Von Brigitte Noelle

 

Sie waren jung, unbekümmert und naiv, dabei fühlten sie sich lebenserfahren, abgeklärt und abgebrüht.

Jana kannte Hermann schon seit Jahren und schätzte ihn als guten Zuhörer und gescheiten und witzigen Freund.

Seit Kurzem waren sie um eine unerwünschte Erfahrung reicher: Beide hatten eine langjährige, zum Schluss belastende Beziehung hinter sich.

Jana war zwar gekränkt vom Verhalten ihres Ex-Frundes, entdeckte jedoch neue Freiheiten: Sie besuchte einen Judokurs, engagierte sich in der Frauenbuchhandlung und unternahm mit neuen Bekannten lange Radtouren.

Hermanns Interesse hingegen galt neben seinem Studium vor allem dem, schnell eine neue Freundin zu finden. Und er fand auch viele, eine nach der anderen. Aber so schnell diese Beziehungen eingegangen waren, so schnell gingen sie wieder in Brüche, und so war Hermann nahezu permanent auf Frauensuche.

Jana war darüber ziemlich gut im Bilde, aber völlig perplex, als Hermann auch ihr ein entsprechendes Angebot machte. Ohne Umschweife machte sie ihm klar, dass sie ihn als Freund außerordentlich schätze und auch behalten möchte, während sie eine Beziehung mit ihm nie in Erwägung gezogen hätte und einer solchen auch schlechte Prognosen stellte.

Einen Monat später erfuhr sie von ihrer besten Freundin, dass ihr Hermann, der diese eigentlich kaum kannte, ebenfalls eine Art Antrag gemacht hatte. 

Nein, so konnte das nicht weitergehen. Hermanns fixe Idee tat niemandem gut, auch nicht ihm selbst. Aber wie sollte sie ihm das beibringen?

***

Einige Wochen später, in ihrem Stammcafé:

„Letzten Samstag war ich auf der Party einer Studienkollegin“, erzählte Jana. „Da habe ich Fredy kennengelernt. Er schaut echt gut aus: Schöne blaue Augen, lange, dunkle Locken, groß und gut gebaut. Und gescheit! Wir haben den ganzen Abend miteinander geredet.“

In Hermanns Augen glomm ein Hauch von Eifersucht auf. „Ein Gigolo-Typ! Also, von dir hätte ich mehr Geschmack erwartet.“

„Aber nein! Als Architekt hat er ‚Gigolo‘ nicht notwendig. Und er hat auch gesagt, dass er Beziehungen sehr ernst nimmt. Jedenfalls hat sich beim allgemeinen Aufbruch herausgestellt, dass er in meiner Gegend wohnt und hat mir angeboten, mich nach Hause zu bringen.“ 

„Was du nicht sagst! Und wie ist es weiter gegangen?“

„Wie stiegen in sein Auto ein – ein toller Wagen, ganz neu, schnittig, elegant … Welches Fabrikat? Keine Ahnung, damit kenne ich mich nicht aus. Ganz eng saßen Ferdy und ich nebeneinander. Die Nacht war warm, durch die offenen Fenster drang die weiche, laue Luft, gedämpft drangen mitternächtliche Geräusche wie von einem anderen Stern zu uns herein. Wir kamen zum Großen Park. Dort blühten gerade Rosen und Jasmin. Ihr schwerer, sinnlicher Duft machte uns ganz benebelt. Alles schien so unwirklich, wie in einem Märchen. Fredy parkte am Straßenrand und schaltete den Motor aus.“

Hermanns Augen begannen feucht zu glänzen. „Ja?“

„Wie stiegen aus. Der frische Geruch des frisch geschnittenen Grases mischte sich mit dem betörenden der Blüten. Der klare Himmel mit seinen leuchtenden Sternen breitete sich wie eine weiche Samtdecke über uns. Schweigsam streiften wir durch den Park. Ab und zu hörten wir den sehnsüchtigen Gesang einer Nachtigall und aus der Ferne wehten die leisen Töne eines Klaviers zu uns her.“

Hermann nippte an seinem Kaffee, ergriff gedankenverloren den Salzstreuer und streute eine ordentliche Prise sind sein Getränk, um es zu süßen.

„Schließlich erreichten wir einen kleinen, von blühenden Sträuchern umgebenen Teich. Ferdy sprach unsere Gedanken aus: Ob es nicht schön wäre, dort hinaus zu schwimmen. Wir legten die Kleidung ab – es konnte uns ja niemand sehen – und wateten ins laue Wasser, schwammen los. Das Licht des Mondes erhellte den See, ließ die Wellen glitzern, unsere nassen Arme leuchten. Manchmal streifte etwas an meinen Beinen. War es ein Fisch, Wasserpflanzen oder vielleicht Fredys Körper?“

Hermann zerrte ein rotkariertes Taschentuch hervor und trocknete sich die Stirn. „Jaaa“, stieß er hervor. „Ihr schwammt herum, und dann …?“

„Als wir genug hatten, legten wir uns auf das weiche Gras des Rasenstück am Ufer und nahmen die stille Zärtlichkeit der Umgebung in uns auf.“

Hermann würgte sein Taschentuch. Als er es bemerkte, steckte er es weg und verschränkte die Finger so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Und dann?“, fragte er mit belegter Stimme.

„Langsam begannen wir zu erzählen. Unsere schönsten Kindheitserinnerungen, unsere Wünsche und Träume, und auch, was wir unter ‚Liebe‘ verstehen. Wir fühlten uns so sehr verbunden. Miteinander, mit der nächtlichen Welt, mit dem ganzen Kosmos …“

„Zum Teufel mit dem Kosmos!“ Hermann schluckte und seine Augen quollen aus den Höhlen. „Habt ihr jetzt endlich …?“

„Irgendwann kündigte ein kühler Windhauch den Morgen an. Wir standen auf, zogen uns an und gingen Hand in Hand zurück zum Auto. Ferdy meinte, er werde diese Nacht nie vergessen.“ 

Hermann fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Seine Gesichtsfarbe begann sich zu röten. „Das war alles?“

Jana frohlockte. Es schien zu funktionieren. „Nein, Fredy hat mich dann nach Hause gebracht. Als ich die Haustüre aufsperrte, rief er mir zu, ich solle noch warten. Er eilte auf mich zu, umarmte mich und drückte mir eine Rose in die Hand, die er im Park gepflückt haben musste.“

„Spann mich nicht auf die Folter! Ihr standet vor der Türe …“, Hermann atmete stoßweise. Schweißtropfen bildeten sich wieder auf seiner Stirne.

„Und dann ist er zum Auto gegangen und fuhr mit seinem Freund Ferdy nach Hause. Habe ich dir nicht erzählt, dass er schwul ist?“ 

„Waaaas?“ Hermann starrte Jana entgeistert an. Jana starrte zurück. 

„Was hast du denn gedacht? Dass alle Menschen nur Sex im Kopf haben? Vielleicht solltest Du einmal deine aktuellen Interessen überdenken!“

Langsam löste sich Hermanns erstarrte Miene. Beide begannen zu grinsen.

Sie waren jung, unbekümmert und naiv, dabei fühlten sie sich lebenserfahren, abgeklärt und abgebrüht.

 

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