Von Sabine Rickert

 

Den ganzen Vormittag laufe ich schon mit Weihnachtsdekoration durch die Wohnung. Übermorgen ist es wieder so weit, dann haben wir den ersten Dezember. Ich liebe die Adventszeit, mit allem, was dazugehört: Eierpunsch, Weihnachtsmärkte und Adventskalender.

Letzteren sucht, seit dem Auszug der Kinder, mein Gatte aus. Es ist mittlerweile seine Weihnachtstradition und ich lasse mich gerne überraschen. Wir hatten schon eine bunte Mischung. Jens ist immer auf der Suche nach ausgefallenen Kalendern. Schokolade war gestern, heute ist geschichtliche Weiterbildung gefragt, zum Beispiel das Leben von Jules Verne oder Kaiserin Elisabeth. Das Verkosten von vierundzwanzig verschiedenen Teesorten, bis hin zum Wellness-Kalender im vorigen Jahr, der uns im hohen Maße beanspruchte und inspirierte. Gemeinsam genossen wir diverse Düfte und unsere verschlungenen Leiber in der Badewanne. Mit Massageölen entdecken wir den Körper des Anderen neu. Daran erinnerte sich Jens und zog los, um das letzte Jahr zu toppen.

Am ersten Dezember bereitete ich ein adventliches Frühstück vor. Mein Mann kam mit den Brötchen herein und hatte ein großes Paket unter dem Arm.

„Ah, unser Weihnachtskalender!“

Er stellte ihn auf das Sideboard und klappte ihn auseinander. Mit diesen Ausmaßen hatte ich nicht gerechnet. Er hatte vierundzwanzig unterschiedlich große Schubladen, einige waren silberfarben, ansonsten war der Kalender leuchtend rot. Wau, der sah teuer aus!

„Du warst doch nicht in der teuren Parfümerie?“.

„Nein, lass dich überraschen.“

Nach dem Frühstück zog ich das erste Schächtelchen auf. Ich hielt ein rotes Gerät aus Silikon in der Hand, mit zwei Bedienungsknöpfen und einer Silikonschlaufe für die Finger.

„Ein elektrisches Massagegerät?“, fragte ich ihn. Er bestätigte.

„Für die Gesichtsmassage?“ Er schüttelte den Kopf.

Jens lachte süffisant und empfahl mir, die Knöpfe zu benutzen.

Es vibrierte, beim wiederholten Drücken wurde es schneller, hatte aber keinen Massageaufsatz. Gegebenenfalls war der morgen in der nächsten Schublade.

„Dies vibriert nur, da fehlt etwas Entscheidendes“ ,gab ich zu bedenken.

Jetzt lachte er aus vollem Hals.

„Das ist schon vollständig, denk doch mal an den Erotikbereich.“

„Oh mein Gott, ein Vibrator! Du hast einen Sextoy-Kalender gekauft?“

„Ja! Mit vielen hochwertigen elektrischen Geräten, die massieren.“

„So etwas gibt es in unserem Dorf?“

„Nein, ich war kurz bei der Packstation und hab ihn dort abgeholt.“

„Wau, ich bin überrascht. Handarbeit war gestern, heute zieht die Elektronik ins Schlafzimmer ein“, bemerkte ich spöttisch.

„Schatz, wo ist deine Experimentierfreudigkeit geblieben?“

Das war ausgefallen. Bei Badekugeln und Massageölen hatte man wenigstens ein Vorspiel und daraus entwickelte sich etwas. Aber so ein Vibrator ist schon extrem direkt.

Am Abend öffnete Jens eine Flasche Rotwein. Wir saßen vor dem Kamin, es dauerte nicht lange und wir küssten und berührten uns gegenseitig. Durch den erotischen Kalender, der den ganzen Tag in unseren Köpfen kreiste, war das nicht schwer. Wir waren beide doch voller Erwartungsfreude. Seine Hände waren so fordernd und auf einmal überall. Er hielt sich zurück und benutzte zu meiner weiteren Lusterfüllung den Mini- Auflegevibrator, der äußerst leistungsfähig war, trotz mini. Der Gatte, ein pensionierter Elektrotechniker, war voll in seinem Element. Am Bedienerknopf eines elektrischen Hightech-Gerätes. Am liebsten hätte er es mit in seine Werkstatt genommen, mit mir auf seiner Werkbank, fantasierte ich. Dieser Gedankengang erregte mich so, dass ich aufstöhnte. Es folgte ein überwältigender Orgasmus, genau auf dem Punkt mit dem verebbenden Summen des Vibrators.

„Der muss ans Netz!“ Mit diesen Worten sprang mein Mann auf und suchte das Netzteil.

Ich versuchte den Rest des abebbenden Vergnügens zu genießen, doch die Stimmung war hin. Kurze Zeit später kam der Gatte zurück und fragte mich: „Na, wie war es?“ Beantwortete sich aber die Frage sofort selber. „Du warst überwältigt, ich habe alle Stufen durchprobiert, top Gerät.“

Ich dämpfte seine Euphorie, denn ich war sauer.

„Da ist Potential nach oben, vor allem bei dem Bediener. Mehr Einfühlungsvermögen, weniger Technikbegeisterung.“ Er nahm es mir nicht übel. Wir waren ja beide Sextoy-Anfänger.

Am nächsten Morgen öffnete Jens die Schublade vom Kalender. Ein Masturbator aus rotem Silikon. Jetzt waren wir im Partnerlook. Dieses Mal bediente ich, mit alter traditioneller Handarbeit, denn der war nicht elektrisch. Bis es für ihn zu eng und unangenehm wurde. Wir hatten die Gebrauchsanweisung nicht gelesen, da wir uns mittlerweile für Sexprofis hielten. Ich suchte hektisch im Kalender nach dem Gleitgel. Es war erforderlich, das Gel vor der Anwendung des Toys aufzutragen, >für ein störungsfreies Vergnügen<, hieß es. Die Größe des Masturbators ist ebenfalls entscheidend.

Am dritten Dezember brauchte mein Mann eine Geschlechtsteilpause. Doch wir ließen es uns nicht nehmen das nächste Schächtelchen zu öffnen. Raumnebel vegan, speziell für eine sinnliche Atmosphäre. Am Abend erfuhren wir dann, dass ich diese Düfte, Amber mit Sandelholz, nicht vertrage. Mein Mann riss alle Fenster auf und ich suchte hektisch die Allergietabletten, bevor mir die Luft ausging.

Vor der vierten Schublade hatte ich jetzt schon etwas Angst, unbegründet, wie sich herausstellte. Ein veganer Toycleaner. Ich war erleichtert, wir hatten eine Pause und wurden dazu angehalten unser Spielzeug zu putzen. Wir gönnten uns einen Spaziergang über den Weihnachtsmarkt und ich zelebrierte meinen ersten Eierpunsch. Ein Abend ohne Enttäuschungen und Verletzungen.

Der fünfte Tag erweiterte erneut unseren Horizont. Ein Analplug, ebenfalls aus rotem Silikon.

„Da bin ich raus“, sagte ich und drückte ihm das Toy in die Hand.

„Spielverderberin! Das Teil erinnert mich an das Buch Fifty shades of grey. Hatte sie nicht Liebeskugeln in ihre Vagina eingeführt, bevor sie mit ihm zu einer Party gegangen ist, oder hatte er ihr die Kugeln … ?“, überlegte er angestrengt.

„Dieses Toy kommt woanders hin. Ich befreie dich nicht wieder, wenn etwas falsch läuft, und ich benutze es definitiv nicht. Höchstens um Weinflaschen zu verschließen. Mittlerweile sind die Küchenhelfer so stylisch, dass man ohne Hinweisschild gar nicht genau vermutet, wofür sie sind.“

Am zweiten Advent kamen die Kinder zum Essen. Es ist Tradition und sie bringen immer meine Schwiegermutter mit.

Ich wuselte in der Küche herum und war mit den Vorbereitungen für das Mittagessen fast fertig, als ich unseren Sohn hörte und kurz erstarrte.

„Oh wie elegant! Euer Adventskalender sieht aber teuer aus. Ihr habt das Türchen heute nicht aufgemacht“, sagte er.

„Das holen wir am Abend bei einem Glas Wein nach“, antwortete ich hastig. Ich hatte vergessen, ihn wegzustellen, bevor die Familie eintrudelte. Das war das Stichwort für meine Schwiegermutter, die die Gelegenheit nutzte, um ihre typischen Sprüche loszuwerden. Bei ihr gab es früher nur Schokoladenkalender und die waren völlig ausreichend. Dieser Kalender wäre die pure Verschwendung. Wofür wir so etwas überhaupt in unserem Alter bräuchten, sie hätte seit Jahren keinen mehr.

Jetzt wurde meine Tochter auf den Vergnügungskalender aufmerksam, und bevor ich in der Lage war sie daran zu hindern, hatte sie das Schächtelchen aufgezogen. Ich hielt die Luft an. Sie holte einen kleinen roten Gegenstand aus Silikon heraus, abgesetzt mit einer silbernen Kappe und darauf ein roter Bedienungsknopf. Das Toy hing an einem schwarzen Band. Sie schaute mich leicht grinsend an, knipste mit dem Auge, dann legte sie den Mini-Reisevibrator schnell wieder in die Schachtel zurück. Sofort packte ich den Kalender und trug ihn hinaus, angeblich aus Platzgründen. Ich strebte kein Tischgespräch über Sextoys an. Meine Tochter schien bestens darüber aufgeklärt zu sein, die jungen Leute von heute wuchsen informierter auf. Wir Alten waren dazu verdonnert, uns das Wissen hart, mit einigen Blessuren, zu erarbeiten. Schwiegermutter war wieder friedlich, weil sie angeblich eine Taschenlampe gesehen hatte.

„Da freut sich Jens, der liebt ja elektrische Geräte“, stellte sie fest.

„Ich hoffe, für dich gibt es ebenfalls etwas“, säuselte sie.

„Aber sicher, ein Weinflaschenverschluss, recht praktisch“.

Jens verschluckte sich an seinem Bier.

In der zweiten Hälfte des Advents wurden wir gelassener und probierten fast alles aus. Hand- und Fußfesseln so wie Augenbinde und ein erotisches Kartenspiel, brachte uns auf Touren. Veganes Intensiv-Gel ließen wir aus, zu groß war die Angst vor einem anaphylaktischen Schock. Für Nippelsauger und Peitsche war ich zu schmerzempfindlich. Für das Würfelspiel mit zwölf verschiedenen Sexstellungen fehlte uns die Ausbildung im Bodenturnen, uns reichten drei. Aber bei dem Paarvibrator aus der vierundzwanzigsten Schublade hatten wir Ehrgeiz entwickelt. Eines Tages wird er uns großes Vergnügen bereiten, wenn wir es hinbekommen, ihn ohne Schmerzen und Störungen zu benutzen. Womöglich gibt es ja einen Kurs oder eine App. Wir recherchieren derzeit!

Im nächsten Jahr wird es ein Drogenkalender, darin waren wir uns einig. Wir waren jetzt experimentierfreudiger. Die Regierung arbeitet zurzeit unter Hochdruck an der Legalisierung von Cannabis. Wir hätten das ganze Jahr über Spaß, wenn wir im Frühjahr die Pflanzen selber ziehen, in Handarbeit, für den Eigenbedarf. Die Blüten trocknen wir dann in den Schubladen des Toy-Kalenders.

                                       

                                                    V2