Angela Thöming
Eigentlich hatten sie bis dahin friedlich nebeneinander gelegen. Constanza hatte nur kurz beanstandet, daß Vroni viel zu viel Platz für sich beanspruchen würde und sie mehr oder weniger höflich aufgefordert, sich gefälligst nicht so breit zu machen. Daraufhin war Vroni in konsterniertes Schweigen verfallen, aber bis auf diesen kleinen Zwischenfall schien alles in bester Ordnung zu sein.
Bis Tom und Gina in die Küche kamen…
Gina hatte Tom vorgeschlagen, ein richtig scharfes Abendessen zubereiten zu wollen, worauf dieser mit: „Du bist sowieso das Schärfste weit und breit, da kommt kein Essen mit!“ geantwortet hatte. Kurz darauf waren die beiden im Schlafzimmer verschwunden.
Toms Behauptung war der Auslöser für den Streit zwischen Constanza, der blutroten Chilischote und Vroni, der ebenso roten Paprika, die im Gemüsekorb auf der Anrichte bis dato wieder friedlich nebeneinander lagen. Beide waren der Ansicht, den Titel „schärfste Schote der Region“ für sich beanspruchen zu können.
„Mach Dich doch nicht lächerlich“, hatte Constanza zu Vroni gesagt. „Bei mir gerät jeder in Atemnot. Das willst Du ja wohl nicht von Dir behaupten!“
Das wollte Melli, die Zwiebel, die neben den beiden im Gemüsekorb lag, so nicht stehen lassen und hatte sich eingemischt.
„Wegen Dir hat aber auch noch keiner zu heulen angefangen“, hatte sie Constanza entgegen geschleudert.
Als sich dann auch noch Hannibal, der Tabasco, aus dem Wandregal zu Wort meldete und behauptete, ein paar seiner Tropfen würden genügen, um alle Geschmacksnerven lahm zu legen, war der Streit nicht mehr aufzuhalten.
„Ohne scharfe Schoten wie mich würde es Dich überhaupt nicht geben, Du Tröpfchen“, hatte Constanza ihm etwas schroff zu verstehen gegeben. Milou, der auch als Sambal Oelek bekannt war, hielt sich deshalb lieber gleich ganz zurück. Sich mit Constanza anzulegen, ging selten gut aus. Seine Abstammung von ihresgleichen konnte er schließlich auch nicht leugnen.
Vroni war inzwischen völlig verstummt. Sie fühlte sich Constanzas verbalen Attacken nicht gewachsen und Hubert, der weiße Pfeffer aus dem Gewürzregal, hatte daraufhin versucht, sie zu trösten: „Die von deiner Sorte sind und ich, wir waren immer ein tolles Team! Ich mag Eure Scharfen, aber auch die Edelsüßen. Du bist beides! Soll die olle Chilischote doch sagen, was sie will!“
„Das habe ich gehört!“ bemerkte Constanza eingeschnappt. „Wäre der blöde Hubert doch bloß geblieben, wo der Pfeffer wächst“, dachte sie bei sich.
Diego, der zum Stamm der Bohnen gehörte, kicherte nur: „Ich bin zwar nicht der Schärfste, aber mit mir wird scharf geschossen!“ Keiner lachte, außer Diego selbst, aber er hatte eh einen etwas merkwürdigen Humor, den selten einer verstand.
Mottomo Surudoi Naifu, das japanische Profimesser mit mehrfach prämierter Klinge, welches neben dem hölzernen Schneidebrett auf der Anrichte seinen Platz hatte, wäre am liebsten aus seiner Schutzhülle gesprungen. „Was für ein Humbug“, dachte er bei sich, „mich hat noch keine Zwiebel zum Weinen gebracht, noch hat es mir bei Chilischoten je den Atem verschlagen!“ Was bildeten sich die beiden bloß ein? Constanza fand er alles andere als atemberaubend! Das einzig Scharfe an ihr war ihre Zunge! Und was sollte das mit dem Wurfgeschoss, wessen Diego sich rühmte? „Wenn hier einer scharf ist, dann ja wohl ich!“ dachte er, aber das behielt er für sich. Japanisch verstand dieses dumme Gemüse sowieso nicht.
Die Tür zum Schlafzimmer wurde geöffnet und heraus kamen Tom und Gina, beide bester Laune.
„Und nun kommt der scharfe Nachtisch“, sagte Tom. „Ich bin gespannt, was Du so zauberst?“
„Laß Dich überraschen. Und jetzt raus aus meiner Küche.“ war Ginas Kommentar.
„Zu Befehl, Chef!“ Mit diesen Worten verschwand Tom im Wohnzimmer.
Gina band ihre Schürze um, griff geschwind nach Constanza, Melli und Vroni im Gemüsekorb und legte sie auf dem Schneidebrett zurecht. Die drei dachten kurz darüber nach, zu welchem fernen Ziel man sie nun wohl bringen würde? Schließlich hatten sie schon so manchen Ortswechsel hinter sich. Constanza wähnte sich- als nachweislich schärfste von den dreien- schon auf dem Siegertreppchen einer Misswahl, als Mottomo Surudoi Naifu seine Stunde kommen sah!
„So! Nun geht´s Euch Zicken an den Kragen!“ dachte er siegessicher. „Wollen wir doch mal sehen, wer nun heult und wem es den Atem verschlägt!“
Ginas flinke Hände und Mottomos scharfe Klinge hatten die drei in null Komma nichts in viele kleine Stücke zerteilt und bevor sie sich versahen, waren sie auch schon in dem Kochtopf mit heißem Öl gelandet. Ein paar Tropfen „Hannibal“, ein halber Teelöffel „Milou“, Ginas selbstgemachte Gewürzmischung und zum Schluß heiße gekörnte Brühe darüber. Noch ein paar frische Kräuter dazu, die ebenfalls Mottomos mehrfach prämierter Klinge zum Opfer fielen und schon brutzelte das Ganze verführerisch vor sich hin.
Gina entnahm mit dem Teelöffel eine kleine Kostprobe und pustete ein paarmal auf das dampfende Gemüseallerlei, bevor sie es zum Mund führte. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich ihre Eigenkreation auf der Zunge zergehen.
Plötzlich wurde sie jäh aus ihren kulinarischen Träumen gerissen. Ein dumpfer Knall und lautes Geschepper folgten. Tom hatte sich leise von hinten angeschlichen und ihre Hüften umfasst. Das kam so überraschend, daß sie vor Schreck ihre Arme reflexartig nach hinten schlug und den Kochtopf mitsamt Inhalt vom Herd fegte. Die ganze „Pracht“ war nun auf dem Boden verteilt und an ein scharfes Abendessen zu zweit war nicht mehr zu denken.
Tom entschuldigte sich mehrfach und versuchte, Gina zu trösten: „Es roch so vorzüglich. Da hat mich nichts mehr im Wohnzimmer gehalten. Geschmeckt hätte es bestimmt mindestens ebenso gut.“ Nachdem er Eimer und Wischlappen geholt hatte, machte er sich sofort daran, das vegane Dilemma zu beseitigen.
„Und jetzt?“ fragte Gina, immer noch fassungslos über das gerade Geschehene.
„Ach, weißt Du was? Wir machen einfach eine Dose mexikanisches Chili auf. Das kann zwar in keinster Weise mit Deinen Kochkünsten mithalten, aber wir verhungern wenigstens nicht.“ Tom nahm den Dosenöffner aus der Schublade, setzte ihn auf den Deckel der Dose und führte ihn flink den Rand entlang. Bei dem Versuch, den Deckel hochzuklappen, passierte es dann: Tom schrie kurz auf, als er sich an einer scharfen Schnittstelle verletzte und sah, daß seine Hand heftig zu bluten begann. Gina griff spontan nach der Küchenrolle und wickelte ein Blatt um die verletzte Stelle.
„Meine Güte, ist das Ding scharf!“ stieß Tom verwundert aus. „Das ist mir noch nicht einmal mit unserem superscharfen Profimesser passiert!“
„Was für ein Abend!“ dachte Mottomo. Er hatte Melli, Vroni und vor allem Constanza zwar nie leiden können, aber nun waren sie völlig umsonst gestorben und sie taten ihm fast schon ein wenig leid. Aber dieser Anfall von Mitgefühl verflüchtigte sich schnell, als Mottomo an den 2. Teil von Toms Aussage dachte. Was nutzte ihm seine mehrfach prämierte Klinge, wenn ihm am Ende irgendeine hergelaufene Blechdose den Rang ablief?
„Der Tag wird kommen,“ dachte er. „Irgendwann wird Tom mich wieder zum Einsatz bringen wollen und dann… wird er mal was richtig Scharfes erleben! Dann ist Rache…Blutwurst….!“