Von Hans-Günter Falter

Es war gespenstisch. Was hatte er getan? Der ganze Raum war über und über mit Blut besudelt.

Alles kam irgendwie anders als geplant.

Dabei versprach es, ein harmonischer Abend zu werden. Er brachte Blumen mit, um sich zu entschuldigen. Natürlich, … er hatte sich gestern ziemlich daneben benommen, soviel war ihm klar, deshalb ja auch die Blumen.

Vor ihrer Wohnung holte er noch einmal tief Luft, bevor er dann entschieden zweimal kurz klingelte, so wie er es schon unzählige Male hier an ihrer Tür gemacht hatte.
Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Wohnungstür, … nur einen Spalt breit: „Was willst Du noch?“, fragte sie mit ihrer sonoren, unglaublich weiblichen Stimme.
Durch die leicht geöffnete Tür drang dieser Duft, dieser unbeschreibliche Duft. Unter Tausenden hätte er sie daran erkannt. Es fühlte sich so angenehm, so vertraut an.
„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte er und setzte dabei einen unterwürfigen Dackelblick auf.
„Und?, jetzt soll ich dir verzeihen, oder was? Und alles ist wieder gut?“
„Darf ich denn kurz hereinkommen?“
Sie überlegte einen Moment, machte die Tür dann weiter auf, um ihn hereinzulassen und ging den kleinen Flur voran in das Wohnzimmer. Dort drehte sie sich um, zog die braune Strickjacke mit diesem altmodischen Zopfmuster, die sie abends oft trug, dichter an ihren Körper heran und verschränkte die Arme.
Er hatte die Wohnungstür geschlossen und kam nun auch in das Zimmer. Die Blumen streckte er ihr hin und sagte noch einmal: „Entschuldigung!“
Sie blieb ungerührt stehen, würdigte die Blumen keines Blickes und schien nicht die Absicht zu haben, sie ihm abzunehmen.
„Ja, und weiter?“
„Wie weiter? Was erwartest du?“
„Ich erwarte gar nichts, du bist doch zu mir gekommen. Also sag, was du sagen willst, bevor du ganz schnell wieder gehst.“
„Ich möchte mich entschuldigen.“
„Du meine Güte, das hast du jetzt schon zum dritten Mal gesagt. Kommt da nun noch was hinterher oder nicht?“ Sie zog die Strickjacke nochmals etwas enger an ihren Körper. Die Hände hatte sie fast ganz in die Ärmel hineingezogen und hielt sich an ihnen mit den Fingerspitzen fest.
„Lass mich doch nicht so zappeln, ich habe mich entschuldigt, habe dir sogar Blumen mitgebracht, damit sollte doch alles zwischen uns wieder gut sein“, raunzte er sie mürrisch an und legte die Blumen, etwas unsanft, auf dem kleinen Tisch neben dem Fenster ab, dabei konnte sie die Waffe, die seitlich in seinem Gürtel steckte, sehen. Sie hatte die Beule unter seiner Jacke vorher gar nicht bemerkt.
Ein kaltes Gefühl breitete sich wabernd in der Wohnung aus, dabei fröstelte sie ja ohnehin schon. Wie konnte sie ihn, möglichst ohne Auseinandersetzung, wieder aus ihrer Wohnung bekommen?

„Okay, du hast dich entschuldigt, jetzt geh bitte wieder.“ Sie deutete mit einer leichten Handbewegung in Richtung Tür, ohne dabei den Ärmel ihrer Strickjacke loszulassen.
„Du willst mich einfach so wegschicken? Hast du eine Ahnung wie schwer es mir gefallen ist, noch einmal zu dir zu kommen?“. Er ging einen kleinen Schritt auf sie zu, während er sprach.
„Das glaube ich dir, aber du solltest trotzdem sofort gehen“.
„Nein, nicht bevor noch etwas anderes zwischen uns geklärt ist“. Er machte eine Pause, zog dann die Waffe aus seinem Gürtel und hielt sie in der Hand.
„Pack dieses Ding weg“, sagte sie mit zittriger Stimme, „du machst mir Angst.“
„Angst? Ja, … so wie gestern Abend?“
„Ja, genauso. Ich will nichts mehr davon hören.“
„Du wirst aber nicht drum herum kommen, etwas davon zu hören.“
„Lass mich gehen“. Sie versuchte sich an ihm vorbeizudrängen, aber er stellt sich ihr in den Weg und sie fing an hysterisch zu schreien.
„Du bleibst“, sagte er. Verzweifelt stürzte sie sich auf ihn, trommelte mit den Fäusten wild und unkontrolliert auf ihn ein.
„Peng, … Peng“, sagte er jetzt.

„Ja, so könnte es gewesen sein, die Situation ist eskaliert und es kam zum Kurzschluss.“
„Oh, wie gut, dass es Kolleginnen wie dich in unserem Morddezernat gibt, die sich, beim Nachstellen eines Tathergangs, so ganz in die Opferrolle hinein fühlen können.“
„Ja, nicht? Vielen Dank auch für die Blumen.“

„Sollen wir noch was trinken gehen?“, fragte er.
„Auf jeden Fall möchte ich jetzt schnell aus dieser Wohnung raus, hier riecht es nach Tod und es ist mir sehr unangenehm, wenn ich versehentlich auf die Klebestreifen der Spurensicherung trete, mit denen die Lage der Toten auf dem Boden markiert ist. Das Blut hier überall macht es auch nicht besser.“
„Kann ich gut verstehen, geht mir nach all den Jahren auch noch so.“
„Lass uns doch zu mir gehen, ich hab noch ne große Peperoni-Pizza im Kühlschrank, die ich gestern gebacken habe, hast du Lust drauf?“
„Liebste Kollegin, was kann es Schöneres geben, als eine Pizza mit dir zu teilen … als Vorspeise.“
„Hauptspeise“, sagte sie mit Nachdruck und schaute ihn dabei eindringlich an, bevor sie anfügte: „Mach dir keine falschen Hoffnungen. Nimmst du die Blumen bitte mit?“

*

„Ganz sicher bin ich mir noch nicht“.

„Wovon redest du, Herr Kollege, wobei bist du dir nicht sicher?“

„Na, ob es so war, wie wir es vorhin rekonstruiert haben.“ Er ließ sich nachdenklich auf das Sofa in ihrem Wohnzimmer fallen.
„Hier ist deine Pizza“. Sie stellte seinen Teller vor ihm auf den niedrigen Couchtisch und setzte sich mit ihrem auf den Sessel gegenüber.

„Irgendetwas daran gefällt mir nicht.“
„Iss erstmal, sonst wird die Pizza wieder kalt, ich will sie nicht noch einmal aufwärmen. Klar, wir wissen zu wenig über den Vorabend. Was ist da passiert? Warum wollte er sich entschuldigen? Er hat dazu noch keinen Ton gesagt.“

„Natürlich nicht, steht ja noch unter Schock.“

„Die beiden müssen einen sehr ernsthaften Streit gehabt haben“, erwiderte sie und nahm ein Stück Pizza in die Hand.
„Die Pizza schmeckt irgendwie komisch.“

„Was?, ich habe sie gestern frisch gemacht.“ Sie biss ein Stück ab und schüttelte den Kopf, „ist doch alles okay“.

„Nein, ist es nicht. Willst du mich umbringen?“
„Jetzt mach mal halblang und beruhige dich“. Sie stand auf und ging zu ihm, um seine Pizza näher zu betrachten.

Als sie sich neben ihm herunterbeugte, griff er sie unsanft am Oberarm und schleuderte sie mit einem Ruck auf das Sofa. Sofort versuchte sie wieder aufzustehen, aber er hielt sie mit eisernem Griff fest.

„Lass mich sofort los, du tust mir weh“, schrie sie ihn an, so energisch, wie es ihr jetzt möglich war, „was ist denn in dich gefahren?“

„Wieso … kannst du nicht mal … eine vernünftige Pizza machen?“, fragte er mit langgezogenen Pausen und leicht verdrehten Augen. „Einfach nur … eine vernünftige Pizza.“

„Lass mich endlich los, du machst mir Angst“. Sie spürte seinen warmen, feuchten Atem, der nach Tomatensoße und scharfer Peperoni roch, und versuchte sich aus seinem Griff zu winden.
„Oh, ich mache dir Angst. Das tut mir aber sehr leid.“

Plötzlich stand er auf und ließ ihren Arm los. Ohne ein weiteres Wort ging er durch den kleinen Flur direkt zur Tür und verließ die Wohnung.
Nasenflügelbebend schaute sie ihm mit verängstigtem Blick nach.

Mit zittrigen Knien stand sie auf, nahm die beiden Teller und brachte sie in die Küche.
Aus dem Kühlschrank holte sie eine Flasche, öffnete sie und schenkte Bier in die beiden Gläser ein, die sie zuvor für sich und ihren Kollegen bereitgestellt hatte.

Jetzt hörte sie, wie an der Wohnungstür behutsam ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und gedreht wurde, die Tür sprang auf.
Er war wieder da und kam mit schnellen Schritten und breit grinsend direkt zu ihr in die Küche.

Sie hatte die beiden Biergläser in der Hand, reichte ihm eins und sagte: „Jetzt ist aber wirklich Feierabend. Schluss mit der Polizeiarbeit, irgendwann reicht es einfach mal.“

„Du hast ja so recht, aber es war wieder einmal richtig gut mit dir, sehr realistisch, obwohl … irgendetwas gefällt mir immer noch nicht …