Von Hannah Corvey
„Ach Hans, ob ich je einen Ehering tragen werde?“ Seufzend lehnte sich Margarethe in ihrem Sitz zurück und lächelte mich an. Schon ein paar Mal hatte sie mich das gefragt, aber ich wusste nicht, ob es ihr wirklich etwas bedeutete.
Es war Samstagmittag. Wir waren unterwegs zu einem Juwelier nördlich von Berlin. Ihre ganz individuellen Trauringe – schmieden Sie das Band Ihrer Liebe selbst.
„Gretel, bitte, du weißt, dass du jeden Mann haben kannst. Sie stehen Schlange“, brummte ich und kratzte vorsichtig an meinem Oberlippenbart. Langsam wurde ich allergisch auf den Klebstoff.
„Ja ja“, zwinkernd legte mir meine Schwester ihre Hand auf die Schulter, „zum Glück.“
Nach weiteren zwanzig Minuten Fahrt, während der Gretel mich mit ihrer sanften Altstimme berieselte, kamen wir in der kleinen Kreisstadt beim Atelier Aurum&Amor an. Der Name des Ladens prangte in geschwungenen, goldfarbenen Lettern über dem oberen Rand des Schaufensters. Gretel betrachtete die Auslage. „Sieh mal, wie wundervoll dieser Granat-Ring ist. Und erst das Armband mit den Diamanten dort drüben.“ Sie war entzückt und hakte sich bei mir unter.
„Hm“, räusperte ich mich und war eher interessiert an den Schweizer Luxusuhren.
Ich drückte die Ladentür auf, eine helle Glocke läutete, gemeinsam mit meiner Schwester trat ich ein.
Das erste, was ich sah, waren zwei strahlend blaue Augen, umrahmt von Lachfältchen. Dann geschwungene Lippen, die von einem gepflegten grauen Dreitagebart umgrenzt wurden.
„Hallo, ihr müsst Margarethe und Hans sein. Herzlich willkommen. Ich bin Peter. Peter Kaiser.“
„Ich weiß“, sagte ich, „guten Tag.“
Gretel warf die prächtigen kastanienbraunen Locken ihrer Echthaarperücke zurück und säuselte: „Hallo Peter, wie schön, wir freuen uns, hier zu sein. Und natürlich freuen wir uns schon sehr auf unsere Ringe, ich kann es kaum erwarten.“ Sie strahlte den Mann an und reichte ihm ihre Hand.
Peter schien sie gar nicht wieder loslassen zu wollen und sah gebannt zwischen Gretels Augen und dem Ausschnitt ihrer weißen Folklorebluse hin und her.
„Möchtet ihr ein Gläschen Sekt zum Warmwerden?“, fragte er dann, seine Stimme war voll und rund wie ein polierter Apfel. Die oberen Knöpfe seines hellblauen Hemds standen offen, um seinen Hals hing eine schwere Silberkette. Der Anhänger baumelte über seiner Brust, ein großer, gebogener Zahn aus dunklem Blutstein.
„Oh Sekt, ja gerne, wie aufmerksam.“ Mit ihrer puren Anwesenheit füllte Gretel den Raum aus, ihre Wangen waren gerötet, die tief grünen Kontaktlinsenaugen leuchteten. Einen Moment später nahm sie das Glas an, das Peter ihr reichte. Ein Hauch ihres Parfums wehte zu mir herüber, Rose und Moschus.
„Bitte schön … äh … Hans.“ Peter hielt mir das zweite Sektglas hin, seinen Blick hatte er immer noch nicht von Gretel abgewandt. Ich kannte das schon.
Wir stießen an. „Auf ein unvergessliches, verbindendes Erlebnis und ein gutes Gelingen“, sagte Peter, und ich wusste nicht, ob er mich an einen Dorfpfarrer oder einen Gigolo erinnerte. Ein charmantes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ihr wisst ja, jeder schmiedet für den anderen.“
„Ach, ich hoffe, ich kann das“, flötete Gretel, „ich bin ja nicht so kräftig. Wenn ich mir vorstelle, ich soll ein Stück hartes Metall schmieden …“
Nicht so kräftig?, dachte ich und sah vor meinem geistigen Auge das dicke Hinterteil einer älteren Frau in einem Holzofen verschwinden.
„Nur keine Sorge“, schmunzelte Peter, „es braucht eher ein wenig Geschick als Kraft. Und geschickt bist du ganz bestimmt.“ Er zwinkerte Gretel mit seinen Saphir-Augen zu.
Ich trank noch einen Schluck, der Sekt perlte auf meiner Zunge, mir wurde warm. Angestrengt fixierte ich eine Vitrine gegenüber, in der zahlreiche massive Schmuckstücke ausgestellt waren.
„Gut, dann lasst uns mal in die Werkstatt gehen“, meinte Peter, „hier entlang.“ Er wies auf einen Durchgang rechts der Ladentheke, ging zwei Schritte vor und berührte Gretel an der Taille, so, als wolle er sie galant hinüber geleiten.
„Nehmt Platz“, Peter zeigte auf einen breiten Holztisch, an dem drei Hocker standen, und wir setzten uns.
Vor Gretel und mir lagen ein Hammer, eine Zange, zwei Feilen, ein Maßband und eine Metallsäge.
„So ihr Lieben, hier kommt der Rohling. Die Jungfrau, wie wir gerne sagen“, Peter grinste anzüglich und reichte jedem von uns einen silberfarbenen Metallstreifen. „Daraus werden die guten Stücke entstehen. Zunächst einmal schneiden wir den Rohling zu.“
Als ginge es um einen lebensentscheidenden Akt erklärte er uns, was wir tun sollten, und wir begannen, mit der Metallsäge den Streifen zu teilen. Peter stellte sich hinter Gretel und beugte sich über sie.
„Ja, sehr gut machst du das, immer schön die Säge rauf und runter führen.“ Jetzt legte er seine Hand auf ihren Unterarm und machte die Bewegungen mit. „Super so.“
„Ach, Peter“, seufzte Gretel, „ich bin ganz aufgeregt, das ist so eine große Sache. Aber … ähm …“ Verlegen schlug sie die Augen nieder. „Ich glaube, der Sekt und die Aufregung … Gibt es hier irgendwo eine Toilette?“
„Ja, sicher, unten im Keller. Aus der Werkstatt heraus, links die Treppen hinunter und unten die letzte Tür rechts.“
„Oh“, entfuhr es Gretel und sie sah Peter an, als habe er ihr ein kernphysikalisches Experiment erklärt. „Hm. Ich weiß nicht … Könntest du mir das kurz zeigen, am Ende verlaufe ich mich noch.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die vollen Lippen, die Wangen glühten, ihr Blick klebte an Peters Augen. Ich sah angestrengt auf die Jungfrau vor mir. Klar geht der mit, dachte ich. Alle gingen mit. Immer. Egal wohin.
„Äh, aber sicher“, Peter räusperte sich, „natürlich.“
Gretel stand auf und verließ zusammen mit dem Juwelier die Werkstatt.
„Wer die mal zur Frau kriegt, hat’s auch nicht leicht“, murmelte ich und wartete ab.
Keine zwei Minuten später kam Gretel die Treppe hinaufgestürmt. Ich sah das breite Grinsen auf ihrem erhitzten Gesicht.
Die Spezialität meiner Schwester war das Schubsen. Blitzschnell, mit Kraft, das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie hatte Juweliere in Wandschränke geschubst, steile Treppen hinunter, aus Hinterhoffenstern und einmal sogar einen in seinen eigenen Tresor. Peter hatte sie wohl in irgendeinen abschließbaren Kellerraum befördert.
„Los jetzt, an die Arbeit.“ Hastig griff Gretel nach ihrer geräumigen Handtasche, warf die Rohlinge und die Werkzeuge, die wir angefasst hatten, hinein und eilte in das Ladenlokal, wo sie erst unsere beiden Sektgläser in die Tasche beförderte und dann begann, die Auslage zu plündern. Rolex, Breitling, Goldketten, Armbänder. In Windeseile tat ich es ihr gleich, eine Minute später war Aurum&Amor leergeräumt. Der Granatring, der Gretel so gut gefallen hatte, befand sich in meiner Hosentasche. Immerhin waren wir wegen der Ringe hergekommen.
„Raus jetzt“, sagte Gretel, und wie zwei gewöhnliche Kunden spazierten wir aus dem Schmuckgeschäft. Dann eilten wir hinüber zu unserem Wagen, stiegen ein und brausten los.
„Wann müssen wir beim Juwelier Brender sein?“, fragte ich.
„Ich glaube, der Kurs beginnt um fünfzehn Uhr.“