Von Eva Fischer
Die Sonne taucht erbarmungslos den Tatort in ein gleißendes Licht. Neben Schneeglöckchen liegt auf dem Rasen ein kleines, weißes, flauschiges Paket, reglos und starr.
Sabine schaut es an, fassungslos! Sie hofft, dass sie gleich aus diesem Alptraum erwachen kann, aber sie bleibt festgefroren in der Realität, wo die Vögel in den Bäumen zwitschern und der Frühling neues Leben verspricht.
„Andreee-aaas!“, schreit sie so laut, wie ihre Stimmbänder können, denn der Schmerz bohrt sich in ihre Eingeweide, übernimmt die Kontrolle, schaltet alles aus, was noch vor wenigen Minuten funktioniert hat, versetzt ihren Körper in ein Zittern und lässt sie hemmungslos schluchzen.
Andreas kommt mit raschen Schritten herbeigeeilt. Was ist mit Sabine? Doch hoffentlich kein Herzinfarkt! Er nimmt sie in die Arme, geleitet sie sanft zurück ins Haus, wirft einen Blick auf das weiße Fell, das gegen seine Gewohnheit nicht um ihn herumwirbelt, was ihn aber nicht besonders interessiert. Hauptsache, Sabine ist nichts Schlimmes zugestoßen.
„Du hast ihn vergiftet! Mit deinem dämlichen Rattengift!“, schreit sie ihn an. Ihre Stimme überschlägt sich, als könne auch sie diese Ungeheuerlichkeit nicht fassen.
„Aber, Sabinchen, warum sollte ich deinen Liebling vergiften?“
„Weil du eifersüchtig bist!“ Ihre Augen verengen sich. Die gewohnte Wärme ist plötzlich verschwunden. Blanker Hass schlägt ihm entgegen.
„Auf einen Hund?“ Andreas schüttelt ungläubig den Kopf.
„Das Tier hat sich wohl nicht selbst vergiftet“, schnauzt sie ihn an.
„Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht ist er an etwas anderem gestorben?“
„Ein junger Hund? Gestern war er noch putzmunter. Nein, Prinz muss Gift gefressen haben. Und wer soll in unserem Garten Gift ausgelegt haben, wenn nicht du! Du bist ein Monster!“ Erneut bricht sie in Tränen aus.
„Aber, Sabinchen, ich war’s nicht. Nun beruhige dich doch endlich! Werde nicht hysterisch! Wenn dir ein Hund so wichtig ist, dann kauf dir in Gottes Namen einen neuen Hund!“
„Du glaubst also, Prinz könne man mal eben ersetzen! Du begreifst gar nichts, du bist so schrecklich herzlos! Empathie oder Liebe sind dir vollkommen fremd! Dich interessiert nur dein blöder Garten, in dem du dich stundenlang verkriechst und sinnlos vor dich hinwerkelst. Im Sommer können wir nicht verreisen, weil du dich um deinen bescheuerten Garten kümmern musst. Du liest kein Buch, du gehst mit mir in kein Theater, du bist kulturell vollkommen desinteressiert, du Banause!“
Theater habe ich doch zu Hause schon genug, denkt Andreas. Und ja, Prinz war nicht mein Freund. Er lief einfach ins Gemüsebeet oder buddelte mir die Tulpenzwiebeln aus. Aber deshalb habe ich ihn doch noch lange nicht vergiftet. In diesem Zustand ist jede Diskussion mit ihr fruchtlos.
Mühsam erhebt er sich vom Stuhl. Der Vorwurf von Sabine wiegt schwer.
„Das ist wieder typisch. Sobald ich mit dir sprechen will, haust du ab. Du bist ein elender Feigling!“, ruft sie seinem Rücken hinterher.
*
Eine Zeit des Schweigens hat begonnen, was aber das Denken nicht ausklammert. Oder sollte man es eher Grübeln und die Vorbereitung eines Ehekrieges nennen?
Sie:
Vierzig Jahre bin ich mit ihm verheiratet. Bisher habe ich nichts Auffälliges entdeckt. Doch hinter seiner freundlichen Fassade verbirgt sich ein Ungeheuer. Nie wieder werde ich ihm vertrauen können. Dabei hatte ich mich so auf unser Rentnerdasein gefreut. Endlich habe ich mir meinen Lebenswunsch erfüllt, einen Hund. Zusammen wollten wir viel in der Natur spazieren gehen und unsere Umgebung neu entdecken.
Ich kann nicht mehr neben ihm einschlafen. Der Gedanke, dass er mich berührt, lässt mich erschauern. Seine Hände sind die eines feigen Giftmischers. Was kann es noch Niederträchtigeres geben als ein kleines wehrloses Tier zu töten!!
Ich bekomme keine Luft mehr. Wenn ich ihn sehe, dreht sich mir der Magen um. Ich kann seine Nähe nicht mehr ertragen, diese kaltblütige, gleichgültige, dämliche Visage! Wie konnte ich mich nur in ihn verlieben!
Immer wieder sagt er: ‚Ich war’s nicht!‘ Wenn der Feigling es doch endlich zugeben würde, aber so macht er einen auf Unschuldslamm. Jetzt behauptet er sogar, ich sei selber schuld, dass Prinz vergiftet wurde, weil ich ihn am Fluss frei laufen ließ, wo manchmal Rattengift gestreut würde.
Mich stellt er als hysterische Ziege hin. Das ist eine bodenlose Frechheit!!
Ich muss mich wehren gegen den aufgeblasenen Schnösel! Ich muss hier weg! Nur wohin soll ich? Zu meiner Schwester? Nein! Ich lasse mich doch nicht von der herumkommandieren. Lieber ziehe ich in eine kleine Wohnung.
Aber warum soll eigentlich ich alles aufgeben? Das Haus, den Garten! Ich habe alles so schön eingerichtet und liebevoll dekoriert. Wie du mir, so ich dir, mein Lieber! Ich werde mal im Schuppen nachschauen, wo du das Rattengift versteckt hast. Dann mische ich es dir in dein Lieblingsgericht: Erbsensuppe mit Mettwürstchen. Ich habe keine Ahnung, ob man das Gift herausschmeckt. Ausprobieren kann ich das vorher ja nicht, hihi. Vielleicht gibt es was Geschmacksneutrales im Internet. Mal sehen! Auf jeden Fall, Rache ist Blutwurst, in diesem Fall Mettwurst. Du wirst schon sehen, was du davon hast!
Er:
Seine Gedanken lassen sich schnell zusammenfassen.
Anfangs ist er verletzt. ‚Wie kann mir Sabine so etwas zutrauen!‘
Dann ist er verstört. Das reicht doch irgendwann mal. Wie kann man wegen eines Köters so ein Geschiss machen?
Schließlich beschließt er, das Drama auszusitzen. Er hat den längeren Atem. Sein Garten bietet ihm genug Ablenkung und mit seinem Nachbarn Wolfgang könnte er sich auch mal wieder auf ein Bier treffen.
*
„Hallo, Andreas! Wie geht’s? Schön, dass du Zeit für einen Männerabend hast.
„Ich habe schon mitgekriegt, dass ihr euren jungen Hund begraben musstet. Das hat Sabine sicher mitgenommen?“
„Mitgenommen ist gar kein Ausdruck. Die Frau dreht noch völlig durch. Sei froh, dass du keine Alte mehr hast.“
„Das sagt sich so einfach. Seit Karin tot ist, fühle ich mich recht einsam.“
„Ach Wolfgang, so macht das Leben aber auch keinen Spaß. Erst haben wir uns angegiftet, jetzt schweigen wir uns an. Ich frage mich, was als nächstes kommt. Will sie mich aus dem Haus ekeln?“
„Kann schon sein. Du musst ihr halt zuvorkommen.“
„Aber das will ich doch gar nicht.“
„Ich weiß. Es ist ja auch nur für kurze Zeit. Ich hätte da eine Idee. Wollen wir mal sehen, wie tierlieb deine Sabine ist.“ Wolfgang zwinkert seinem Nachbarn zu.
*
Weiß und flauschig laufen sie auf ihren kurzen Beinen durch das Wohnzimmer. Ihre braunen Knopfaugen erkunden neugierig die neue Umgebung. Um einen besseren Überblick zu bekommen, stellen sie sich auf ihre Hinterbeine. Ihre Schnurrhaare zittern aufgeregt. Süß, könnte man sagen, wenn man ein Exemplar sieht, aber es sind fünf, zehn, zwanzig… Wer kann das schon so genau wissen, sie wuseln meist herum und erschweren das Zählen.
Ein spitzer Schrei sagt Andreas, dass Sabine die kleinen Lebewesen entdeckt hat. Ganz offensichtlich hat sie ihren Kriegszustand vergessen, denn sie nennt ihn erstens beim Namen und bittet ihn zweitens um Hilfe.
Andreas lächelt in sich hinein, dann kommt er aus dem Bad ins Wohnzimmer.
„Brauchst du Hilfe, Schatz?“, säuselt er zuckersüß.
„Da! Hast du die vielen Mäuse gesehen? Wo kommen die plötzlich her?“
„Ich weiß nicht.“ Er zuckt mit den Schultern.
„Aber die niedlichen Tiere werden wir nicht vergiften oder was meinst du?“
„Nicht?“ Sie schaut ihn unsicher an. „Aber wie werden wir sie wieder los? Ich will keine Mäuse in meinem Haus.“
„Guck, die sind doch ganz niedlich.“ Andreas geht in die Hocke, nimmt eine Maus in die Hand und hält sie ihr hin. „Die lassen sich streicheln. Willst du auch mal?“
Zögerlich streicht Sabine über das weiche Fell des Tieres.
„Ich will sie aber dennoch nicht hier im Haus“, sagt Sabine trotzig.
„Na, wenn das so ist, dann rufe ich mal den Markus an.“
„Wer ist Markus?“
„Der Sohn von Wolfgang, unserem Nachbarn. Der hat eine Tierhandlung, glaube ich.“
„Und du meinst, der holt die Mäuse ab oder sind das vielleicht seine Mäuse?“
Sabine schaut ihren Mann fragend an. Der macht wieder dieses Ich-war’s–nicht-Gesicht. Vielleicht ist er doch kein gemeiner Giftmischer, wenn er sogar Mäuse nicht töten würde? Spontan gibt sie ihm einen Kuss, den Andreas als Friedenszeichen wertet.