Von Karl Kieser

 

Es ist tatsächlich wieder passiert.
Ich werde wach im Körper einer Frau. Nackt!
Diese hier ist jünger als ich, wesentlich jünger. Sie ist sogar jünger als Irmi.
Der große Spiegel in der Diele zeigt mir eine ähnliche Statur wie die Irmis. Mein Typ ist sie aber nicht.
Während ich mehr den sportlichen Look bevorzuge – straffe, durchtrainierte Figur, dunkle, kurzgeschnittene, lockige Haare – ist sie blond mit langen, glatten Haaren und weicher Miene.

Obwohl ich klammheimlich auf eine Wiederholung des eigentlich verstörenden Erlebnisses gehofft habe, bin ich jetzt doch verunsichert. So etwas wird mir doch wohl nicht immer wieder passieren? Was ist, wenn Irmi nach so einer Körperwandlung neben mir aufwacht? Die flippt mir doch aus. Ich werde Fingerspitzengefühl brauchen, um sie zu überzeugen.
Jetzt bin ich zum Glück allein in der Wohnung, wie beim ersten Mal.
Ist das vielleicht sogar eine Voraussetzung für den Körperwechsel?
Damals habe ich mich nach einem Sturz zurück in meinem Standardkörper wiedergefunden. Die Narbe auf der Stirn kann man noch sehen. Ich vertraue also darauf, dass ich mir nur wieder heftig den Kopf stoßen muss, damit ich den Rückweg in meinen eigenen Körper finde. Es bleibt mir ja auch gar nichts anderes übrig.

Nach dem Erlebnis des ersten Körperwechsels, das so abrupt und schmerzhaft endete, hatte ich mir vorgenommen, beim nächsten Mal umsichtiger vorzugehen. Diesmal will ich die Gelegenheit nutzen und herausfinden, wie Frauen ticken.

Aber da ist schon die erste Hürde. Abgesehen von meinem neuen Aussehen, hat sich bei mir nichts geändert. Der weibliche Körper kann mir nicht helfen, wie eine Frau zu denken. Auch die psychischen Empfindungen einer Frau werden mir verborgen bleiben. Aber was ist mit den rein körperlichen Gefühlen? Was bedeutet es, eine Last zu heben, zu laufen, zu rennen? Und, was mich am meisten interessiert, wie ist das mit den sexuellen Gefühlen?
Diesmal werde ich mich nicht von moralischen Bedenken abhalten lassen. Ich will es wissen!
Mit beiden Händen umfasse ich die Brüste und streichele sie. Oh ja, der Körper reagiert. Bei den Brustwarzen verändert sich etwas.
Ich liebe es ja, Irmis Brüste zu streicheln. Aber was fühle ich jetzt? Sind das Blondies Empfindungen? Und wieviel davon wird von meinem Bewusstsein dazugemixt?
Eine Hand gleitet wie von selbst über den Bauch nach unten in das Dreieck zwischen den Beinen. Meine Finger kneten sanft, so wie ich es bei Irmi mache. Ich schließe die Augen. Sehe sie im Bett, wie sie sich mit gespreizten Beinen, wohlig seufzend räkelt unter meinen Berührungen. Wie immer dauert es nicht lange, bis ein Finger hineingleitet. Er wird warm und feucht umschlossen. Aah, ist das wundervoll. Jetzt möchte ich mein Gesicht zwischen ihren Schenkeln vergraben und mit der Zunge …

Aber ich bin ja nicht mit Irmi im Bett und öffne die Augen. In dem großen Spiegel sehe ich eine blonde Frau mit gespreizten Beinen und verschleiertem Blick, eine Hand an ihrer Brust, die andere zwischen den Schenkeln.
Aber die Gefühle kenne ich. Es sind meine Gefühle. Ich kenne sie von vielen Wiederholungen, wenn Irmi und ich uns guttun.
Kann ich überhaupt etwas grundsätzlich anderes empfinden? Wieviel von Lust und Ekstase ist auf reine Körperreize zurückzuführen und wieviel davon spielt sich im Kopf ab? Es ist schließlich mein Kopf, der hier mitspielt, zumindest ist es mein Bewusstsein.
Nur eines könnte anders sein. Als Frau müsste ich mich nicht zurückhalten. Könnte mich durch mehrere Orgasmen treiben lassen. Was habe ich nicht schon alles davon gehört.
Als Mann dagegen, darf ich nicht die Kontrolle verlieren. Wenn mich „der kleine Tod“ ereilt, dann bin ich aus dem Rennen. Wäre ich in dem Moment das Männchen einer Mantis religiosa, dann würde ich mich widerspruchslos verspeisen lassen.
Irmi liebt ein langes Liebesspiel. Ich weiß also, was Kontrolle für mich bedeutet. Wie gerne würde ich mich auch einmal bedingungslos treiben lassen. Bisher kann ich es aber nicht riskieren, andere Sitten einzuführen.

Jetzt könnte ich selbst die Erfahrung multipler Orgasmen machen. Soll sich Blondie dafür in irgendeiner Bar von einem halbwegs sympathischen Kerl aufreißen lassen? Würde Irmi mir das verzeihen? Und würde ich es fertigbringen, mit einem Mann ins Bett zu gehen? Außerdem ist ja absolut nicht sicher, dass mich das erhoffte Erlebnis erwartet. Ja, es ist eher wahrscheinlich, dass so eine Zufallsbekanntschaft sich nicht besonders viel Mühe geben würde.

Aber Irmi selbst wäre doch die Richtige für so ein Experiment. Sie ist allen neuen Techniken und Spielzeugen gegenüber aufgeschlossen. Ja natürlich, darauf hätte ich schon früher kommen müssen. Wenn Irmi weiß, dass ich in diesem Sweety stecke, wird sie begeistert mitmachen. Sobald sie von ihrer Dienstreise zurück ist, werden wir eine wunderbare Zeit miteinander haben.
Ich sehe sie vor mir, die rassige Irmi und die weißhäutige Blondie, als verschlungene Körper auf meinem Bett. Das verspricht ein endloses Liebesspiel zu werden, nur begrenzt durch unsere eigene Erschöpfung.

„Was ist denn hier los?“

Irmi steht in unserer Diele. Wieso ist sie heute schon zurück? Die Reisetasche entgleitet ihr und landet mit einem satten Plopp auf dem Boden. Dieser eine Satz drückt so viel aus. Da ist Überraschung, Unglauben und ein aufkeimender Zorn. Oh, ich liebe sie so. Aber nun sollte ich sie doch schnell in meine Doppelrolle einweihen.

„Hallo, mein Schatz, …“ Zum ersten Mal höre ich Blondies Stimme. Es ist eher ein Stimmchen und strahlt so wenig Souveränität aus, dass ich mich ärgere, nicht ein wenig mit ihr geübt zu haben. Eigentlich will ich fortfahren: „… ich habe eine Riesenüberraschung für dich.“, aber dazu komme ich nicht mehr. Irmi scheint sich aus dem Stand in eine Berserkerin verwandelt zu haben. Ihre Stimme ist nun eiskalt.

„Du hältst die Klappe, Schlampe!“ und lauter: „Komm raus, du Mistkerl.“ Sie beginnt, Türen und Schränke aufzureißen bei ihrem Sturmlauf durch die Wohnung. Dabei knurrt sie immer wieder: „Wo hast du dich versteckt. Ich finde dich, du Feigling.“

Blondie tippelt hinter ihr her und versucht, mit ihrem Stimmchen zu Wort zu kommen:
„Bitte, Liebling, ich bin es doch. Wenn du mir nur fünf Minuten zuhören würdest, könnte ich alles aufklären.“
Doch Irmi hat in ihrer Rage keinen Blick für die vermeintliche Rivalin, stößt sie mehrfach brutal zur Seite, wenn sie ihr in die Quere kommt.

Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich meinen Schatz nur noch durch intimes Wissen über ihren Körper davon überzeugen kann, dass in Wirklichkeit ich es bin, der vor ihr steht. Wir sind wieder in der Diele angekommen und Irmi macht Anstalten, sich ihre Reisetasche zu schnappen, als Blondie atemlos piept: „Ich weiß von dem süßen kleinen Schmetterling auf deiner linken Pobacke und ich kenne auch das Muttermal in deinem Dreieck, das nur sichtbar wird, wenn dein Schamhaar kurz getrimmt ist.“

Irmi erstarrt. Sie richtet sich langsam auf und dreht sich zu mir um.
Jetzt wird die Erkenntnis über sie kommen. Sie wird mit mir über die verblüffende Körperwandlung staunen und wir werden uns für ein langes Liebesspiel in die Arme sinken.

Während ich sie erwartungsvoll anstrahle, umrundet Irmi mich mit langsamen Schritten, dabei mustert sie mich von oben bis unten wie ein seltenes Insekt.
Was dann kommt, ist sehr verwirrend für mich.

„Das hat er dir erzählt? So ein Schwein!“

Dann schlägt sie unvermittelt zu.
Das habe ich nicht kommen sehen. Im Rückwärtsgang stolpert Blondie über die Reisetasche. Leider ist kein Platz, lang hinzuschlagen, daher kollidiert ihr Kopf mit der Wand.
Nur weil ihr Schopf den Aufprall dämpft, höre ich noch die Wohnungstür zufallen, bevor bei mir die Lichter ausgehen.