Talita Schönberg

„Wie ich auf diese Idee gekommen bin? Nun, durch einen Schreibexkurs für Autoren an der Volkshochschule. Sehr inspirierend muss ich sagen, kann ich Ihnen wärmstens empfehlen. Dort wurden uns vom Kursleiter Tipps zur Verfeinerung unseres Schreibhandwerks und zur Erhöhung der Leserzahl vorgestellt. Das wichtigste sei vorab eine gute Marketingstrategie. Sehr anregend waren auch die Ratschläge zum Schreiben selbst. Ganz besonders betonte er immer: Weniger ist mehr! Manchmal musste man ausgefuchste und liebgewonnene Passsagen und Charaktere im Text eliminieren, um den roten Faden nicht komplett zu verlieren. Kill your Darlings, nannte er es und genau da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mir wurde bewusst, dass es Rainer war, der mich ausbremste und mein Selbst veränderte. Ich liebte ihn von ganzem Herzen, ja ehrlich, aber durch ihn war ich im Begriff, den roten Faden meines Lebens komplett zu verlieren.“

Irritiert musterte mich der junge Assistenzarzt, der mir gegenüber auf einem Stuhl saß, als könne er zwar den Worten folgen, nicht aber dem Inhalt. Lasziv ließ ich den Träger meines hauchdünnen Spitzennegligés von der linken Schulter rutschen, bis er ganz aus Versehen, einen großzügigen Teil meiner wohlgeformten Brust preisgab. Nervös blickte sich der junge Mann im Raum um, als hätte er Angst, jemand könne unerwartet den Raum betreten und die sich ihm bietende Szene falsch deuten. „Möchten Sie wirklich keine Jacke Frau Main, Sie scheinen zu frösteln?“

„Danke, mir ist nicht kalt. Die sahen vor 25 Jahren als ich Rainer kennen lernte auch schon so aus. Ich will ja nicht prahlen, aber für meine 45 Jahre habe ich mich gut gehalten, stimmt’s?“

Völlig aus der Fassung gebracht stammelte der Arzt: „Ähm … Ja … ähm … Also gut, zurück zum Thema. Eines ist mir noch nicht ganz verständlich. Wie konnte es bei so viel Liebe und Anziehung, wie Sie es beschreiben dazu kommen, dass einer auf dem Autopsie-Tisch und der andere in der geschlossenen Psychiatrie landet?“

 

„Durch Perfektion würde ich sagen.“

„Perfektion? Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Frau Main!“ 

„Rainer hielt sich für einen Perfektionisten und erwartete selbiges auch von mir, von innen und von außen. Mein Beruf als Autorin gehörte für ihn nicht zur perfekten Frau, zumal ich bisher nur einen relativ kleinen Leserkreis aufzeigen konnte. Er verbannte Kreativität und Improvisation aus unserem Leben. Alles war genausten geordnet, strukturiert und geplant, selbst seine Seitensprünge. Auch die Leidenschaft in unserer Beziehung musste für den Vorzeige-Perfektionismus weichen. Und dabei war es gerade seine Leidenschaft für scharfe Dinge, die ihm schließlich im wahrsten Sinne des Wortes die Luft zum Atmen nahm. Rainer liebte Asien, sei es nun die besondere, würzige Küche oder die süßen, kleinen Asiatinnen. Ich glaube, am liebsten ein Zusammenspiel aus Beidem.

Nun ja, als sich der Valentinstag näherte, beschloss ich dem Rat meines Kursleiters zu folgen und den Text meiner Lebensgeschichte kritisch zu überarbeiten. Ein letztes Mal wollte ich Rainer beweisen, dass ich schon lange so perfekt war, wie er mich immer haben wollte.

 

Während Rainer auf Geschäftsreise war, las ich ein Buch über schamanische Naturmedizin. Ich erfuhr von uralten, natürliche Heilungsmethoden und Giftritualen. Rainer hätte mir das nie gestattet, er glaubte nur an die Schulmedizin. Und so kam ich auf die Idee, wie ich Rainers Vorliebe für scharfe Dinge und asiatischem Essen zu meinem Vorteil nutzen konnte. Ich schickte unser Hausmädchen Mai Ling los, um neben anderen Filet, ein kleines Stück einer besonderen Delikatesse aus Japan zu besorgen: Kugelfisch. Zusammen mit ihr bereitete ich in liebevoller Kleinarbeit, Sushi für das Valentinstagsessen vor. Natürlich durfte Mai Ling eher nach Hause gehen, damit auch sie etwas vom Valentinstag hatte und Rainer mit mir in trauter Zweisamkeit das Essen genießen konnte. Als sie ging, mischte ich die letzten Zutaten für das perfekte Valentinstagsgericht in den Wasabi hinzu: Liebe und ein paar Tropfen Tetrodotoxin, das Gift des Kugelfisches.

 

Als Rainer nun von seiner Geschäftsreise kam, erwartete ich ihn schon in den heißesten Dessous, die mein Kleiderschrank hergab, neben einem romantischen angerichteten Esstisch. Natürlich hielt er mir zuerst einen Vortrag. Hauptsächlich thematisierte er, was denn wohl die Nachbarn denken sollten, wenn sie mich halbnackt hier stehen sehen würden, durch die Scheiben des Wintergartens. Danach ließ er sich aber doch von meinen Verführungskünsten bezirzen und nahm am Tisch Platz. Genüsslich verzehrte er das Kugelfisch-Sushi und auch ich ließ mir diese kleinen Delikatessen schmecken. Um Rainer in Stimmung zu bringen lief ich zu ihm herum und setzte mich auf seinen Schoss. Ich entblößte mein Dekolleté und positionierte mit einem Löffel eine kleine Menge Wasabi auf meinen Nippeln. Und da wurde Rainers Liebe für scharfe Sachen geweckt und lustvoll leckte er mir die grüne Paste von den Brüsten. Wissen Sie, was das verrückte an diesem Gift ist? In dieser Konzentration wirkt es schon innerhalb kürzester Zeit. Auf Rainers Stirn bildete sich eine Vielzahl an Schweißtropfen und nervös rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Nicht lange danach setzte die Lähmung der Brustmuskulatur ein und ich hatte gerade noch genug Zeit um Rainer zu fragen, ob die Überraschung nicht perfekt gelungen sei? Und mit seinem letzten Atemzug hauchte er mit starrem Blick die Antwort, die ich die ganze Zeit von ihm hören wollte: Ja …“

„Frau Main, laut den Ermittlungen der Polizei kann das nicht so gewesen sein. Das Hausmädchen hat ausgesagt das Essen allein zubereitet zu haben und dass Sie auch erst nach Ihrem Mann in der Wohnung eintrafen, da Sie nachweislich einen Kurs der Volkshochschule belegten. Auch das von Ihnen geschilderte Motiv ist durch ihre finanzielle Unabhängigkeit und der Möglichkeit einer Scheidung eher fraglich. Außerdem konnte im Essen nur ein leicht erhöhter Wert von dem Toxin festgestellt werden, der beim Verzehr von Kugelfisch normal und nicht tödlich ist. Also warum gestehen Sie einen Mord, den Sie nicht begangen haben können?“

 „Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun.“ 

„Also ging es für Sie nur darum sich selbst durch einen perfekten Mord zu verwirklichen?“ „Glauben Sie denn, dass es den perfekten Mord gibt?“ Mit einem beseeltem Lächeln auf den Lippen, warf ich demonstrativ einen Blick auf die nicht vorhandene Uhr an meinem Handgelenk, stand auf und sagte: „So unsere wöchentlichen 45 Minuten sind um Herr Doktor. Es wird für mich Zeit sich wieder dem Schreiben zu zuwenden, schließlich schreibt sich so ein Buch nicht von selbst und Verleger sollt man niemals warten lassen.“ Und damit kehrte ich dem jungen Arzt den Rücken zu, was ihm die Gelegenheit gab, auch noch die Rundungen meines knackigen Po zu begutachten.

Zerstreut und ein wenig hilflos stand auch der Arzt auf und fegte beim Greifen seiner Unterlagen die Morgenpost vom Tisch. Schnell und ohne die Zeitung noch eines Blickes zu würdigen, legte er sie zurück und verließ nachdenklich das Zimmer. Von der Titelseite lachte eine attraktive Frau die Leser an und als Schlagzeile darunter war zu lesen: Sylvia Main, die neue Bestsellerautorin? Trotz des plötzlichen und ungeklärten Tod Ihres Mannes, überrascht die 45-jährige mit einem neuen Buch, dass ein echtes Gänsehaut-Feeling hinterlässt. Durch Erregung oder Furcht fragen Sie sich? Finden Sie es heraus und lesen Sie: Kill your Darlings.