen zu achten.

 

Jetzt aber steht sie vor ihm und er vor ihr. Heute ist der große Tag. Er kann sich nicht satt sehen an ihrer Schönheit. Immer und immer wieder gleiten seine Blicke über ihre sanften Formen. Ja, sie ist einzigartig. Keine ist schöner als sie. Ochsenblutrot, elfenbeinweiß und schwarz wie Ebenholz. Klassisch sind ihre Farben. Sie ist wahrhaftig eine Prinzessin.

 

Ivar schluckt. Ihm ist zum Heulen. Lieber würde er sie nur für sich behalten und bewundern. Seine Freunde, die draußen warten, schickte er gern sonstwohin. Angst hat er, dass sie wieder vom „Schneewittchensarg“ reden. Dass sie sie verletzen. Es geht doch nur um sie und ihn. Um etwas ganz Privates.

 

Nur sehr zögerlich nimmt er die Fernbedienung in die Hand. Und sehr, sehr lange dauert es, bis er endlich auf den grünen Knopf drückt. Das Garagentor öffnet sich und Ivar startet Schneewittchens Motor. Sie weigert sich nicht.

 

Sie lebt. Sie hat eine Zukunft. Und er ist ihr Prinzgemahl, ihr Diener – für immer.

 

Version 2