Von Susanne Sachs

 

Ich wuschelte mein frisch gekämmtes Haar, nur nicht brav aussehen, auf gar keinen Fall. Frauen mochten das nicht. Ein schiefes Lächeln kam immer an. Der Kerl vor mir sah hammermäßig gut aus, fand ich, und wandte mich ab. Genug gespiegelt, die Party durfte ich nicht verpassen.

Zehn Minuten verspätet kam ich an, ein optimaler Zeitpunkt, wie mir schien. Vor dem Haus hielt ich inne. Es war eines dieser luxuriösen weißen Gebäude mit Einfahrt und blickdicht abgeschirmtem Grundstück, nicht meine gewohnte Umgebung. Doch wenn ein Freund einlud, konnte ich mich ja einmal umsehen. Unwillkürlich zupfte ich meine Klamotten zurecht, holte tief Luft und klingelte. Ein Sonnyboy, ungefähr mein Alter, öffnete. Als er lächelte, blitzte es weiß. Musste er eine Zahncreme bewerben? 

„Hallo“, sagte er. „Du musst Jonas sein.“ Mit einer Handbewegung, so lässig wie seine helle Kleidung, winkte er mich herein. „Ich bin übrigens Mark.“ Damit entschwand er.

Die Glastüren des kaum überschaubaren Wohnzimmers standen offen, an den Rändern bauschten sich Gardinen im Wind. Eine Terrasse erkannte ich dahinter und einen Park, natürlich mit Pool. An die hundert Leute tummelten sich hier, lagen auf den Polstern oder flanierten mit Gläsern in der Hand umher. Ich wusste nicht recht, wohin mit mir. Bisher hatte ich kein einziges Gesicht erspäht, das mir bekannt vorgekommen wäre. Vielleicht könnte ich bei einem Drink die Damenwelt in ihren knappen, sicherlich teuren Kleidern betrachten.

„Willst du nicht mit nach draußen kommen?“ Eines dieser Wesen hielt mir ein Glas hin.

„Ähm. Ja, nein. Doch.“ Fast hätte ich mich verschluckt. Strahlende blaue Augen sahen mich an, brachten mein Herz zum Holpern. Was mit dem Verstand geschah, wollte ich gar nicht wissen. Sie schüttelte ihr Blondhaar, silbrige Reflexe blinkten im Sonnenlicht. Ich schnupperte, ein dezent frischer Duft strömte in meine Nasenflügel.

„Nun komm schon“, sagte sie und wandelte voraus. Wie betäubt folgte ich ihr, konnte meine Augen nicht von den Kurven unter dem grünen Stoff lösen. Über ihrem perfekt geformten Po bewegten zarte Falten das dünne Kleid. Bis zur schmalen Taille ließ ein spitzer Ausschnitt den Rücken frei. Eine fantastische Gestalt!

Ehe ich mich versah, fanden wir uns auf zwei Liegestühlen unter dem gigantischen Sonnenschirm wieder. Der Saum des Minikleids rutschte ein paar Zentimeter höher, ich bewunderte die langen Beine. Durch meine Adern schien Lava zu strömen und im Magen fand offenbar ein Bienenstock sein Zuhause. Diese Göttin verhexte mich.

Sie begann einen Smalltalk über Wetter und Reisen, zeitweise von einem Lächeln begleitet, das wie ein Hauch über ihr Gesicht wehte. Zwischendurch überkam mich das Gefühl, dass sie mich zu kennen schien. Dabei wüsste ich das. Ganz sicher. Mühsam konzentrierte ich mich auf das Gespräch, als eine sanfte Brise die Spitze auf ihrem Dekolleté zum Flattern brachte. Wieder wallte mein Blut auf. Es brodelte überall in meinem Körper. Ich rückte näher zu ihr. Eine zufällige Berührung warf mich beinahe gänzlich aus der Bahn. Dennoch, mehr wagte ich nicht.

Das erste Glas Schampus hatte ich schnell geleert, hinuntergekippt, um mein erhitztes Gemüt zu kühlen. Nach dem zweiten Glas verlangten meine Lippen die ihren, so verheißungsvoll erschienen sie mir. Allein die zahlreichen Stimmen im Umfeld verhinderten, dass ich mich total verlor. Unter Aufbietung aller Kräfte löste ich mich von der Schönen. Hoffentlich durfte ich sie nach Hause begleiten. Ich fragte sie nach ihrem Namen.

„Du erkennst mich echt nicht, oder?“ Ihr Blick durchbohrte mich, so fühlte es sich zumindest an. Und ich? Schnappen ging, reden nicht.

„Wir, wann, wie sind wir uns schon einmal begegnet?“ Endlich brachte ich Worte hervor, leider gestottert. Bestimmt verspielte ich meine letzte Chance bei ihr.

„Na hör mal. Ich war dein Lieblingsopfer. Julie, o Julie. Klingelt da was?“

Eisig fuhr es mir in die Glieder. Nein! Nicht diese Julia! Die war rundlich mit Brille und aschblondem Zopf gewesen, dazu so etwas von streberisch. Beim genauen Hinsehen dämmerte es mir, die Züge waren es tatsächlich. Auch die samtige Stimme passte. Jeder Blutstropfen wich ins Herz zurück, nur schwer besiegte ich die schwarzen Nebel im Kopf. Plötzlich sprang ich auf. Die Partylaune räumte tiefster Scham den Platz. Weg hier!

„Tut mir leid, unendlich leid sogar“, flüsterte ich. „Ich war so ein Schwein.“

Ich stürzte davon, ihr mildes Lächeln gab mir den Rest. Zu Fuß ging ich heim, den gesamten Weg, fast zwei Stunden. Trotzdem fand ich keine Ruhe. Zerrissen zwischen den Nachwirkungen des unbändigen Begehrens und dem peinlichen Ende, brachte ich die Strecke halb blind hinter mich. Wie grausam die rächenden Geister der Vergangenheit ihre Fratzen gezeigt hatten! Vor der Haustür durchwühlte ich mit zitternden Händen meine Jackentasche. Irgendwo musste der Schlüssel doch sein. Ich spürte das Klappern. Ein Zettel geriet mir in die Finger. Vor meinen Augen flimmerte es beim Lesen.

Solltest du den Schock überwinden, ruf mich gerne an. Julia  P.S. Meine Nummer steht auf der Rückseite.

Im Traum ergab ich mich ihrem Lachen und ihrem Körper, glitt leicht davon und schwitzte in grenzenloser Leidenschaft.

 

 

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