Von Caroline Simanek

Meine Augen begannen zu brennen und zornig wischte ich die Tränen weg, die vor Wut aufgestiegen waren. Nicht nur, dass mir mitten in der Nacht der Reifen geplatzt war, zu allem Überfluss fiel mir auch noch das Mobiltelefon aus der Hand und landete in einer Pfütze. Jetzt stand ich mitten im Nirgendwo neben einem alten Waldfriedhof. Schon seit Stunden hatte ich keine Häuser oder Wegweiser gesehen. Dennoch blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf die Socken zu machen, um nach Hilfe zu suchen. Mutlos schaute ich mich um. Da bemerkte ich ein kleines Licht auf dem Friedhof. Es war viel heller als die herkömmlichen Grablichter. Vielleicht gab es hier jemanden – einen Gärtner oder gar einen Wächter, der mir helfen konnte.

Langsam öffnete ich das verrostete Tor. Das laute Quietschen zerriss die Ruhe der Nacht. Sanfter Nebel stieg vom Boden empor und wandte sich wie eine totenbleiche Schlange über die Gräber. Es wurde mir zunehmend unheimlicher. Ich trat gerade an einer alten Familiengruft vorbei, als ich dahinter Kerzenlicht entdeckte. Zuerst wollte ich meinen Augen nicht trauen. Das was ich jetzt vor mir sah, wirkte auf den ersten Blick so fehl am Platz, dass ich es für einen Traum hielt. Eine junge Frau in einem weißen Rüschenkleid saß auf einer Decke und streckte leger ihre Beine von sich. Ein antiker Kerzenleuchter erhellte ihren Platz, sodass ich alles bis ins kleinste Detail betrachten konnte. Neben Wein und Feigen, thronten frisches Brot und Obst auf einem Teller neben ihr. Sie legte ihren Kopf schräg und musterte mich mit ihren schwarzen großen Augen. »Ich freue mich sehr, einen Gast zu meiner kleinen privaten Geburtstagsfeier begrüßen zu dürfen. Setz dich doch und trinke mit mir!«

Vom ersten Blick her, war ich davon ausgegangen auf einen Teenager getroffen zu sein. Ihre zierliche Gestalt und auch das volle Haar, hatten mir diesen Eindruck vermittelt. Doch ihre dunkle Stimme klang befehlsgewohnt und reif. Wie die einer Dame, die wusste, wie sie das Regime in der Hand halten musste. Sie schenkte sich gerade Wein in ein edles Glas und reichte mir dieses entgegen. »Du darfst mich … «, sie zögerte, als ob sie gerade über die Anrede nachdachte »Elisabeth nennen!«

Noch immer war ich perplex. Bedächtig nahm ich das Weinglas entgegen und nippte. Der Rebensaft schmeckte süß, dennoch hatte er auch einen staubigen Nachgeschmack in meiner Kehle hinterlassen, dass ich ein Husten unterdrücken musste. So stellte ich mich vor und brachte auch mein Anliegen da. Sie strich sich mit einer Geste, die mehr gewohnt als bedacht war, eine Haarsträhne zurecht, die sich aus ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur gelöst hatte. »Ich kann dir nicht helfen. Doch lass uns ein wenig plaudern. Ich bin mir sicher, dass im Morgengrauen alles anders aussieht! «

Ihr fixierender Blick schien keinen Widerspruch zu dulden. Zudem hatte sie recht. Es war weit nach Mitternacht und die Chance hier noch auf andere Menschen zu treffen, war gering. Die Nähe einer weiteren Person wirkte so beruhigend auf mich, dass ich den Schrecken vergaß. Ich setzte mich zu ihr. »Warum feierst du deinen Geburtstag auf einen Friedhof?«, fragte ich verwundert. Die Angesprochene legte ihre Stirn in Falten und blickte hinauf zu dem Mond, als ob sie darin eine Antwort finden könnte. Das silberne Licht zeichnete sich auf ihrer milchweißen Haut und schenkte ihrer Anmut Vollkommenheit. Dennoch enthüllte es auch ein paar zarte Falten neben ihren Augen, die von Kummer und Sorgen berichteten. »Ich mag die Ruhe. Kleine Gärten aus denen Trauer und Sehnsucht sprechen!«

Ihre Antwort verwirrte mich. »Ist das hier nicht ein bisschen unheimlich? Bist du hier ganz allein?«, sprudelte es aus mir heraus.

 Sie lachte kurz auf, was aber mehr wie eine traurige Ironie klang. »Nein, alleine bin ich nie. Schatten der Vergangenheit suchen mich heim. Ruhelose Geister. Sie haben geschworen mich zu verfolgen, bis an mein Lebensende. Leider bin ich unsterblich!«

 Ich hielt es für einen Scherz, den ich nicht verstand, dennoch ersparte ich ihr ein falsches Lachen und nippte stattdessen erneut an dem Wein.

»Der Tod kann Trost bedeuten. Besonders dann, wenn man in seinen vier Wänden eingemauert auf Erlösung hofft!«, philosophierte sie weiter.

In diesem Moment verstand ich noch nicht, was sie mir sagen wollte und glaubte, es wäre eine Metapher. Ich leerte den Rest des Glases, auch wenn der Geschmack mir noch immer nicht zusagte, aber meinen Durst löschte.

Mit vornehmen Worten sprach Elisabeth über Magie und Okkultismus. Da auch ich mich in den früheren Jahren mit diesen Themen beschäftigt hatte, war ich sehr erfreut, jemanden zu Treffen, der sich auskannte. So äußerte ich: »Die Leute von Heute glauben alles zu wissen, ohne dass sie sich ausreichend damit auseinandersetzen wollen«.

»Wem sagst du das?«, entgegnete Elisabeth und ein schwerer Hauch von Wehmut sprach aus ihrer Stimme. »Früher waren die Menschen noch viel schlimmer!« Sie lachte glockenhell und ich stimmte in das Gelächter mit ein.

Vielleicht lag es auch an dem Wein. Denn in ihrer Gesellschaft hatte ich die Reifenpanne total vergessen. Mir entfiel auch die Tatsache, dass ich mich noch immer auf einem alten Friedhof befand.

Elisabeth legte ihre kalten Hände auf die meinen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Sie spitzte ihre rot bemalten Lippen und raunte mir in die Ohren: »Der Preis der Unsterblichkeit, ist hoch und doch so voller Faszination. Das, was einmal war, wird in Vergessenheit geraten. Dein wahres Ich, bleibt verhüllt unter Mythen und Poesie … «

Ich versuchte, das Gesagte zu verstehen, doch leider schien mir der Wein stärker zu Kopf gestiegen zu sein, als ich dachte und so musste ich mitten im Gespräch eingeschlafen sein. Es war schon hell, als mich ein Polizeibeamter mit empörten Worten weckte.

Mutterseelen alleine lag ich auf dem Friedhof. Mein Kopf dröhnte und mir war schwindelig. Zuerst reagierte der Beamte sehr schroff, doch als ich ihm von meiner Panne erzählte verflüchtigten sich seine Vorbehalte.

Schon überlegte ich, ihm etwas von dieser mysteriösen Elisabeth zu erzählen. Aber etwas in mir, weigerte sich.

Der Uniformierte reichte mir die Hand, dass ich aufstehen konnte. »Tut mir leid!«, bekundete er. »Es kommt eben nur oft vor, dass sich in der Nacht vom 7. August immer wieder Teenager und andere Freaks hier in der Gegend verlaufen, um den Geburtstag der Blutgräfin zu feiern! «

»Blutgräfin?«, fragte ich.

Der ältere Beamte strich durch seinen bereits ergrauten Vollbart. »Ja, eine Adelige, die  im sechzehnten Jahrhundert aus dieser Gegend stammte. Einige sagen, es war eine Intrige, andere glauben, dass sie über achtzig Jungfrauen getötet haben soll und in deren Blut gebadet hätte. Da sie aus dem Adelsgeschlecht Dracula sei, hat sich dieser Mythos verstärkt. Noch heute wird sie von diesen düsteren Gestalten verehrt, wie eine verdammte Heilige. Doch ich kenne mich damit nicht so aus. Ist mir auch egal. Da ich es bin, der die betrunkenen Teenager vom Friedhof holen muss. Einige verlaufen sich auch gar und werden nicht mehr gefunden!«

 

Während des Gesprächs gingen wir zu meinem Fahrzeug zurück. Noch immer fühlte ich mich nicht gut und als der Schwindel mich erneut in die Mangel nahm, musste ich mich auf den Bürgersteig setzen. Da fielen dem Polizisten die Wundmale an meinem Hals auf. »Haben Sie sich bei dem Unfall verletzt? «

Langsam kam er näher, um sich meinen Hals genauer anzusehen. »Sieht beinahe so aus, als hätte sie da etwas gebissen!«

 

Noch immer denke ich an jene geheimnisvolle Nacht zurück. Auch wenn die Gräfin mir etwas von meinem Lebenssaft genommen hatte, war ich ihr nicht böse. Sehr gerne zahlte ich den Preis. Denn es war mir eine große Ehre mit der legendären Gräfin Elisabeth Bathory zu picknicken.

  1. Version

Kurzgeschichte von Caroline Simanek