Von Elisabeth Penzias

Mona stößt mit dem Stock das Haustor auf, schleppt sich schwer atmend zur Stiege, greift nach dem Handlauf. Hinter ihr fällt das Tor schwer ins Schloß. Sie gibt sich einen Ruck für die vier Stufen bis zum ersten Absatz, holt Atem und steigt langsam die nächsten zwölf Stufen bis zum Mezzanin. „Dieser fette Salat“, schimpft sie, „liegt mir der im Magen! Vegetarisch, so ein Blödsinn ! Sie ringt nach Luft. „Kolleginnen- Stammtisch, dass ich nicht lache ! Ich war nur eingeladen, dass ich ihren mitleidigen Blick bemerke. Nein, ich bin nicht mehr in der Kompanie, ich muss aber auch nicht mehr von Spargel und Joghurt leben“ brummt sie weiter. Durch die geschlossene Wohnungstür dringt Hundegebell. „Liza, Lena, gleich bin ich da, Ihr Süßen!“ Ihre raue Stimme wird weich. Sie dreht sich zur Nachbarwohnung und drückt mit dem Stock auf den Klingelknopf. „Maria!“ ruft sie laut, gleich wieder ungeduldig. „Komme schon“, der Schlüssel dreht sich. Maria steht da mit ihren leuchtend weißen Haaren in einer himmelblauen Regenjacke. Aus dem Inneren ihrer Wohnung dringt das freundliche Gezwitscher ihrer beiden Rosenköpfchen, kleine Papageien, die man die Unzertrennlichen nennt.  „Na, wie war s bei Tilda ?“fragt sie freundlich. Mona atmet schwer: „Das Essen hätte sie sich sparen können, die Ex- Kollegin, Kernölsalat, Paprika,Tomaten, mich kannst Du jagen mit Gemüse ! Waren die Hunde schon draußen?“ “Bin noch nicht dazugekommen,“ sagt Maria schnell, „aber ich gehe gleich,!“ Sie greift hinter die Türe und holt die Leinen hervor. Mona hat ihre Wohnung aufgeschlossen. Zwei rehbraune Zwerghunde schießen heraus und tanzen wimmernd und kläffend um Maria herum, die sie an die Leinen hängt und sich lachend über die Stiege davonziehen läßt.

 

Mona beisst sich auf die Lippen, holt Atem, dreht sich um und zieht die Tür hinter sich zu. Ihr Blick fällt auf einen nassen Fleck auf dem Vorzimmerteppich. „Na geh“ sagt sie laut und denkt: Das wird sie mir büßen, die dumme Kuh. Ich hab ihr gesagt um fünf müssen die Hunde raus, jetzt ist es halb acht !“

Sie läßt sich im Wohnzimmer in den Ohrensessel fallen, nimmt die Sauerstoffflasche mit der Inhalationskappe vom Tisch und atmet daran. „So,“ grantelt sie, holt ihr Handy aus der Tasche und ruft Michael an. Sie sagt den Besuch bei seinen Eltern am Wochenende ab. In ihrem Zustand könne sie gern auf Klatsch und Tratsch und die scheusslichen Kuchen seiner Mutter verzichten. Der verdatterte Michael kommt nicht dazu zu antworten, Mona hat schon aufgelegt.  Mit der Fernbedienung zappt sie sich durch die Kanäle und macht in einer deutschen Talkshow Halt. Eine bekannte Tänzerin zählt soeben die Schattenseiten des Berufs auf: „Ständige Gewichtskontrolle, keine Burger, keine Kuchen, kein Alkohol. Erst seit ich vegan lebe, darf mein Appetit wieder größer werden!“ scherzt sie. Mona rollt die Augen. Ja, denkt sie bitter, bei mir waren es die Zigaretten gegen den Hunger. So hab ich mir meine Lunge ruiniert.

 

Michael springt aus dem Bett. Das war Mona, mitten in der Nacht. Mona in Tränen aufgelöst. Fünfzehn Minuten braucht er bis zu ihr. Sie öffnet ihm, fällt ihm um den Hals und schluchzt: „Liza“ und „Lena“ ! Die beiden Hundekörper liegen reglos auf dem Teppich. Um die kleinen Mäuler klebt Blut und Erbrochenes. „Das“, schreit Mona auf, „das hat die Maria auf dem Gewissen ! Sie war mit ihnen spazieren, viel zu spät, sie hätte um fünf gehen sollen. Da wäre das Gift vielleicht noch nicht da gelegen!“ „Wieso Gift, bist Du sicher?“ „Was denn sonst?“  „Was sagt denn die Maria?“ Michael kommt es plötzlich eigenartig vor, dass die Nachbarin fehlt. „Die hat sich jetzt zurückgezogen“, sagt Mona höhnisch, „ihr war das zu viel. Ich hab ihr auch ins Gesicht geschrieen, dass sie sich überhaupt nicht gekümmert hat um die Hunde, wo ich ihr doch soviel Geld dafür gebe!“ Mona schluchzt auf, Michael schüttelt den Kopf: „Fünfzig Euro im Monat scheinen Dir viel für tägliches Spazierengehen, Füttern und Bereitstehen, wann immer Du etwas aus der Apotheke brauchst ? Du bist wirklich unfair und bösartig!“ Mona atmet schwer und sieht weg.  „Maria hat es nicht verdient von Dir so beschimpft zu werden“ Michael ist verärgert. „Was sollen wir denn mit den Hunden jetzt tun?“ weint Mona weiter. „Das Naheliegende“, sagt Michael lakonisch, „wir rufen den Notdienst an“. Nach kurzem Gespräch ist klar, dass sie die kleinen Leichen in eine Decke

wickeln und in der Tierklinik vorbeibringen dürfen. Auf der Fahrt fällt Michael auf, dass Mona keinen Inhalator bei sich hat. Er ist es so gewohnt, fürsorglich zu denken, aber ihre kaltherzige und undankbare Haltung entsetzt ihn.

Die Hunde werden für die Obduktion dabehalten, Vergiftungen in den Hundezonen der Parkanlagen häufen sich in den letzten Jahren, meinen die Tierärzte.

Mit einer nach Atem ringenden Mona im Auto fährt Michael zurück. „Wo hast Du denn Deinen Inhalator?“ „Keine Ahnung“ sagt Mona schnell. „Sag, willst nicht nachsehen bei Maria, ob alles in Ordnung ist ?“ Mona bekommt schmale Lippen und schüttelt den Kopf : „Soll sie doch schmollen, ich brauch jetzt meine Ruhe“. Und ich brauch bald einmal Abstand von Dir, denkt Michael und bringt sie wortlos nach Hause.  Ihre Atemnot nimmt rasant zu und so versorgt er sie noch mit einer frischen Inhalationsflasche aus dem Badezimmer. Dann verabschiedet er sich schnell. Auf dem Schlüsselbrett sticht ihm der Schlüssel mit dem Anhänger „Maria“ ins Auge. Er nimmt ihn an sich, zieht die Wohnungstür hinter sich zu und läutet bei Maria. Nichts. Als wären auch die Rosenköpfchen ausgeflogen, schießt es ihm durch den Kopf. Er sperrt auf :„Maria? – Alles in Ordnung?“ Alles bleibt still. Langsam macht er einen Schritt ins Vorzimmer, knipst den Lichtschalter an. Durch die geöffnete Badezimmertür sieht er Maria zusammengekauert am Boden liegen. „Maria!“ Er stürzt zu ihr. Seine Augen bleiben am gefüllten Waschbecken hängen, in dem die  kleinen Papageienkörper mit dem Bauch nach oben schwimmen. Auch Maria lebt nicht mehr.

Im Vorzimmer klingelt ein Handy. Michael springt auf und stolpert über den Sauerstoffhaltig und greift zum Handy: „Hier Michael bei Maria“, spricht es fast ohne Ton aus ihm.

„Oh Gott sei Dank, servus Michael, hier ist Uschi. Gibst Du mir die Mama bitte ?“ Bevor Michael ein Wort herausbringt, sprudelt Uschi weiter. „Ich mach mir jetzt immer Sorgen, wenn sie in der Früh nicht abhebt, seit wir definitiv wissen, dass sie so ein schwaches Herz hat!“