Von Gabriele Sodeur

Leopold hat wirklich tolle Ideen. Das war nicht immer so. Als wir uns kennenlernten, war das ganz anders. War er ganz anders. Da musste ich z.B. immer mit dem „Zaunpfahl winken“ und ihn auf Dinge aufmerksam machen, die er mir zum Geburtstag schenken könnte. Und selbst dann war es oft noch das Falsche, was er anschleppte, und ich musste es hinterher wieder umtauschen, was nicht immer ohne Probleme möglich war.
Ich hab ihm dann gesagt, dass er unbedingt immer die Etiketten an den Sachen lassen soll. Seitdem klappt es mit dem Umtauschen hinterher recht gut. Er bringt mir auch keine Schnäppchen mehr an (die kann man ja eh nicht reklamieren) und kauft nur noch dort ein, wo er weiß, dass das   Umtauschen problemlos abläuft. In diesen Geschäften wissen die Verkäuferinnen Bescheid und ich kann die Sachen dort jeder Zeit wieder zurückbringen und mir etwas anderes dafür aussuchen. Das macht ihnen überhaupt nichts aus. Das haben sie erst letztens ausdrücklich betont. Okay, ich gebe zu, in dieser Hinsicht bin ich etwas eigen, oder nennen wir es „wählerisch“. Mir gefällt halt nicht das Erstbeste, und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, muss es eben genau das sein, was ich mir einbilde. 

Neulich, ich weiß gar nicht mehr zu welcher Gelegenheit, hat der Poldi mir selber etwas ausgesucht, weil es eine Überraschung sein sollte, wo ich ungeplante Überraschungen doch überhaupt nicht leiden kann. Da hat er mir also ein Abendtäschchen geschenkt. Ein goldenes. Dabei weiß er ganz genau, dass ich ein kühler Farbtyp bin und zu mir ausschließlich Silber passt. Er meinte dazu, Gold wäre viel wertvoller und ich sei doch sein Goldstück. Na ja, was ist das Gegenteil von gut? Gut gemeint! Musste ich natürlich wieder umtauschen …   

Aber, wie gesagt, er hat seit einiger Zeit jetzt auch selber ganz tolle Geburtstagsideen. 

Eine Freundin von mir, die Katja, die hat einen Wollladen, wo sie exklusiv für ihre Kundinnen und Kunden Pullover strickt oder Jacken auch Mützen oder Schals. Also bei der hatte ich mir letztens, in Anbetracht meines bevorstehenden Geburtstages, einen Wollpullover ausgesucht. Ganz exklusiv.
So to say ein Einzelstück. Bei ihr gibt‘s nur Einzelstücke. Eines schöner als das andere. Sie durfte dem Poldi aber natürlich nicht verraten, dass ich mir bereits im Voraus etwas ausgesucht hatte. Sollte ja wieder eine Überraschung für mich sein. Von ihm. Zu meinem Geburtstag. 

Dann habe ich Leopold in Katjas Wollladen geschickt: „Du, Poldilein“, hab ich gesagt „ich war
neulich zufällig bei der Katja im Laden, die strickt ja wirklich wieder ganz tolle Sachen: Schals, Mützen auch Stulpen, hörst du? Seit neuestem auch Stulpen! Magst nicht bei ihr vorbeigehen? Vielleicht findest du ja einen Schal oder sowas – mal für dich?“ Und dabei habe ich ihn ganz lieb angeschaut.
Er kam dann auch tatsächlich mit einem neuen Schal für sich nach Hause und mir brachte er Stulpen mit, als Überraschung. Ist er nicht süß, mein Poldi?

Das Beste war dann aber die Präsentation seines Geschenks an meinem Geburtstag. Er hatte mir, nach einem Geburtstagskuss am Morgen, die Augen verbunden und mich in unser Esszimmer geführt. Als er mir dort die Augenbinde wieder abnahm, sah ich am liebevoll gedeckten Geburtstagstisch eine elegante Dame sitzen, die den Pullover trug, den ich mir bei Katja ausgesucht hatte.
Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte, aber dann hab ich natürlich furchtbar lachen müssen, weil ich sofort gesehen hatte, dass das eine von Katjas Schaufensterpuppen war, die da saß und mein Geburtstagsgeschenk trug. Saß dort, wie aus Fleisch und Blut. Man hätte denken können, dass sie sich jeden Augenblick bewegt. Ja, auf solche Ideen kommt jetzt mein Poldi, und zwar ganz von allein.
Unten herum war die Puppe zwar nackig, da hätte er ihr ruhig noch eine Hose von mir anziehen können oder einfachheitshalber einen Rock, aber Poldi liebt eben nackte Tatsachen. Hihi!

Leider, ich muss sagen, das tat mir in dem Fall wirklich außerordentlich leid, passte mir der Pullover nicht ganz so gut wie der Schaufensterpuppe. Er war mir einfach eine Nummer zu klein. Ich weiß,  in diesem Fall war das nicht dem Poldi seine Schuld, sondern meine. Ich hatte den Pullover nicht anprobiert. Mache ich nie, denn ich kann ja hinterher immer wieder alles umtauschen. Ich dachte halt, der würde schon passen. Hat er aber nicht, und so musste Poldi der Katja das gute Stück wieder zurückbringen, einschließlich der Schaufensterpuppe. Dazu hat er ihr den Pullover  wieder angezogen, denn er konnte sie ja schließlich nicht so nackig, wie sie war, in sein Auto setzen. Zum Glück hat niemand gesehen, dass die Puppe unten herum nichts anhatte. 

Poldi hat dann die Katja gebeten, den Pullover eine Nummer größer zu stricken. So groß halt, dass er auch ihr passen würde. Katja hat nämlich dieselbe Größe wie ich. Dann hieß es warten, denn so einen Pullover zu stricken, das dauert.
*
Um es kurz zu machen: mir dauert das jetzt allmählich schon ein bisschen zu lange. Der Pullover ist nämlich immer noch nicht fertig. Ich werde heute Nachmittag mal kurz bei Katja vorbeifahren und schauen, was Sache ist.
*
Jetzt ist es doch etwas später geworden. Es ist kurz vor Geschäftsschluss, ich stehe hier in Katjas Laden, aber da ist gar niemand mehr. Sie kann doch nicht, ohne abgeschlossen zu haben, schon weg sein. Das gibt‘s doch gar nicht. Das passt überhaupt nicht zu ihr. „Hallo, Katja, bist du da?“ 

Ich gehe mal nach hinten in ihr Kabuff, wo sie immer sitzt und strickt. – Ziemlich schummrig,
da muss sie mal eine Birne ersetzen, aber hier ist sie auch nicht! Da hinten in der Ecke auf einem Hocker sitzt nur die Schaufensterpuppe. Die hat immer noch diesen Pullover an, der mir zu klein war, und unten herum ist sie immer noch nackig. Ich sehe sie nur von hinten, aber, ist das nicht Poldis neuer Schal, der da um ihren Hals hängt? Und hat sie sich nicht auch gerade bewegt …?  

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