Von Claudia Aristov

Der Tag, an dem John geköpft werden sollte, bezauberte ganz London mit seiner heiteren Atmosphäre. Die Abendsonne tauchte die Stadt in goldenes Licht und vom glitzernden Fluss wehte eine frische Brise heran.

Johns momentane Behausung hingegen gestaltete sich weitaus weniger malerisch. Das mochte daran liegen, dass der Tower von jeher in dem Ruf stand, ein tendenziell unwirtlicher Ort zu sein und deswegen ernsthaft bemüht war, den Erwartungen seiner zahllosen Besucher gerecht zu werden. Wasser floss in kleinen Rinnsalen die grob gemauerten Wände hinab, und durch das hohe, vergitterte Fenster fiel milchig-trübes Licht auf den mit Stroh und Unrat bedeckten Steinboden. Eine Ratte quietschte empört auf, als John einen Knochen in die Ecke des Verlieses kickte.

Sorgfältig schichtete er das stinkende Stroh, auf dem sich Generationen von Gefangenen entleert hatten, in ordentliche Bahnen. Dann überprüfte er sein Werk. Pentagramm und nebenliegendes Dreieck waren akkurat gezogen. Die Linien, ganz wichtig, durchgängig geschlossen. Es würde viel Materia prima brauchen, um diesen niederträchtigen Wicht von Salatiel zu beschwören, mit dem er noch eine Rechnung zu begleichen hatte. Nachdenklich schnippte der Magier eine Laus aus seinem Bart, entzündete das Räucherwerk, trat in den Kreis und konzentrierte sich. „Dich rufe ich an, Salatiel. Gehorche und diene mir. Erscheine nun ohne Tumult und Schabernack.“

Der Dämon schien den frommen Wunsch des Magiers nicht gehört zu haben, jedenfalls was den letzten Teil anbelangte. Kaum angerufen, zuckten sogleich Blitze durch den Raum und peitschten panische Ratten zu läuferischen Höchstleistungen an. Flammen leckten gierig über magische Linien; an den Wänden eingelassene Eisenringe und Ketten entwickelten ein Eigenleben und schaukelten quietschend hin und her, während im Dreieck dichter Qualm emporstieg – nach Schwefel stinkend. Was auch sonst.

John seufzte. Wäre dieser verdammte Mistkerl im Zaubern auch nur halb so begabt wie im Erhaschen billiger Effekte, könnte sich er über einen Beutel Gold freuen, statt dem Schafott entgegenzusehen.

Wie ein Gewitter aus weiter Ferne grollte nun eine Stimme über John hinweg: „Ihr habt mich gerufen, mich den großen Salatiel, Herrscher über 30 Geisterlegionen, Wächter von Natasom, der schrecklichen Stadt des Todes ohne Wiederkehr und Hüter der Geheimnisse der Alchemie. Was begehrt Ihr?“ Die gestaltlose Stimme bemühte sich bei den letzten Worten um eine dezente Echowirkung.

John zog ein Gesicht, als hätte er auf einen vereiterten Backenzahn gebissen. „Schon gut Latie. Lass den Zirkus.“ Innerhalb weniger Sekunden hörte der Spuk so abrupt auf, wie er begonnen hatte.

„Zeig dich gefälligst. Du hast mir diesen Mist hier eingebrockt.“

Für einen Moment schien es so, als würde die dämonische Fratze, die sich zunehmend aus der Konsistenz dichter Dämpfe manifestierte, hämisch grinsen.

Die Freude des Dämons währte allerdings nicht besonders lang. Schadenfroh beobachtete  John, wie immer dichtere Schwaden seiner höchst eigenwilligen Räuchermischung emporbrodelten und Salatiel einhüllten. Der öffnete den Schlund und… würgte, riß die glühenden Augen bis zu den Hörnern auf, schüttelte sich und peitschte mit etwas, das entfernt an einen Krokodilschwanz erinnerte.

„Na, macht’s Spaß?“ Der Zauberer lächelte süffisant.

„Was… argh… das… ist? Alant?“, krächzte Salatiel und wünschte diesem senilen, dafür aber nicht minder aufgeblasenen, Magier alle Dämonen der Hölle an den Hals.

„Du meinst sicher Stinkasant, auch bekannt als Teufelsdreck, eine krautige Pflanze aus der Familie der Doldenblütler“, dozierte der Magier ungerührt, der keine Gelegenheit ausließ, sein enzyklopädisches Wissen zu demonstrieren. „Und nein. Ich muss dich enttäuschen. Das hier sind Kakerlaken und Stroh mit Erbrochenem und Exkrementen. Tut mir leid. Ich musste improvisieren.“ John gestattete sich ein unschuldiges Grinsen.

„Das werdet Ihr mir büßen.“

Der Magier lachte freudlos. „Jetzt pass mal auf, du astraler Handlanger. Ich sitze hier, in diesem stinkenden Verlies, weil du mir die falsche Rezeptur für die Umwandlung von Silber in Gold geliefert hast. Mit dem Ergebnis, dass ich, statt den Schmuck der Königin zu veredeln, ihn dank deiner hervorragenden Kenntnisse pulverisiert habe.“

„Jeder Idiot weiß, dass Diamanten brennen.“

Für einen kurzen Moment erwog John ernsthaft aus seinem Kreis hinauszutreten, um sich diesen widerwärtigen Wicht zu schnappen, besann sich aber eines Besseren. Eins nach dem anderen. Erst einmal musste er hier raus – bedauerlicherweise mit Hilfe dieser stinkenden Kreatur. Dann, und erst dann, wenn er in Sicherheit und seine Reputation als Hofastrologe und Alchemist wiederhergestellt war, würde er sich mit seinem kleinen, schwarzen Magierherzen voll und ganz der Bestrafung Salatiels widmen. Einem aufmerksamen Beobachter wäre das sanfte Glühen in Johns Augen, das von Vorfreude kündete, sicher nicht entgangen.

„Pass auf Latie. Folgender Auftrag. Lies.“ Mit diesen Worten warf er dem Dämon eine Pergamentrolle zu. „Und versau es diesmal nicht, oder ich verbrenne dein Siegel.“

„Euer Vertrauen beschämt mich.“ Salatiel grinste säuerlich und entfaltete das Pergament. Scharfe Klauen kratzten über brüchiges Papier. „Sapperlot. Da will aber jemand hoch hinaus. Und mit Blut geschrieben. Ganz wie es sich gehört. Was seid ihr Magier doch bloß für linientreue Krämerseelen.“

John blickte den Dämon finster an. „Ich entlasse dich und erwarte dich, da Zeit und Raum für deinesgleichen keine Rolle spielen, umgehend zurück.“ Das war jetzt glatt gelogen. Auch Dämonen vermögen nicht die Gesetze von Zeit und Raum beliebig zu interpretieren. Aber es würde die Sache beschleunigen und Salatiel gehörig unter Druck setzen. Und es funktionierte: Die echsenähnliche Gestalt des Dämons verschwand für einen winzigen Augenblick, um sich sofort erneut zu materialisieren.

„Auftrag ausgeführt“, nuschelte Salatiel. „Hab dem Spanier das Liebeselixier eingeträufelt. Ist bestimmt schon auf dem Weg, um ihrer Majestät seine Aufwartung zu machen.“

„Sehr gut“, brummte John und sah sich vor seinem geistigen Auge schon in illusterer royaler Runde.

Salatiel bemerkte den Glanz in Johns Augen. Er mochte nicht gerade mit überragender Intelligenz gesegnet sein, aber in Sachen Verschlagenheit machte ihm keiner so schnell etwas vor. Er wusste, der Weg ins Herz eines Menschen führt über dessen Eitelkeit. Sie war die Antriebskraft der Welt – neben Gier natürlich.

Plauderstimmung vortäuschend verlieh Salatiel seiner Stimme eine klebrig-süße Konsistenz: „Ganz schön schlau, sich auf diese Weise wieder bei Elisabeth einzuschmeicheln. Ihre Majestät liebt Verehrer. Bald wird sie wissen, dass Ihr ihr diesen wahrhaft genialen Dienst erwiesen habt.“ Er schnurrte jetzt fast, während er unauffällig zu dem Siegel in Johns Händen linste. „Ganz England wird Euch zu Füßen liegen. Und was für ein herrlicher blauer Flacon, in welchem Ihr das Elixier bewahrt.“ Der Dämon verstieg sich ins Flöten und unterstrich seine Worte mit einer theatralischen Geste. „Ihr seid wirklich ein Mann mit erlesenem Geschmack. Dürfte ich Euch nun bitten…“

Nur langsam sickerten die Worte in das Bewusstsein des Magiers, klopften dann aber umso vehementer an. „Blauer Flacon?!“ Hasserfüllt starrte er den beharrten Kerl an, der ungerührt mit seiner Klaue undefinierbare Brocken aus den spitzen Zähnen beförderte. „Blau!“ Das Wort sprang den Dämon geradezu an und bohrte sich ihm schmerzhaft ins Hirn.

„Du vermaledeiter Mistkerl. Unglücksrabe…“ Der Magier rang nach Luft und wirkte plötzlich sehr erschöpft. „Sag, dass das ein Scherz ist.“

Der Dämon war jetzt ehrlich überrascht und ernsthaft beunruhigt. Nervös schmierte er den letzten Speiserest, in Größe einer Kleinvogelart, an seinem Fell ab.

Die Stimme des Zauberers klang schrill: „In dem ROTEN Flacon war das Liebeselixier. Du aber hast diesem Spanier das verdammte Gegenmittel eingeflößt, ein Aggressionen weckendes Rauschmittel, du Idiot.

„Au, ha. Nicht gut. Ganz und gar nicht gut.“ Salatiel schien zu schrumpfen und gab sich, vielleicht zum ersten Mal in seinem Dämonenleben, sehr kleinlaut: „Hab’s aber aus Eurem Kabinett geholt, so wie befohlen. Stand Liebeselixier drauf“, nuschelte er und schürzte beleidigt die wulstigen Lippen.

„Und was in drei Teufels Namen stand da noch, du verschlagener Nichtsnutz!“

Der Dämon dachte angestrengt nach. „Irgendwas mit Ant.“

„Antidotum. Lateinisch für Gegenmittel.“ Die Stimme des Magiers kapitulierte und verlegte sich auf hysterisches Kieksen. „Das war’s. Ich bin so gut wie tot.“

Salatiel bemühte sich aufrichtig um einen zerknirschten Gesichtsausdruck. „Na ja, wenn das so ist, könnt Ihr mich ebenso gut entlassen.“

„Ich werde dich…“

Schwere Schritte näherten sich der Tür.

„Die Wache. Dürfen dich nicht sehen. Los. Weg mit dir.“ Das ließ sich Salatiel nicht zweimal sagen und sah zu, dass er wegkam.

Die letzten Silben der Entlassungsformel hingen noch im Raum, als schon der schwere Türriegel zurückgeschoben wurde. Zwei Wachsoldaten traten ein und ließen Elisabeth I. passieren.

„John Dee. Mal wieder bei der Arbeit, wie ich sehe.“ Sie kräuselte spöttisch die Lippen. „Ihr seid wohl nicht eher zufrieden, als bis das ganze Königreich darniederliegt. Nun, Ihr könnt uns nützlich sein und euren Frevel wiedergutmachen. Ihr wisst um den Besuch Philipps II. von Spanien. Listig verstand er all die Jahre, sein wahres Gesicht hinter wohlfeiler Larve zu verbergen, uns zu täuschen. Nun aber, gerade eben, hat sich sein niederträchtiger Charakter offenbart – was ihm zum Pech und Euch zum Glück gereicht. Der Himmel allein weiß, was den Sohn der Eris zu dieser Unvorsichtigkeit bewogen. Aber sei es drum. Ihr seid verschont, denn nunmehr werdet Ihr Euch als mein Hofmagier den schwarzen Künsten widmen und Francis Walsingham behilflich sein, dem elenden Ränkeschmied das Handwerk zu legen. Es gilt: Trag oder schlag! Damit du nicht geschlagen wirst, schlag selbst!“