Von Ina Rieder

Der Geruch von Zimt lag in der Luft. Ich liebte diesen Duft. Im Hintergrund lief leise das Radio. Die Stimmen des Küchenpersonals mischten sich mit den weihnachtlichen Klängen des Senders. Ich war gerade damit beschäftigt, Kaffeetassen aus der Spülmaschine zu räumen. Schnipselförmige Schneeflocken senkten sich vom Himmel und legten sich auf die Dächer der Umgebung. Draußen brannten zwar noch die Lichter der Nacht, doch die Stadt war schon erwacht. Besen fegten über schneebedeckte Autos, Schaufeln gingen auf und nieder.

Mein Blick schweifte über die Morgenpost und blieb auf der Schlagzeile hängen. Nicht weit von hier war die Leiche einer jungen Frau auf der Straße gefunden worden. 

„Wir möchten gerne bezahlen!“, drang es von der hinteren Seite des Raumes an mein Ohr. Ich nickte, schnappte die Kellner-Geldtasche vom Regal und kassierte. Die ersten Gäste des Tages verließen das Lokal, zeitgleich betrat eine Frau, eingehüllt in einen flauschigen, knöchellangen Mantel mein Café. Sie streifte den Schnee ihrer Schuhe am Teppich ab, stampfte ein paar Mal auf den Boden und zog die Kapuze, die tief in ihr Gesicht gezogen war, mit einer fließenden Bewegung zurück. Sie hängte ihren Mantel an der Garderobe auf. Als sie sich umdrehte, trafen sich unsere Blicke für eine Sekunde. Ihr offenes Lächeln brachte mein Herz zum Schwingen.

„Hi“, sagte sie und als sie an mir vorbeiging, wippte ihr schwarzes, gelocktes Haar im Einklang mit ihrer Brust. Ich sog ihren betörenden Duft, der mich an Vanille und frischen Pfeffer erinnerte, ein. Sie nahm eine Speisekarte von einem Stapel eines Sideboards und setzte sich. Ich näherte mich langsam und musterte verstohlen ihr graziles Gesicht, scannte alles, was ich von Kopf bis zur Tischkante erhaschen konnte. Meine Augen glitten über eine glatte Stirn, wohlgeformte, dunkle Augenbrauen, eine markante Nase, über volle Lippen und blieben an der kleinen Grube unterhalb ihres Halses hängen. 

„Ich nehme ein kleines Frühstück und einen Cappuccino.“ Sie schaute auf und übergab mir die Karte. Dabei berührten sich unsere Finger für eine Millisekunde. Kleine Blitze jagten durch meinen Körper. Ich fühlte mich elektrisiert und blieb wie angefroren stehen. 

„Geht es dir nicht gut?“, fragte sie mich. 

Blut rauschte durch meine Arterien und schoss in Windeseile in meine Wangen. 

„Doch, alles klar“, stammelte ich und ging zurück an die Bar. Reiß dich am Riemen!

Kurz darauf wurde die Türe geöffnet. Ich zuckte zusammen. Kai erschien im Türrahmen, Schneeflocken wirbelten mit ihm in das Innere des Cafés. Was hat er hier zu suchen?

„Einen Espresso und einen ‚Kurzen‘, Katrina“, bestellte er und ging mit großen Schritten an mir vorbei. Er hinterließ feuchte Spuren auf dem Holzboden und wie immer beschlich mich ein beklemmendes Gefühl in seiner Nähe. Der Geruch nassen Wildleders vermischte sich mit dem Zimtduft in der Luft. Als er sich zu der schönen Fremden an den Tisch setzte, sackte ich innerlich ein. Was zum Teufel hat sie mit Kai zu schaffen? Sie wirkte nicht wie eine der Frauen, die für 60 Euro ihre Dienste in Kais Stundenhotel um die Ecke anboten. Er ließ sich neben ihr auf die Bank plumpsen und sie steckten die Köpfe zusammen. Als ich die Getränke an den Tisch brachte, verstummten beide und eine unangenehme Stille legte sich über uns. Meine Hände zitterten. Ein Quäntchen Kaffee schwappte auf die Untertasse. 

„Und ich dachte schon, ich hätte zu viel gesoffen, letzte Nacht!“ Kai lachte laut, klopfte sich dabei auf seine Oberschenkel. 

„Es tut mir leid! Ich bring dir einen Neuen, ja?“

„Lass gut sein, Katrina.“

Ich stellte die Tassen am Tisch ab, dann hörte ich die Glocke in der Küche gehen. 

„Ich bringe gleich das Frühstück“, sagte ich an die Frau gerichtet und eilte davon. 

Fünf Minuten später kehrte ich mit einem Gedeck, Brötchen, Marmelade und Butter wieder zurück. Kai nannte die fremde Frau Elina. Elina waberte es durch meine Gehirnwindungen und der Klang ihres Namens ließ mein Herz tanzen. Ein Tanz, der noch heftiger wurde, als sie vorsichtig an ihrem Cappuccino nippte. Weißer Milchschaum blieb an ihrer Oberlippe haften. Ihre Zunge streifte von rechts nach links über den milchigen Bart. In jenem Moment wäre ich gerne der Schaum auf ihren Lippen gewesen. 

In den folgenden Tagen trafen sich Elina und Kai regelmäßig in meinem Café und fachten meine Neugierde weiter an. Einmal beobachtete ich, dass Elina Kai ein paar Geldscheine zusteckte. 

In welchem Verhältnis standen die beiden zueinander und um welche krummen Geschäfte ging es? 

Elinas Verhalten ärgerte mich. Ihre verstohlenen Blicke verrieten mir, dass sie mich ebenfalls anziehend fand, doch wenn ich mit ihr ins Gespräch kommen wollte, blieb sie kühl und unnahbar. Dennoch spürte ich eine starke Anziehungskraft und Verbindung zwischen uns. Mit der Zeit kam es mir wie Folter vor. Gerade so, als würde mir jemand täglich ein Sahnetörtchen direkt vor die Nase stellen, das ich zwar ansehen, aber nie probieren durfte. In meinen Innersten breitete sich ein klebriges, sehnsuchtsvolles Gefühl aus. Irgendwann hielt ich die Ungewissheit nicht mehr aus und fasste einen Entschluss. 

Eines Abends saßen Elina und Kai wieder einmal in meinem Café. Er blieb nur kurz. Elina trank in Ruhe ihren Tee aus, bezahlte und verließ mein Lokal. Nachdem ich meine Kollegin bat den Schlussdienst zu übernehmen, folgte ich ihr heimlich. 

Es war bereits dunkel geworden. Ich trat nach draußen. Eine frostige Winterstille umgab mich. Es war so kalt, dass ich meinen Atem deutlich sehen konnte. Die schneebehangenen Bäume, die den Bürgersteig säumten, zeichneten sich vor dem dunkelblauen, sternenüberzogenen Himmel ab. 

Ich sah Elina vor mir um die Ecke in eine Seitenstraße biegen. Ich erhöhte mein Tempo, der Schnee unter meinen Stiefeln knirschte styroporähnlich. Der Wind fegte über mich hinweg und ich zog meinen Wintermantel fester zu. Ich folgte Elina einmal quer durch das Bahnhofsviertel und dann verlor ich ihre Spur. Mein Blick schweifte um die Umgebung und ich glaubte, eine Bewegung in einer der Seitengassen wahrgenommen zu haben. Mit klopfendem Herzen verließ ich die belebte Bahnhofsstraße und wurde kurz darauf von der Dunkelheit verschluckt. Als sich meine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, schnellte plötzlich eine Hand nach vorne und packte mich am Kragen. Ich zitterte am ganzen Leib.

„Warum folgst du mir?“, hörte ich Elina fragen, während sie mich gegen die Hauswand drängte. Ihre Stimme schnitt tiefer als ein Messer. Sie stand so dicht bei mir, dass sich unsere Nasenspitzen berührten. Ich schluckte ein paar Mal und sah in ihre dunklen Augen. 

„Ich war neugierig, wollte wissen, was du mit Kai zu tun hast. Er ist ein Typ, von dem man sich fernhalten sollte!“

Elina ließ von mir ab. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, wurden weich. „Das weiß ich nur zu gut“, sagte sie und legte ihre Hand auf meinen Arm. Wir sahen uns tief in die Augen. „Kann ich dir vertrauen?“ 

Ich nickte und lächelte sie an. Elina beugte sich vor, ganz nahe an mein Ohr. Ich spürte ihren warmen Atem auf meiner Haut. In meinem Bauch kribbelte es, als hätte eine Legion Ameisen ihre Gänge darin gegraben. 

„Ich bin verdeckte Ermittlerin in einem Mordfall und Kai ist mein Informant“, sagte sie. Elina schob zärtlich eine blonde Strähne aus meinem Gesicht. „Ich mag dich.“ 

„Ich dich auch“, brachte ich mit heiserer Stimme hervor, „aber ich war nicht sicher, ob du auf Frauen stehst.“

„Zumindest stehe ich auf dich.“

„Geht es um das ermordete Mädchen?“

„Ja, aber mehr darf ich dir nicht verraten.“ 

Elinas Hände gruben sich sehnsüchtig in meine langen Haare. Ein „Endlich!“, verließ ihren Mund und wanderte sanft in das rechte Ohr. Intensive Schauer jagten durch meinen Körper. Unsere Lippen trafen aufeinander. Ich spürte ihre

Zunge. Sie knöpfte meinen Mantel auf.  Ihre Hände wanderten unter den Pullover, streichelten über den Rücken, ertasteten volle Brüste. Meine Finger glitten unter ihre Bluse, berührten Elinas Hüfte, streiften über einen strammen Po. Elina knabberte an meinen Ohrläppchen. Obwohl es Minusgrade hatte, war mir zum Sterben heiß. Ihre Finger glitten tiefer, erkundeten fremdes Terrain. Ich stöhnte, erbebte unter ihren zärtlichen Berührungen, die mir den Verstand raubten. 

Plötzlich begann es zu schneien. Dicke Flocken segelten auf uns herab. Wir hielten inne und beobachten eine Weile eng umschlungen das Schneetreiben. Elina nahm meine Hand und zog mich hinter sich her auf die belebte Straße. Aus der Bar gegenüber drang „Jingle Bells Rock“. Das Lied weckte schöne Erinnerungen vergangener Weihnachten in mir. 

„Was hast du vor?“, fragte ich.

„Lass uns zu mir nach Hause gehen. Ich wohne gleich um die Ecke.“ 

In jener Nacht lag ein Hauch von Zimt in der Luft und ich fühlte mich leicht wie eine Schneeflocke im Wind. 

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