Von Sonja Schirdewan

Es war im Jahre des Herrn 1762, während meines Aufenthaltes in Moskau,  als ich zu ihr gesandt wurde. Diese Frau eine Schönheit zu nennen wäre eine reine Lüge gewesen, doch ihr verderbter Leumund weckte meinen Ermittlergeist und damit schlimme Befürchtungen in meinem Herzen. Ich bekam den Auftrag, diesem Verdacht nachzugehen und mich zu überzeugen, ob dort auf diesem abgelegenen Gut tatsächlich grausame Verbrechen geschehen. Mein Befehl sah ausdrücklich vor, nur zu ermitteln und dann umgehend Bericht zu erstatten, ein Eingreifen war mir zu diesem Zeitpunkt noch untersagt, auch für meine eigene Sicherheit.

Also erbat ich eine Audienz bei Darja Nikolajewna Saltykowa und sollte tatsächlich die Gelegenheit bekommen, der Saltytschicha, wie sie oft genannt wurde, persönlich meine Aufwartung machen zu dürfen. Mit Mitte zwanzig war sie als adlige und wohlhabende Witwe bereits Herrin über große Landgüter und tausende Leibeigene.

Gewandet in erlesene Kleidung und mit kostbarem Geschmeide ausstaffiert erwartete sie mich zum Tee im Salon ihres Landgutes Troizkoje südlich der Hauptstadt.  

 

„Seien Sie mir willkommen.“ Sie hielt mir ihre Hand hin und ich deutete eine Verbeugung mit dem sich geziemenden Handkuss an. Unauffällig ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen und nahm jede Kleinigkeit wahr. Wertvolle Möbel und Kunstgegenstände, alles hatte seinen Platz im Raum, alles war ordentlich und blitzsauber.

„Nehmen Sie Platz“, bat sie lächelnd und deutete auf einen sehr bequem aussehenden rot gepolsterten Lehnstuhl. Ich ließ mich langsam nieder und eröffnete das Gespräch:

„Es ist eine große Ehre für mich, dass Ihr mich empfangt, Darja Nikolajewna.“

Sie winkte ab. „Was führt Sie denn hierher?“

„Ich hörte bereits so viel von Eurer großen Lieblichkeit und als mich dann eine Reise nach Moskau verschlug, hoffte ich, mich einmal persönlich davon überzeugen zu dürfen“, erklärte ich mit einer Neigung meines Hauptes in ihre Richtung.

Die Aufmerksamkeit genießend fragte sie „So, auf Ihren Reisen hörten Sie von meiner Schönheit? Erzählen Sie doch Näheres.“

 

Ein Dienstmädchen unterbrach unsere Konversation knicksend, um süße Früchte und etwas Gebäck zu bringen. Zaghaft stellte das Mädchen ein silbernes Tablett auf einen kleinen Beistelltisch neben den kunstvoll verzierten Samowar mit dampfendem Tee. Sie zitterte so sehr, dass sie beinahe den heißen Kessel umgeworfen hätte. Ich wollte mich gerade erheben, um dem Fräulein behilflich zu sein, da schnellte die Saltytschicha schon hervor und schlug der Magd so stark mit der Faust ins Gesicht, dass diese zurück taumelte, über die Kante des dicken Teppichs stolperte und hintenüber fiel.

„Nein, Herrin, bitte nicht!“, flehte sie mit angstvoll aufgerissenen Augen.

Doch die überlegene Frau kannte kein Erbarmen. Noch ehe ich realisierte was geschah, hatte sie schon nach dem Wasserkessel gegriffen und dem armen Mädchen den kochend heißen Inhalt über das Gesicht gegossen. Schmerzerfüllt schrie es auf und mir fiel auf, dass alle anderen Bediensteten sich auf einmal versteckten, wie die wehrlose Beute vor dem hungrigen Raubtier. Vielleicht sogar ein bisschen erleichtert, dass es nicht sie selbst erwischt hatte, dieses Mal zumindest. Abgesehen von den Schmerzensschreien des ausgelieferten Dienstmädchens war das ganze Haus totenstill. Die Saltykowa ging näher an ihre sich windende Untergebene heran und boshaftes Vergnügen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Mit dem rechten Fuß holte sie so weit aus, wie es ihr Kleid zuließ, um dem Mädchen mit aller Kraft in den Unterleib zu treten. Sie schien meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben und ich schaute dem Schauspiel nur erschüttert zu. Die Adlige griff nach dem Haarschopf ihrer Bediensteten, riss ihr heftig die Kopfbedeckung herunter und zerrte sie an ihren nun losen Haaren zum brennenden Kamin. Das Mädchen schrie um Gnade und strampelte um sein Leben. Wie betäubt stand ich auf. Noch immer kreischte und flehte sie ihre Gebieterin an, doch von ihr ab zu lassen, ihre Hilfeschreie erschütterten mein Gemüt bis ins Mark.

„Ich verspreche besser aufzupassen, bitte Herrin, ich werde nie wieder Tee verschütten!“ wimmerte sie. Es war eindeutig erkennbar für jedermann, dass es der Saltytschicha definitiv nicht um solche Nichtigkeiten ging…

Die Magd merkte, dass sie damit nicht weiter kam. Flehen, Hoffnung, Panik, all‘ das las ich in ihren angstgeweiteten Augen.  

„Bitte Herr, bitte helft mir, und ich werde tun, was immer ihr von mir verlangt, aber bitte, bitte helft mir.“

 

Mein schockiertes Gesicht war Antwort genug, sie erkannte, von mir wäre keine Hilfe zu erwarten. Oh, wie sehr wünschte ich mir, einschreiten zu dürfen!

Sie schlug mit aller Kraft nach ihrer Peinigerin und ihre Schreie: „Nein, nein, bitte nicht!“, werden auf ewig in meinem Kopf widerhallen. Schon hatte die Saltykowa ihr Opfer zum Kamin geschleift und hielt den Kopf der Magd gerade so nah über das lodernde Feuer, dass ihr die Haare abflammten. Beißender Gestank breitete sich im Salon aus, ich musste den Atem anhalten, auch vor Scham, dass ich diesem Geschehen nicht Einhalt gebieten durfte. Das Mädchen kreischte nun laut auf vor Schmerzen, ihre Herrin hielt ihren Kopf aber so fest, dass alles Zappeln und Kämpfen nichts nutzte. Die Haut löste sich von ihrem Kopf und ich beobachtete es widerstrebend. Ein hartes Lächeln umspielte die schmalen Lippen der Fürstin.

 

Ich wunderte mich darüber, dass sie so offen vor mir agierte, einem völlig Fremden. Doch wer war ich schon, dass ich ihr hätte gefährlich werden können. In diesem Augenblick lies Darja ab von ihrer Magd. Diese fiel wimmernd auf den harten Steinboden vor dem Kamin und schien erleichtert, dass ihre Tortur nun endlich vorüber war, doch sie irrte sich. Ihre Herrin drehte sich blitzschnell um, riss ein großes Scheit vom Brennholzstapel und schlug erbarmungslos zu. Immer wieder. Bei jedem Schlag schrie sie: „Du – bist – schuld! Du – bist – schuld!“

Der letzte Hieb zwischen ihren hervor gespienen Worten traf das Mädchen hart an der Schläfe und es sackte blutüberströmt in sich zusammen.

„Sie war sowieso zu nichts zu gebrauchen“, keuchte die Saltykowa, wischte sich den Speichel aus dem Gesicht und versuchte, ihre Haare zu richten.

„Tee?“, wandte sie sich wieder mir zu.

 

Meine Gewährsleute hatten nicht zu viel versprochen, Darja Nikolajewna Saltykowa war eine grausame sadistische Teufelin, der ihre Leibeigenen hoffnungslos ausgeliefert waren.

„Sehr gern“ erwiderte ich untertänig.

Ihr prachtvolles Kleid raschelte, als sie an mir vorbei schritt, zurück in den Salon und ganz selbstverständlich ein anderes Dienstmädchen hinein kam, um nach den Wünschen ihrer Dienstherrin zu fragen. Den Blick angstvoll gesenkt, flach atmend, jede Sekunde darauf bedacht,  der Saltytschicha nicht zu nahe zu kommen und bloß nichts falsch zu machen. Doch die Frau schien für heute besänftigt zu sein.

„Es ist spät geworden, heute können Sie nicht mehr nach Moskau zurückkehren. Diese Nacht verbringen Sie in einem meiner Gästezimmer. Arina! Richte dem Herrn das Schlafzimmer mit Blick auf den Hof her.”

„Jawohl“ flüsterte das Mädchen und verschwand wieder.

 

Am nächsten Morgen hatte ich mich bereits gewaschen und angekleidet und befand mich auf dem Weg in das Speisezimmer, als ich Gepolter aus den Räumen des Gesindes vernahm. Ich ging ein paar Schritte weiter und sah die Saltytschicha über eine ihrer Dienstmägde gebeugt. Das Mädchen war offensichtlich mit der Wäsche beschäftigt gewesen, als ihre Herrin fatalerweise auf sie aufmerksam wurde. Hoch über ihren Kopf hielt die rasende Furie ein rotglühendes Bügeleisen, dass sie mit gewaltiger Kraft auf das Gesicht der Untergebenen hinab fahren ließ. „Ich zeig dir, wie man bügelt!“ Beißender Verbrennungsgestank verbreitete sich. Angestachelt durch ihre blinde Wut hieb Darja zu, wieder und immer wieder.

Ein wunder, rot und schwarz verbrannter Klumpen Fleisch war alles, was von dem Gesicht des Mädchens übrig blieb.  

 

Ich hatte genug gesehen und mein Appetit auf Frühstück war verflogen. Bevor sie mich bemerkte, kehrte ich der Gutsherrin den Rücken. In meinem Zimmer ergriff ich die Reisetasche mit meinen wenigen Habseligkeiten und machte mich dann schleunigst auf die Rückreise in die Stadt. Geschwind weg von dieser Gewalt, Angst und Willkür.

 

Auf dem Weg fort von Troizkoje überholte ich ein Fuhrwerk mit nur notdürftig verdeckten und übel zugerichteten Mädchenleichen auf der Ladefläche. Der Gestank raubte mir den Atem und ich trieb mein treues Ross zur Eile an. Die Zarin höchstpersönlich, Katharina die Große würde hiervon erfahren und sicherlich drastische Konsequenzen ziehen.