Von Claudia Dvoracek-Iby

Natürlich könnte ich es bleiben lassen, könnte leichthin sagen: „Du, ich hab’s mir anders überlegt. Lass diese öde Parkplatzsuche, fahren wir wieder retour – retour in unser Nestchen!“

Aber während der Gedanke an diese Möglichkeit in mir brennt, hast du eine Parklücke entdeckt und dein Auto abgestellt.

„Also, Eva, wohin nun mit uns?“ fragst du gut gelaunt, als wir kurz darauf auch schon ausgestiegen sind. Du legst liebevoll deinen Arm um mich, und ich zögere, möchte am liebsten auf der Stelle mit dir zurück ins Auto, wieder mit dir allein sein.

Ja, nur du und ich, und niemand sonst, so haben wir die zwei Tage und Nächte, die wir nun ein Paar sind, miteinander verbracht. Nur zweimal während dieser zeitlosen Zeit zu zweit haben wir meine Wohnung verlassen. Einmal, um Zigaretten und Bier zu besorgen, und das zweite Mal eben jetzt.

Und eben jetzt sträubt sich alles in mir dagegen, mit dir zu dem paradoxerweise ja von mir gewünschten Zielort zu gehen. Doch betont munter, deinem Tonfall angepasst, sage ich: „Komm einfach mit mir, mein Süßer, ich führe dich!“, schlinge meinen Arm um dich und wir gehen, gehen im selben Takt, und ich denke beschwörend: ‚Nichts wird uns trennen, wir sind eins, sind eine Einheit, sind wie Ebbe und Flut, wie Adam und Eva – nein, die nicht ..‘

„Was murmelst du da? Adam? Eva?“ Du lachst mich belustigt an.

Habe ich laut gedacht? Verlegen antworte ich, etwas schneller gehend und damit unseren Gleichschritt gefährdend: „Ach, ich musste plötzlich an Adam, meinen Ex, denken. Er und ich gingen nämlich auch mal hier spazieren.“

„Adam und Eva also“, stellst du eifersüchtig fest. „Na, das klingt ja himmlisch.“

„Ja“, sage ich, „anfangs war es das auch, nur dann“, – ich seufze theatralisch – „dann tauchte die Schlange auf.“

Wir sind nun in der Fußgängerzone angelangt, schon sehe ich die rote Fassade des Geschäftes leuchten. Ich muss kurz stehen bleiben und tief durchatmen, muss mich eng an dich schmiegen, bevor wir langsam weitergehen.   

„Und die Schlange verführte Adam“, fahre ich betont pathetisch fort. „und ich, Eva, sah mich gezwungen, Adam zur Hölle zu schicken.“

„Gut so“, lächelst du besänftigt, ziehst mich an dich, küsst mich.

Wir befinden uns nun direkt vor dem roten Geschäft. Ich fühle Schwäche in meinen Beinen.

„Wir sind da“, sage ich leise, und ‚Noch könnten wir umdrehen‘, denke ich.

Aber da sind die paar Schritte schon getan und wir befinden uns im dämmrigen Inneren des Ladens. Auch hier drinnen schimmern die Wände im dunklen Rot, leise Instrumentalmusik klingt aus einem hinter einem Samtvorhang verborgenen, weiteren Raum. Du siehst sich um, betrachtest die orientalische Ware: Skulpturen, Masken, Lampen. Ich ziehe aus einer Truhe mit bunten Stoffen und Tüchern einen langen, roten Schal.

„Ich habe, was ich wollte“, sage ich.

„Und deswegen mussten wir extra herfahren?“ Du schüttelst nachsichtig lächelnd den Kopf, sagst, „Lass mich bezahlen“, nimmst mir den Schal aus der Hand, gehst voraus, schiebst den Samtvorhang beiseite. Und da ist sie. Steht aufrecht hinter dem Kassapult, trägt ihr enganliegendes, schwarzes Kleid und ihre Silberkette mit dem Medaillon, auf dem ihr Name eingraviert ist: Luzia.

Dieses makellose Gesicht. Diese langen, dunklen Locken. Sie ist so schön, ist noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie strafft die schmalen Schultern, blitzt mich kurz an aus Smaragdaugen, wendet dann den Blick von mir, lässt mich unbarmherzig fallen, schließt mich komplett aus, blendet aus, dass ich beobachte, wie sie sich nun auf dich einstellt, wie sie sogleich beginnt, ihr Gift zu versprühen, nicht anders kann, als ihr Spiel zu spielen, vor drei Monaten mit Adam, jetzt mit dir, der wie versteinert neben mir steht und den Atem anhält. Ich sehe nun auch mit deinen Augen, wie schön – ach, wie unglaublich schön sie ist, kann den Blick nicht von ihr lösen, sehe nur sie, vergessen bin ich.

Wortlos reichst du ihr nun den Schal. Ich sehe, wie ihr einander direkt in die Augen seht, sehe, wie sich ein Lächeln, unwiderstehlich, auf ihre Lippen, über ihr Gesicht legt, wie sie den Blick senkt, wie sie den Schal hochfliegen lässt, wie sie zärtlich mit schlanken Fingern darüberstreicht, ihn sorgfältig faltet, ihn behutsam in eine Papiertasche legt.

„Das macht dreißig Euro, Umtausch innerhalb von drei Wochen möglich“, sagt sie sanft.

„Ja“, sagst du beinahe tonlos, reichst Geldscheine über den Tisch, ihre Finger streichen zart über deine, als sie diese entgegennimmt, alles an ihr strahlt, als sie dir die Papiertasche gibt, und sich dabei eure Hände erneut berühren.

„Auf Wiedersehen“, flüsterst du.

„Auf Wiedersehen“, lächelt sie.

 

Draußen blendet uns das Tageslicht. Benommen stehen wir einen Moment still da, dann nimmst du den Schal aus der Tasche, legst ihn mir um die Schultern.

„Hübsch“, sagst du, räuspert dich.

Mein Gesicht glüht, ich vergrabe es im Schal. Du umarmst mich hölzern.

„Was ist, Eva?“

Ich stoße dich leicht weg von mir, wir gehen schweigend nebeneinander den Weg zurück zum Auto, zwischen uns baumelt die leere Papiertasche in deiner Hand.

Während der Fahrt zu meiner Wohnung, nach zwei, drei Zigarettenlängen, und Radiomusik, die unser Schweigen überspielt, fragst du plötzlich unvermutet:

„Sind eigentlich dein Adam und die Schlange noch zusammen?“, und lachst, als ich den Kopf schüttle.

Du überholst einen Radfahrer, lachst nochmals auf – und dein Lachen, die Tatsache, dass du lachst, obwohl ich, Eva, zutiefst gekränkt neben dir sitze, bestätigt mir, was schon im Geschäft offensichtlich war.

Ich sehe vor mir, wie du morgen zu Luzia ins Geschäft kommen wirst, in dieses verdammte Geschäft, in dem ich damals auch Adam an sie verloren habe, sehe vor mir, wie sich Luzias und deine Hände zärtlich berühren werden – ganz so, wie sich damals Luzias und Adams Hände skrupellos vor meinen Augen berührt haben – und dann sehe ich plötzlich, wie meine Hand, meine Hand, meine einsame Hand den Knopf des Radios auf maximale Lautstärke dreht, und nun lache ich laut auf, weil ich das Lied, das zufällig gespielt wird, sehr passend finde.

„…on a highway to hell..“

 „He, spinnst du?“ schreist du, dreht fahrig am Radioknopf.

Ich wickle mir den roten Schal ab. Kurz, nur ganz kurz, streift das Ende des Schals über dein Gesicht, über deine Augen, als ich ihn von mir und nach hinten werfe. Das genügt. Du verreißt das Lenkrad – lautes Krachen, Schreien, dann Stille, Dunkelheit.

 

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