Von Raina Bodyk

Die Bevölkerung wird gebeten, dem Gericht im Namen des allmächtigen Gottes und aller Heiligen diejenigen Sünder unter ihnen kundzutun, die:

mit dem Teufel einen Pakt geschlossen haben

Hexerei betreiben

Schaden und Böses über andere gebracht haben

Zuwiderhandlungen werden mit der Exkommunikation bestraft.

 

Trine Schulte legt ihr samtenes Schultertuch um und macht sich eilig auf den Weg in die Bäckerei, die ihr verstorbener Vater ihr vererbt hat. Ihr Mann ist schon vorausgegangen.

Plötzlich stürmen zwei Gerichtsbüttel in ihre Küche, packen sie und zerren sie mit sich.

„Loslassen! Was wollt ihr von mir? Loslassen, sag ich!“, schreit Trine Schulte die Eindringlinge an.

„Sei still, du Hexe. Der Richter wird dir schon zeigen, was denen geschieht, die einen Vertrag mit dem Leibhaftigen besiegelt haben.“

 

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Im Gefängnisturm wird die junge Frau an einem Seil mehrere Meter tief durch eine Falltür hinabgelassen. Auf dem fauligen Stroh sitzen mehrere Frauen, abgemagert zum Skelett, schwer verletzt, schmutzig, stinkend, mit dicken Geschwüren auf ihrer Haut. Ungeziefer brütet auf den blutigen Stellen. Überall Kot. Ratten. Mäuse.

„Warum werde ich in den Malefizturm geworfen? Ich bin keine Hexe!“

Eine Alte in zerlumpten Kleidern und mit Zahnlücken in den Kiefern kichert spöttisch: „Kindchen, wir sind Hexen! Buuuuh! Wir werden brennen, brennen. Tanzen wird‘ ich in den Flammen. Links herum, rechts herum, dumdidei!“

„Hör nicht auf die Bettlerin,“ wispert eine andere mühsam. „Sie haben sie im dritten Grad gefoltert. Sie ist übergeschnappt.“

Trine beginnt hysterisch zu schreien, trommelt an die meterdicke Wand, bis ihre Fäuste bluten. „Was werden sie mit mir machen?“

„Du wirst in einem Prozess angeklagt werden. Wenn du gestehst, ist alles schnell vorbei. Wenn nicht, werden sie dich so lange quälen, bis du es doch tust.“

„Aber ich habe nichts verbrochen!“

„Sie werden ganz sicher was finden!“

 

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Für den ersten Prozesstag kleidet sich Richter Kolding in seinen arg abgewetzten, bejahrten Talar: „Elfriede, hast du meine Kautelen rausgesucht?“

„Ja, hier sind sie: das geweihte Salz, die gesegneten Kräuter und das Kerzenwachs vom Palmsonntag, alles schon eingewickelt. Du kannst dir das Säckchen gleich um den Hals hängen. Ich habe übrigens auf dem Markt gehört, dass die Schultin regelmäßig zum Hexensabbat geflogen sein soll.“

Kolding knurrt grimmig: „Wir werden sie überführen, das schwöre ich dir! Wo Gerüchte sind, ist auch Wahrheit. Zudem können acht Besager ihre Schandtaten bezeugen.“

Die Ehefrau ist neugierig: “Aber was ist, wenn sie einen Pakt mit dem Satan geschlossen hat und der sie in einen Schleier der Verschwiegenheit einhüllt? Woran wollt ihr dann erkennen, ob sie lügt?“

„Ach, Frau! Das ist Männersache, kümmere du dich um deine Küche. Ein kluger Richter versteht es, auf bestimmte Weise zu fragen und seinen durch Erfahrung geschärften Verstand so zu benutzen, dass er die Wahrheit erkennt.“

 

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Trine, schwach und ausgezehrt, wird endlich aus dem finsteren Kerker gezogen. Nach drei endlos scheinenden Wochen wird sie nun vor Gericht gestellt. Die Büttel führen sie in den mit Weihwasser besprengten Gerichtssaal. Neben dem Richter und den Beisitzern ist jeder Stuhl und jeder freie Fleck besetzt mit vor Aufregung zitternden Zuschauern.

 

Die Besager bringen ihre Zeugnisse vor:

„Ich habe gesehen, wie sie im Gottesdienst die Hostie ausgespuckt hat.“

„Sie hat meinem Jungen einen verhexten Apfel geschenkt. Seitdem er ihn gegessen hat, hinkt er und kann mir nicht mehr auf dem Feld helfen.“

„Sie hat meine Kuh verzaubert. Jetzt gibt sie keine Milch mehr.“

„Sie hat ein Unwetter herabbeschworen. Dadurch sind die Kartoffeln auf unserem Acker verfault.

„Sie hat meine Frau mit Hexensalbe eingerieben, seitdem ist sie vom Teufel besessen. Sie wälzt sich in fürchterlichen Krämpfen und hat Schaum vor dem Mund.“

„Ich habe sie mit dem Satan tanzen sehen. Er sah grauslich aus! Schwarz gekleidet, mit einem Pferdefuß, einem Schwanz und Hörnern auf dem Kopf.“

„Ich habe sie nachts auf dem Friedhof graben sehen.“

„Meinen Bruder hat sie nach der Hochzeit untüchtig zum Ehestand gemacht. Seine Else ist darüber furchtbar streitsüchtig geworden.“

 

Nach eingehender Befragung zu den Vorwürfen lässt der Richter die Zeugen auf die vier Evangelien schwören.

 

Dann wird der Ehemann verhört: „Herr Schulte, habt Ihr jemals dämonische Beschwörungen von Eurer Frau gehört oder mitangesehen, wie sie Zaubertränke gemischt hat? Habt Ihr sie – fliegen sehen?“

„Nein, Euer Ehren. Meine Frau ist unschuldig. Sie geht sogar an den Werktagen in die Kirche.“

Richter und Schöffen nicken sich verstohlen zu: „Welch listige Tarnung! Ja, das Böse übertreibt gern!“

„Ist sie manchmal heimlich abwesend?“

„Mmh, ja! Nachts bin ich manchmal aufgewacht und sie lag nicht neben mir. Sie schläft schlecht.“

 

Richter Kolding wendet sich nun der Angeklagten zu. Ihm ist das Entsetzen über das Gehörte im Gesicht abzulesen. „Frau Schulte, Ihr habt die Anklagen gehört. Gesteht!“

Die Angeklagte wimmert: „Alles Lüge! Ich gehe regelmäßig in die Heilige Messe. Ich bin eine gute Christin!“

Der Vorsitzende bemerkt es sofort und macht die Beisitzer darauf aufmerksam: „Seht, sie kann keine Tränen vergießen. Ein sicheres Erkennungszeichen! Sie gibt zwar jämmerliche, weinerliche Laute von sich, um uns zu täuschen. Aber seht ihre Hände, wie sie heimlich Wangen und Augen mit Speichel bestreichen.“

Die Schöffen nicken zustimmend: „Die wird nicht gestehen. Der Teufel hat zu viel Macht über sie. Ich fürchte, die gütliche Befragung wird nicht ausreichen.“

 

Der Richter hat genug gehört: „Da die Angeklagte nicht gestehen will, ordnet das Gericht nun das peinliche Verhör nach der Halsgerichtsordnung an.“

 

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Einige Tage später erscheinen die Büttel und ziehen Trine die Lumpen vom ausgemergelten Körper und rasieren ihr am ganzen Leib die Haare ab. Gebrochen hat sie nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Ihre Peiniger untersuchen sie auf Teufelsmale und im Haar verstecktes Hexenwerkzeug, durch das sie schmerzunempfindlich sein könnte. Ihnen fällt ein Muttermal an der Schulter auf. Sie machen die Nadelprobe: „Sieh an, sie zuckt nicht einmal beim Reinstechen! Kein Blut. Ein eindeutiges Indizium!“

Die Folterknechte legen der Malefikantin ein geweihtes Kleid, geschmückt mit christlichen Symbolen, an. „Jetzt soll der Teufel mal versuchen, ihr die Pein zu ersparen!“

Sie führen sie in eine Kammer, wo schon Richter, Schöffen und Zeugen versammelt sind. Mit weit aufgerissenen Augen, schreckerstarrt, stiert Trine auf die Folterinstrumente: Halsringe, Schädelschrauben, Streckbänke, ein Hexenstuhl, spanische Stiefel und mehr. Ihre Knie geben nach. In blankem Horror beginnt sie, um sich zu schlagen und zu schreien.

Aber die Büttel fackeln nicht lange. Sie stopfen ihr einen schmutzigen Lumpen so tief in den Hals, dass sie zu würgen beginnt. Dann werden ihr die Daumenschrauben aufgesteckt und kräftig angezogen. Trine windet sich unter dem brüllenden Schmerz, spürt die Knochen brechen.

Auf einen Wink Koldings werden die Schrauben gelockert und der Knebel entfernt. „Willst du jetzt ein Geständnis ablegen?“

Am Ende ihrer Kräfte kann die Geknechtete nur leise flüstern: „Ich gebe alles zu, aber hört auf, mich zu quälen.“

Die Vertreter der Gerichtsbarkeit sehen sich triumphierend an. „Das ging schnell!  Dann werden wir nun deine Aussage zu Protokoll nehmen.“

 

Im Amtszimmer liest der Richter ihr noch einmal alle Anklagepunkte vor. Dann reicht er ihr seine Feder zum Unterschreiben.

Trine stockt, sie ist wieder ganz bei Sinnen: „Nein, nein und nein! Das ist doch alles gelogen! Ich habe nichts Böses getan. Warum tut ihr das? Ich war zeitlebens eine gottesfürchtige, brave Frau.“

Kolding ist am Ende seiner Geduld. Hochmütig zieht er seine buschigen Augenbrauen hoch: „Du willst unschuldig sein? Haben wir nicht Zeugen über Zeugen beigebracht, die belegen, dass du eine Hexe bist? Wenn du nicht gestehen willst, wird das peinliche Verhör fortgeführt.“

 

Am nächsten Morgen wird Trine an den gefesselten Händen aufgehängt und mit Gewichten beschwert. Solange, bis ihre Arme ausgerenkt sind. Als sie wahnsinnig vor Schmerzen das Bewusstsein verliert, wird sie mit einem Schwall kalten Wassers wiederbelebt.

„Gestehst du oder sollen wir weitermachen?“

„Nein! Ich gebe alles zu! Ich habe gesündigt und habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, habe Tiere verzaubert. Ich habe Hurerei und Ehebruch begangen, Kinder geschlachtet und Salbe daraus gemacht.“

Ihre Stimme eifert immer schneller: „Ja! Ja! Ich bin böse. Ich habe den Tod verdient.“ Wie eine Verrückte gesteht und gesteht sie.

Kolding reibt sich die Hände, überzeugt, dass die Schultin diesmal ihr Geständnis nicht zurücknehmen wird. Das Protokoll wird unterschrieben werden. Die Wahrheit hat sich wieder einmal erwiesen.

 

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Die Sonne strahlt warm auf die vielen Leute auf dem Marktplatz und den aufgehäuften Scheiterhaufen. Raunen und Klatschen ertönt, als sich der Karren mit der Verurteilten polternd nähert. Hälse recken sich, um einen Blick auf die Hexe zu werfen. Verwünschungen werden laut. Trine Schulte liegt in einem Büßerhemd wimmernd und schwer verletzt auf einem dreckigen Haufen Stroh.

Der Amtsschreiber verliest noch einmal öffentlich das Protokoll und fügt hinzu: „Der Feuertod wird sie vom Teufel befreien. Da sie alles reuig gestanden hat, wird ihr die Gnade gewährt, nicht bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden.“

Der Scharfrichter hebt zur prickelnden Freude der Zuschauer sein Schwert. Mit einem Hieb fliegt der Kopf der schon halbtoten Frau auf das raue Kopfsteinpflaster. Der Scheiterhaufen wird entzündet und der Leichnam unter dem Jubel der Zuschauer hineingeworfen.

 

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Der trauernde Herr Schulte steht am nächsten Tag im Amtszimmer Koldings und zückt einen Beutel: „So, Herr Richter, hier mit Dank die vereinbarten 5000 Gulden für Euch und die 500 für die Prozesskosten.“

 

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Sechs Monate später. Richter Kolping sieht seinen Amtsschreiber versonnen an: „Schultes Bäckerei scheint gut zu laufen. Gerüchte besagen, dass der Teufel selbst die Brote backt …“