Von Louise Hofmann

Die Welt schien in Flammen zu stehen, doch sie verging seltsamerweise nicht. Heinrich Matzke stand am Fenster in der Ratsherrenstube jener Stadt, die er bis vor wenigen Stunden sein Eigen genannt hatte. Wenn auch nur heimlich, denn er war niemals Teil des Stadtrats gewesen und die feinen Herren hatten stets die Nasen über ihn gerümpft.

Er wünschte, die Stadt wäre schon längst in Brand und Sturm vergangen. Dichter Rauch stieg von den Hügeln jenseits der Stadt auf. Es war schon seltsam, wie viel Dreck ein einziger Scheiterhaufen machen konnte. Ein deutliches Zeichen, dass es Zeit war zu verschwinden. Obwohl im Moment nur Frauen der Hexerei bezichtigt wurden, war niemand sicher. Schon gar nicht jemand, der über zu viel Einfluss verfügte. Auch wenn es sich dabei um verschiedene Arten von Hexenjagden handelte. Die Menschen waren derzeit nicht nur ungewöhnlich abergläubisch sondern auch misstrauisch. Dies schuf eine Atmosphäre, die Heinrich als aufregend bezeichnet hätte. Sie war wie eine Droge; eine äußerst gefährliche Droge, der er auf keinen Fall verfallen durfte.

Es war Zeit zu verschwinden. Wenn er die Stadt dem Erdboden gleichmachte, würde das nur ungewollte Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Zu schade. Er hasste diesen Ort und war schon zu lange hier.

Heinrich wandte sich von der bedrohlichen Szenerie ab und sah sich den tuschelnden Mitgliedern des Stadtrats gegenüber. Seit ein paar Tagen schmolz ihr Vertrauen in Heinrich und seine Fähigkeiten regelrecht dahin. Er wusste auch, dass das an Martin Sprenger lag, seines Zeichens Hexenjäger im Dienste der Kirche. Leider war er nicht so unfähig wie die anderen Männer seiner Zunft. Er musste irgendwo ein paar Tropfen magisches Blut herhaben. Allerdings war es offenbar nicht genug, um ihn in einen wenigstens leidlich fähigen Hexer zu verwandeln. Heinrich bezweifelte, dass Martin Sprenger auch nur einen simplen Zauber zustande bringen könnte. Dennoch konnte er magisch begabte Wesen mit der Zuverlässigkeit eines Bluthunds aufspüren. Sehr zu Heinrichs Leidwesen. Die Konkurrenz um Aufträge war nicht das Problem. – Der Bedarf an Hexenjägern war derzeit immens und die Leute waren abergläubisch genug, jedem zu glauben, der mit dem Finger auf eine Frau zeigend „Hexe!“ schrie. – Vielmehr bestand die Gefahr, dass Sprenger Heinrich ans Messer lieferte.

In der Gesellschaft der Hexen gab es keinen Platz für Männer – außer zur Fortpflanzung und Hexer waren rar und einander nicht gerade freundlich gesinnt. Also hatte sich Heinrich, als er gerade mal vierzehn Lenze zählte, auf die andere Seite geschlagen und seit her führte er einen Kriegszug gegen jene, die ihn verstoßen hatten und alle anderen, die ihn seitdem nicht hatten haben wollen.

Mittlerweile konnte er sich nicht einmal mehr vorstellen etwas anderes zu tun und verteufelte die Druden beinah mehr als mancher Priester auf seiner über alles erhabenen Kanzel. Es war schon seltsam, wie sehr das Leben und die Entscheidungen, die man getroffen hatte, einen verändern konnten. Als er kaum einen halben Meter groß gewesen war, war er über die Wiesen getollt und hatte wenn möglich keinen Gedanken an Hexerei verschwendet. Später hatte er sie erlernen wollen, doch keine der Frauen in seinem Dorf hatte ihn unterweisen wollen. Die ständige Zurückweisung hatte ihn zu dem gemacht, was er war. Ein einsamer Wolf – und die Hexen waren seine Beute ebenso wie die Reichen und Schönen. Was er tat, war ein einsamer Rachefeldzug gegen alle, die ihn je abgewiesen hatten.

Als er sein Dorf verlassen hatte, war er nach langer Wanderschaft in dieser Stadt angelangt. Doch der Rat der Stadt hatte ihm die nötigen Papiere verweigert und der setzte sich aus den örtlichen Patrizierfamilien zusammen. Mit wenigen Ausnahmen waren sie eigentlich immer im Stadtrat vertreten. Es hatte eine Weile gebraucht, bis Heinrich gefunden hatte, was er suchte: Einen Weg sich an beiden Gruppen zu rächen. Mit den Hexen hatte er begonnen. Er hatte sich bei einer Behörde in einer anderen Stadt einen Namen gemacht, in dem er gezielt und öffentlich die ortsansässigen Hexen angezeigt hatte; häppchenweise, niemals mehr als eine im Trimester. Die Menschen waren ohnehin abergläubisch, sonst hätte es niemals funktioniert. Dennoch hatte sein Plan schneller Früchte getragen, als er es sich in seinen kühnsten Träumen erhofft hatte.

Man hatte ihn einigen hohen Kirchenleuten empfohlen, die diesen „von den Göttern Gesegneten“ mit den entsprechenden Befugnissen ausstatteten – und ihn obendrein noch großzügig entlohnten!

Damit hatte er alles, was er für seine Rache brauchte und das Beste war, er war unantastbar. Außerdem rissen sich die hysterischen Stadtoberen darum, das beste Personal für die „Säuberung“ ihrer Stadt zu bekommen und Heinrich hatte dafür gesorgt, dass sie ihn für den Besten hielten. Er hatte Konkurrenten ausgestochen oder bei Bedarf in Misskredit gebracht und war sich nie zu schade gewesen sich die Finger schmutzig zu machen.

Er beobachtete die tuschelnden Ratsherren in ihren langen Roben. Sie misstrauten ihm, fürchteten ihn; besonders seit er vor drei Tagen die Tochter eines anderen Patriziers der Hexerei überführt hatte. Es hatte nicht viel gebraucht, um ihr ein Geständnis zu entlocken. Jetzt brannte sie vor der Stadt.

Der Geruch, der vom Scheiterhaufen in Richtung Stadt trieb, erschien ihm süßer als die Krapfen, die es zu hohen Feiertagen gab. Natürlich war das Mädchen keine Hexe gewesen. Die Frau, die er auf Drängen des Rates der Hexerei hatte überführen sollen, hatte Heinrich aus einer Laune heraus laufen lassen. Er wusste selbst nicht, weshalb. Das hatten die Mitglieder des Stadtrates ihm übelgenommen und nun sollte er sich vor ihnen erklären. Ein simples „Sie ist keine Hexe“ genügte jedoch nicht. Sie stammte nicht von hier sondern war vor vielen Jahren aus einem fernen Land hergezogen. Allein das machte sie unter normalen Umständen als Hexe verdächtig. Doch Heinrich legte andere Maßstäbe an. Sie war nicht von hier und dieses Land hatte es bisher nicht geschafft, sie vollständig zu verderben. Vielleicht war das der Grund, warum Heinrich sie zwar auf Drängen des Rates geprüft hatte, jedoch alles getan hatte, um zu beweisen, dass sie keine Hexe war.

Jetzt war sie unauffindbar und das Ratsmitglied, das bei der Befragung anwesend gewesen war, litt unter Rückenschmerzen, die der Schadenfreude der Hexe zugeschrieben wurde, welche Heinrich hatte entkommen lassen.

Nun suchten die Ratsmitglieder nach einer Möglichkeit, ihrer Wut und ihrer Angst Luft zu machen und Heinrich für seinen Fehler zu bestrafen.

Doch dazu würde es nicht kommen. Heinrich war fertig mit dieser verkommenen Stadt, in der sich ein Großteil des Dramas, das sein Leben war, abgespielt hatte. Er lauschte hingebungsvoll auf das Knistern der Flammen, das allmählich lauter wurde. Dann läuteten die Glocken Sturm. Die Stadt brannte.

Mit einem seligen Lächeln beobachtete Heinrich, wie die Stadträte einander nervöse Blicke zuwarfen, bevor sie ihn in Panik vom Fenster fort drängten und nach draußen spähten. Heinrich sog ihre Angst in sich auf, als sie bemerkten, dass ihre eigenen Häuser brannten. Niemand strömte nach draußen auf die Straßen. Die Türen waren verschlossen und verriegelt.

Die hohen Herren stürzten zur Tür des Ratssaals. Vergeblich zerrten sie daran.

„Bemüht euch nicht!“, rief Heinrich, nachdem er sich das Spektakel eine Weile angesehen hatte. Diebische Freude funkelte in seinen Augen. „Ihr seid verloren und eure Stadt ist es ebenso!“

„Was habt Ihr getan?“, fragte der jüngste in der Runde.

„Es riecht nach dem Ende. Hört ihr schon die fahle Mähre?“ Heinrichs Lächeln wurde noch ein wenig breiter.

„Ihr seid des Teufels!“

Einige der Ratsherren machten das Zeichen gegen den Bösen Blick. Bei diesem Anblick konnte Heinrich nicht mehr an sich halten und brach in schallendes Gelächter aus. „Eine wahre Augenweide, so eine brennende Stadt, nicht wahr?“ Mit wiegendem Schritt wirbelte er durch den Raum, bevor er auf den Fenstersims stieg. „So gern ich Euch beim Sterben zusehen und vielleicht sogar Gesellschaft leisten würde, so habe ich doch noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Man sollte eine schöne Frau niemals warten lassen, schon gar nicht wenn sie über derartige Kräfte verfügt!“

„Buhle der Hexe!“, schrie einer der älteren Ratsmänner.

„Keineswegs, aber ich muss ihr noch den zweiten Teil ihrer Bezahlung aushändigen.“ Heinrich winkte zum Abschied, dann sprang er. Sein Fall wurde von einem Misthaufen abgefedert. Heinrichs Lächeln wurde breiter. So viel Glück hatte er sich gar nicht erhofft.

 

Heinrich tanzte durch die brennenden Gassen. Das Haus der Hexe befand sich in der Nähe des Westtors. Mittlerweile brannten seine Augen vom Rauch und er hustete beständig. Dennoch wirbelte er die Frau ekstatisch in der Luft herum und drückte ihr sogar einen Schmatzer auf die Wange, bevor er sich besann und ihr mit glänzenden Augen ein kleines, in Leder gebundenes Buch überreichte.

Beim Anblick des Buches bekam sie feuchte Augen. Sie schlug es auf und begann zu lesen, bevor sie es in ihrem Mieder verstaute. Einen Moment musterte sie ihn. „Ihr seid ein seltsamer Mann. – Und Ihr seid sicher, dass Ihr die Stadt nicht ebenfalls verlassen wollt? Ihr könntet noch mehr dieser Fackeln entzünden.“

Heinrich schüttelte den Kopf. „Dies ist meine Fackel. Einer anderen bedarf ich nicht. Mein Werk ist vollendet. Nun ist es Zeit abzutreten. Ich kann mir nichts schöneres vorstellen als in diesem Augenblick des Triumphs ins Jenseits überzutreten.“

„Ich hoffe, Ihr habt den Wegzoll parat.“

„Ich trage ihn bei mir, seit ich acht Jahre alt bin“, erwiderte Heinrich und klopfte auf seine Brust, wo er unter seinem Hemd einen kleinen Beutel mit Münzen trug.

„Gute Reise“, erwiderte die Frau. Sie wirkte beinah betrübt.

„Ihr solltet Euch beeilen. Das Feuer hat die Stadtmauern fast erreicht. Dann gibt es kein Entkommen.“

Sie nickte und verschwand im Gewimmel der Gassen.

Heinrich schloss die Augen und lauschte dem Knistern der Flammen. Er war bereit und wenn es direkt in die Hölle ging!