Von Kate Rogers

Ich sah fassungslos auf das kleine verhutzelte Männlein, das mich mit zusammengekniffenen Augen böse anstarrte. Seine Stirn lag in so tiefen Runzeln, dass die Augenbrauen wie zu einer durchgezogenen Linie zusammengewachsen waren. Sie lagen wie Blutegel auf seiner Stirn. Die Nase ragte überdimensional, gerötet und eindeutig vom Alkohol gezeichnet aus dem Gesicht heraus. Wie die Karottennase eines Schneemanns. Der Mund ein blutleerer Strich in dem sowieso schon blassen Gesicht. Kaum erkennbar. Mich schüttelte es. Das war also mein Richter, der Großinquisitor Pedro Balascuti. Die Hoffnung auf einen gerechten und ehrlichen Prozess schmolz dahin wie Eis in der Sonne.

Wie war ich bloß in diese Situation hineingeraten? Wer hasste mich so erbarmungslos, dass er mich bei der Inquisition denunziert hatte? Meine Gedanken wanderten zurück, suchten in den vergangenen Tagen nach dem Geschehen, dass zu diesem unglückseligen Hexenprozess geführt hatte. Da waren ein paar kleinere Verletzungen gewesen, die ich erfolgreich behandelt hatte. Ein altes Mütterchen hatte ich von einer bösen Erkältung kuriert und ach ja, die Geburt der kleinen Müllerin. Ein energisches Husten meines Gegenübers riss mich aus meinen Gedanken. Pedro Balascuti – wie konnte ich ihn nur derart ignorieren. Hastig sah ich zu ihm rüber bzw. hinunter – wieso war der auch so winzig? Kaum größer als ein zehnjähriges Kind stand er zornesbebend vor mir. Seine Augen mittlerweile blutunterlaufen. Die Nase stach zitternd aus seinem Gesicht.

„Du weißt, was dir vorgeworfen wird?“, fragte er mich mit ernster Stimme.
Ich zögerte, unsicher, was er hören wollte. „I..i.. ich bin nicht sicher“, stammelte ich schließlich.
„Ist es nicht wahr, dass du am letzten Sonntag, dem Tag des Herrn, der Frau des Müllers bei der Geburt ihrer Tochter geholfen hast?“, fragte er weiter.

Daher wehte also der Wind. Der Müller hätte lieber einen Sohn als Erstgeborenen gehabt. Er hatte schon am Sonntag versucht, sich um meine Bezahlung zu drücken. Jetzt versuchte er scheinbar auf diesem Weg, sein Geld zurück zu bekommen. Und nahm damit billigend in Kauf, dass ich auf dem Scheiterhaufen endete. Verbrannt bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein. Gab es etwas Grauenhafteres als das?

Mir fiel ein, dass der Inquisitor immer noch auf eine Antwort von mir wartete. Ich setzte an: „Die Müllerin ließ mich zu sich rufen und ich habe…“
„Das wissen wir bereits!“, fiel mir Pedro Balascuti ins Wort, „Was uns interessiert ist vielmehr, was du dem kleinen Mädchen und seiner Mutter angetan hast? Mit welchem deiner grauenhaften Zaubersprüche hast du die beiden belegt?“
„Zaubersprüche?!?“, echote ich. Das lief nicht gut. Was war passiert?
„Als ich die Müllerin verließ, waren Mutter und Kind wohlauf“, wandte ich ein.
„Das kann wohl kaum so gewesen sein. Kaum drei Stunden nachdem du das Haus verlassen hast, bekam die Mutter hohes Fieber, an dem sie nach zwei qualvollen Tagen und Nächten verstarb. Einen Tag später ist das kleine Mädchen unter Qualen ebenfalls gestorben, nachdem es die ganze Nacht grauenvolle Schreie ausgestoßen hat!“, warf mir der Inquisitor vor.

Jetzt verstand ich, was geschehen war. Die Mutter hatte das gefürchtete Wochenbettfieber dahingerafft und das kleine Mädchen war wahrscheinlich einfach am Hunger gestorben. Ohne Mutter oder eine Amme, die den armen Handwerkern selten zur Verfügung stand, hatten die kleinen Würmchen meistens sehr schlechte Überlebenschancen. Und das Wochenbettfieber konnte jeden dahinraffen, egal ob arm oder reich. Da war man als Hebamme machtlos.

„Gestehst du deine Taten?“, wie durch Watte drangen die Worte des Inquisitors an mein Ohr.
„Welche Taten denn? Geburtshilfe habe ich geleistet, ja. Von morgens früh um vier, als der Müller mich holen ließ, bis zum frühen Abend. Es muss gegen sechs Uhr gewesen sein, die Glocken der Kirche haben geläutet. Dann habe ich die Müllerin von einem gesunden kleinen Mädchen entbunden. Als ich ging, waren beide wohlauf“, wiederholte ich gebetsmühlenartig meine Aussage, „Sonst wäre ich doch nicht einfach gegangen. Auf dem Heimweg habe ich beim Pfarrer noch darum gebeten, das kleine Mädchen zu taufen. Seitdem habe ich Mutter und Kind nicht mehr gesehen. Ich wollte ihnen gerade einen Besuch abstatten, als deine Schergen mich brutal aus meiner Hütte zerrten und hierher brachten!“

Ich war wütend! Auf mich, weil ich nicht nochmal nach der Müllerin gesehen hatte. Auf den Müller, der mich angeschwärzt hatte. Auf diesen aufgeblasenen Fatzke von einem Inquisitor, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte und mich der Zauberei beschuldigte. Mich – wo ich doch nur Geburtshilfe geleistet hatte!

„Der Pfarrer sagt, es wäre niemand bei ihm gewesen, um ihm von der Geburt der kleinen Müllerin zu berichten. Damit ist es deine Schuld, dass ihre unschuldige Seele jetzt nicht in den Himmel kommt, weil sie ungetauft war, als sie gestorben ist“.

Das schlug dem Fass den Boden aus, jetzt war es meine Schuld, dass der Pfarrer nicht getauft hatte. Ich hatte doch mit seiner Haushälterin …– auf einmal war mir alles klar. Die Haushälterin hatte es nicht ausgerichtet. Die Anne war immer noch sauer auf mich, weil ich den Heiratsantrag ihres Bruders abgelehnt hatte und wollte mir so eins auswischen. Das war ihr auch gut gelungen.

„Ich habe doch mit der Anne, der Haushälterin des Pfarrers gesprochen. Sie wollte ihm Bescheid sagen!“ versuchte ich das Blatt noch zu wenden.
„Die Haushälterin sagt, es sei niemand da gewesen. Der Herr Pfarrer bestätigt ihre Aussage. Der Müller gibt an, dass seine Frau wie vom Satan besessen war, bevor sie verstarb und mehrfach verzweifelt deinen Namen gerufen hat!“
Das konnte ich mir gut vorstellen, dass ihr der Satan erschienen war. Wochenbettfieber war wirklich eine teuflische Krankheit und endete meistens mit dem Tod der betroffenen Frauen.
„Gestehst du deine Taten?“, wollte Pedro Balascuti von mir wissen.
„Ich habe bereits alles gesagt und habe dem nichts hinzuzufügen“, murmelte ich leise. Aus und vorbei. Sie würden mich anklagen, für schuldig befinden, verurteilen und verbrennen.

Pedro Balascuti trat einen Schritt nach vorne auf mich zu und sah mich aus seinen kleinen zusammengekniffenen Augen an. Sah ich da Mitgefühl und Sorge in seinem Blick? Dieser verknöcherte, alte Großinquisitor hatte doch nicht etwa so etwas wie ein Herz?

„Meine Tochter, bereust du deine Taten?“, fragte er mich.
„Ich bereue gar nichts! Ich habe doch nichts getan!“, rief ich verzweifelt aus.

Er sah mich so beschwörend an, dass ich beinahe versucht war, alles zu gestehen und alles zu bereuen. Verwirrt schüttelte ich den Kopf, um diesem Blick auszuweichen. Das Mitgefühl und die Sorge verschwanden aus seinem Blick. Enttäuscht wandte er sich von mir ab.
„Holt mir den Dorfältesten und den Henker, dann fesselt die Hexe und werft sie in den Kerker!“, befahl er seinen Schergen.

Der Henker, ich hatte es ja gewusst. Zum Glück hatten wir gar keinen eigenen Henker. Den mussten sie aus der nächsten Stadt holen. Das verschaffte mir einen kleinen Aufschub. Während ich zum Kerker gezogen wurde, sah ich mich nochmal in dem kleinen Dorf um. Es war kein schlechter Ort zum Leben gewesen. Die Bewohner sehr freundlich und gutherzig.

Jetzt allerdings waren die Dorfbewohner nicht wieder zu erkennen. Sie standen johlend und grölend am Straßenrand. Die Hetzjagd hatte schon begonnen. Der Gang zum Kerker wurde zum Spießrutenlauf. Sie bewarfen mich mit faulem Obst und Eiern. Gelegentlich war sogar ein Stein darunter. Das waren also meine Freunde und Nachbarn. So viel war ich ihnen wert.

Die würden sich alle noch wundern.

Ich musste nur diese Fesseln loswerden. Als die Schergen sie mir angelegt hatten, hatte ich dafür gesorgt, dass sie nicht zu fest saßen. Nun lockerte ich sie weiter. Stück für Stück. Nur noch ein paar Millimeter. Endlich lösten sie sich ganz. Für die Beschwörung meines Meisters, der mich auf diese Reise geschickt hatte, brauchte ich beide Hände…

Version 2