Von Daniela Seitz

Wenn die goldene Regel lautet: Was du nicht willst, dass man dir tu, dass füg auch keinem anderem zu, so lautet die bleierne Regel: Was du nicht willst, dass man dir tu, dass füge ja den anderen zu!

Wer die goldene Regel zu seinem Grundsatz macht, spielt nach den Spielregeln.

Und die Regeln besagen, dass alle nach den Regeln spielen. Die Regeln besagen, dass alle in Frieden leben wollen. Die Regeln besagen, dass man den Fehler immer zuerst bei sich selbst suchen muss.

Die Verwirrung, dass Nichtbegreifen, vor das ein Mensch gestellt wird, wenn der Natur oder Kriegstreibern die Spielregeln herzlich egal sind, destabilisieren und lähmen. Und destabilisierte und gelähmte Menschen verhindern keine Taten. Ideal um eigene Ziele ungehindert durchzusetzen.

Und wie destabilisiert man nun am effizientesten die größtmögliche Menge Menschen?

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Wir sind ein Team aus vier Überlebenden. Jemand hat unsere Freunde auf dem Gewissen und wir verstecken uns vor ihm. Doch da wir eingesperrt sind, ist Verstecken keine Dauerlösung.

„Ich habe den Ausgang gefunden.“, flüstert meine beste Freundin Meg.

Sie ist eine Sportskanone und die schnellste von uns. Sie hat also die besten Chancen einen Verfolger abzuhängen, wenn sie entdeckt wird. Außerdem ist sie abenteuerlustig genug, um sogar in dieser lebensbedrohlichen Situation noch Spaß daran zu haben ein fremdes Terrain zu erkunden.

„Wir sind hier anscheinend in einer Anstalt. Ich habe unterwegs eine Menge Betten und medizinische Geräte gesehen. Der Ausgang ist versperrt. Ich weiß aber nicht, wie wir ihn aufbekommen…“

„Aber ich weiß es.“

Jake gesellt sich zu uns. Er ist ein Technik-Freak. Und immer darauf aus, Meg zu beeindrucken. Weshalb ich ihn nicht daran hindern konnte, ihr hinterherzuschleichen.

„Der Ausgang ist nur mit Strom zu öffnen oder zu schließen. Im Keller muss ein Generator sein. Wenn wir den zum Laufen bringen, öffnet sich die Tür.“

„…muss ein Generator sein…du weist also nicht, ob es so ist“, hinterfragt Meg Jake.

Jake grinst nur süffisant. Angst kennt er nicht. Genauso wenig wie Zweifel oder Schmerz. Unser Feind hat ihn bereits mit einem Messer am Arm verletzt und trotzdem erlaubt er sich keine Schmerzenslaute. Alles was schwächt unterdrückt er mit eisernem Willen. Darum liegt er mit seiner Meinung auch nie falsch. Erst recht nicht in seinem Spezialgebiet.

„Ach Meg, Jake hat doch immer recht“, flötet Claudette verdächtig ironisch, während sie mit Leichtigkeit Jakes Verband wechselt.

In Sachen Botanik und Medizin macht ihr so schnell keiner was vor. Auch sie hat sich umgesehen und hat sich eine Art Erste Hilfe Kasten zusammengestellt. Und bereits eine dicke Auseinandersetzung mit Jake über die Schwere seiner Verletzung gehabt. Beide sind sehr dickköpfig.

Zeit für einen Plan! Wenn Meg meine Beine und Claudette und Jake jeweils einer meiner Hände sind, dann bin ich unser Gehirn. Ich arbeite am besten, wenn alle bei mir sind. Allein habe ich keinerlei Talente. Doch im Zusammenhalt habe ich immer die besten Ideen von allen.

„Wir trennen uns. Jake du gehst in den Keller und machst was auch immer, um das Tor zu öffnen. Claudette, du gehst mit ihm, falls er wegen der Verletzung weitere Hände oder auch Verbände braucht. Meg und ich sorgen für ein Ablenkungsmanöver.“

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So war der Plan. Und der folgte Spielregeln. Jedes Talent war Best möglichst genutzt. Jeder durch einen anderen abgesichert. Warum ist Verrat so destabilisierend? Weil der Verräter die Spielregeln nicht nur ignoriert, sondern die Spielregeln benutzt, um andere zu manipulieren, zu berechnen und um zu gewinnen.

Mich hat der Feind erwischt, während die anderen drei entkommen konnten. Solange wir ein Team waren, war mein Plan narrensicher. Denn er war allein. Wir waren zu viert in der Überzahl. Wer von den dreien hat mich zurückgelassen? Oder waren es alle? Es ist echt beschissen allein zu sterben.

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„Uli, du Arschloch!“, schreie ich ins Mikrofon als meine Spielfigur Dwight wegen seiner Spielfigur Meg über den Jordan geht.

Wir spielen das Multiplayerspiel Dead by Daylihgt im Survive with friends Modus. Das heißt, dass alle fünf Spielfiguren von unserer Gruppe, die außerhalb des Computerspiels Klassenkameraden und Freunde sind, gespielt werden, ohne das Fremde mitspielen. Ein Killer und vier Überlebende. Man kann es aber auch allein mit vier zufälligen Fremden spielen.

„Was sollte ich denn machen? Der Killer hatte sein Zelt vor dir aufgeschlagen und gewartet. Ich konnte dich nicht retten!“

„Gar nicht wahr! Ich habe nicht gecampt. Ich habe Jake gejagt“, ereifert sich sofort Thomas, der den Killer gespielt hat.

„Rede keinen Stuss, Uli! Vergiss nicht, als Dwight kann ich durch sein Talent immer alle anderen Überlebenden sehen. Jake wurde gejagt, Claudette hat den Generator zu Ende repariert, nur Meg saß herum und hat gar nichts gemacht, als sie oder besser gesagt du mich hättest retten kommen können.“

Uli ist ein Meister im Ausreden finden. Wenn man ihm lange genug zuhört, zweifelt man schlussendlich immer an der eigenen Vorgehensweise. Spielt er den Killer, campt er immer. Das ist zwar gemäß der Spielregeln eine erlaubte Taktik, erstickt aber jeden Spielspaß im Keim. Und ich verstehe einfach nicht, warum er uns, seinen Freunden immer den Spielspaß nimmt. Warum er immer gegen die ungeschriebenen Gesetze, gegen die Moral verstoßen muss.

„Jetzt sei mal kein Salty Survivor! Es ist doch nur ein Spiel“, lacht Uli mich aus.

Salty survivers ist ein fester Begriff. Schlussendlich bezeichnet er mich gerade als schlechten Verlierer. Und das nicht zum ersten Mal. Normalerweise nimmt er mir damit etwas. Doch als er noch hinzufügt:

„Wer anderen keine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Du hast echt keinen Humor.“

Wird mir klar, dass er Spaß daran hat mich gemäß der bleiernen Regel mithilfe der goldenen Regel handlungsunfähig zu machen. Denn nach der goldenen Regel hat man ein guter Verlierer zu sein. Es ist ein schlechter gesellschaftlicher Stil außer Kontrolle zu sein. Nicht verlieren zu können.

„Weißt du, was du mit Putin gemeinsam hast, Uli? Ihr spielt beide euer eigenes Spiel, ohne den anderen die Regeln zu erklären, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Während wir anderen Zeit damit vergeuden eure Regeln zu verstehen, habt ihr schon Tatsachen geschaffen, die nicht umkehrbar sind.“

„Hääääh, ich bin kein Russe. Wie kommst du denn jetzt darauf?“, fällt Uli aus allen Wolken, weil ich gerade die Spielregeln ändere.

„Und ich spiele ab jetzt nicht mehr mit dir. Weder in der Schule noch in Dead by Daylight. Tschüss!“, sind meine letzten Worte, bevor ich ihn aus der Gruppe kicke und digital entfreunde.

Tut echt gut, Menschen, die außer Kontrolle sind, die rote Karte zu zeigen und vom Spielfeld zu schicken. In Putins Fall können das wohl leider nur die Russen selbst. Wenn überhaupt.

Aber Ulis Gesicht hätte ich schon gern gesehen, als ich einfach so, die Spielregeln geändert habe.

 

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