Von Jasmin Fürbach

Der Morgen brach an wie jeder andere zuvor. Rauch stieg über einigen Häusern auf und verursachte Schwaden, die langsam in der Sonne verdunsteten. Türen öffneten sich, Menschen traten auf die Straßen. Von diesem Teil des Dorfes aus betrachtet, schien es fast so, als beginne der Morgen friedlich. Doch auf den zweiten Blick verhielt es sich anders. Ein Mann ging forschen Schrittes an den Häusern vorbei, klopfte an jede Tür- ob geöffnet oder nicht- wartete nicht ab, bis er hereingebeten wurde. Ihm folgte eine Gruppe bewaffneter Männer mit düsteren Gesichtsausdrücken. Wann immer sie nicht gefunden hatten, was sie so offensichtlich suchten, kehrten sie auf die Straße zurück. Plötzlich wurde die Ruhe von lautem Gekreische unterbrochen, als zwei Männer ein Mädchen an den Haaren aus ihrer Hütte zogen. Sie trat um sich, versuchte verzweifelt sich freizustrampeln, jedoch ohne Erfolg. Einige Meter lang schleifte die Gruppe sie mit, solange bis sie auf dem Marktplatz angekommen waren. Das Feuer loderte schnell und der Geruch verbrannter Haut ließ die Zuschauer würgen. Beklommene Stille erfüllte den Platz, als das Mädchen in sich zusammensank, leblos in den Stricken hängend, die nun langsam von den Flammen erfasst wurden.

 

Des Abends fand sich ihre kleine Gruppe im Keller des örtlichen Wirtshauses ein. Viele von ihnen kleideten sich in dunklem Grün, um der Toten zu gedenken. Keine von ihnen trug Schwarz, würde es doch Aufsehen erregen, das sie sich nicht leisten konnten. Die Älteste übernahm den Vorsitz, wählte ihr Worte weise, aus Respekt für ihre gefallenen Schwestern und jene, die noch kommen würden. Es herrschten harte Zeiten, jede von ihnen konnte die nächste sein. Die Angst vor Entdeckung breitete sich stetig unter ihnen aus, ließ sie vor jedem neuen Treffen zögern. Und doch waren sie ein weiteres Mal so vollständig, wie sie nur sein konnten. Ihr kleiner Bund, der zaghaft Widerstand leistete, schien förmlich unter den ständigen Angriffen aufzublühen. Die Gemeinschaft schenkte ihnen Kraft. Neue Maßnahmen mussten getroffen werden, zu ihrer aller Schutz. Vorsicht war überall und zu jeder Zeit geboten. Sie verließen den Raum, eine nach der anderen, unter dem Deckmantel der Dunkelheit. Einige von ihnen bedeckten ihre Köpfe in der Hoffnung, die grauen Kapuzen mögen die Aufmerksamkeit vom Rot ihrer Haare lenken.

 

Schwester Anna war leichtsinnig gewesen, im Fluss baden zu gehen und sich erwischen zu lassen. Ihre Anhörung hatte ihr Schicksal besiegelt, als sie nicht überzeugend Rechenschaft für die Fähigkeit zu schwimmen angeben konnte. Schwester Marie hatte lediglich einem Kind den heilenden Kräutersud gebraut, dessen Rezept bereits für Generationen in ihrer Familie war, wofür man sie an den Ast eines Baumes gehängt hatte, ohne zu beachten, dass das Kind gesundet war. Sie hatten schon so viele verloren, doch die Jagd währte stetig weiter an. Frauen wie sie, ob schön oder hässlich, rot oder brünett, bleich oder von Muttermalen übersäht, sie alle waren in Gefahr. Die Gemeinschaft die sie untereinander geschlossen hatten, diente zu ihrem eigenen Schutz, zu einem Mittel der Verteidigung als letzte Instanz gegen die Männerscharen, die ihren Tod wünschten. Wann immer sie konnten, sammelten sie Informationen, verhalfen ihren Schwestern zur Flucht, so dass nicht noch eine von ihnen am Strick baumeln musste. Nicht immer lag es in ihrer Macht das Grauen zu verhindern. So wie an diesem Tag, als Schwester Katarina dem Hass der Männer erlegen war. Keine von ihnen hatte es kommen sehen, sie alle waren unvorbereitet gewesen. Sie erinnerten sich an das Klopfen an ihren Türen mit Angst in ihren Knochen. Jede von ihnen hatte gedacht, ihre Zeit sei nun gekommen. So erleichtert waren sie gewesen, als die Männer ihre Häuser verlassen hatten, nur um an ihrer Schwestern Stelle zu zittern. Sie hatten in ihren Gärten gestanden, hatten die Straße hinauf und hinunter gesehen, Blicke ausgetauscht über Zäune hinweg. Als sie das Mädchen mit sich genommen hatten, waren sie in kollektiver Bestürzung erstarrt. Ihre Schreie klangen noch immer in ihren Ohren.

Hexen gab es nicht, es hatte sie auch nie gegeben. Doch aus Gründen, die sie nicht verstanden, hatten es sich die Männer des Landes in den Kopf gesetzt, sie alle wären mit dem Teufel zugange. Von da an herrschte Misstrauen zwischen ihnen, solange bis sie begriffen, dass sie alleine verwundbar waren. Frauen des Heilberufs, Frauen mit grünen Augen und schwarzen Katzen, Frauen, die ihr Kind verloren hatten, sie alle kamen zu ihnen und baten um Schutz. Wieder und wieder gewährten sie Obdach vor der gnadenlosen Verfolgung, schlossen die Reihen, um ihre Mitglieder vor dem Tod zu bewahren. Sie verstanden nicht, woher der Hass gekommen war, warum er plötzlich aufgelodert war, gleich den Flammen der Inquisition.

 

Salem brannte. Und die Hexen brannten mit ihm. Auch wenn es keine Hexen gab, so gab es doch Frauen, die in dunklen Kellern zusammentraten, um ihresgleichen zu beschützen. Doch Salem brannte weiterhin. Sie alle fürchteten das Feuer, das ihnen ein Leben lang guter Begleiter, ständige Hilfe gewesen war. Und mit jedem Tag verbrannte eine weiter Schwester, erlosch ein weiteres Licht in ihren Reihen. Es kam der Moment an dem sie einen Pakt schlossen. Kein Opfer war zu viel, kein Preis zu hoch.

 

Sie griffen nach ihren Kochtöpfen, nach Spitzharken und allen Gerätschaften in ihrer Reichweite. Der Kampf war von kurzer Dauer. Die Überraschung war auf ihrer Seite gewesen, war ihnen im Moment größter Not zu Hilfe geeilt, hatte ihnen den entscheidenden Vorteil geschenkt. Als der Abend nach einem lange andauernden Tag endlich einbrach, kehrten sie in ihre Häuser zurück, begrüßten Ehemänner und Kinder, ohne Verfolgung fürchten zu müssen.

 

Ein letztes Treffen fand auf den Wiesen hinter dem Wirtshaus, dessen Keller so lange ihr geheimer Versammlungsort gewesen war, statt. Sie tratschten munter miteinander, tauschten Geschichten und Rezepte auf der Lichtung aus. Das prasselnde Feuer ließ sie nicht länger erschaudern, strahlte nunmehr eine wohlige Wärme aus.

 

Sie sah sich um. Ihre Schwestern im Kreis versammelt, vollzählig bis auf die letzte Frau, strahlend wie die Sonne selbst. Die Energie zwischen ihnen flackerte wie das Feuer in ihrer Mitte. Sie beobachtete die Gruppe, aufmerksam, bereit jederzeit einzugreifen, zu schützen auch wenn die Gefahr gebannt schien. Der Mond stand hoch am Himmel, strahlte auf sie alle hernieder. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen drehte sie sich gen Wald, huschte unauffällig davon. Die Bäume wiegten im sachten Rhythmus des Windes und die Blätterdächer stimmten eine Melodie für sie an. Es war als hießen sie sie willkommen. Ein Knistern ließ sie herumfahren. Da, im Dunkeln verborgen, stand ihre Schwester, das Haar leuchtend rot wie die Hölle selbst. Beinahe entfuhr ihr ein Lachen. Nichts war ihr ferner als der Bund mit dem Teufel und doch war es genau das gewesen, wovor diese ehrbaren Menschen sich so geängstigt hatten. Das Mädchen näherte sich nicht, sah sie nur ehrfürchtig an. Es beobachtete, als sie selbst die Hände gen Himmel reckte, Worte flüsterte, gerade leise genug, um nicht verstanden zu werden. Der Mond spendete ihr Kraft als Flammen aus ihren Fingern stoben. Der überraschte Aufschrei des Mädchens hinter ihr hinderte sie nicht. Ein weiteres Mal blickte sie sich zu ihrer Schwester um, ihre schwarzen Augen auf das erschrockene Gesicht des Mädchens geheftet. Verständnis war in ihrem Blick zu lesen, jedoch keine Angst. Sie hatte mit ihnen gekämpft, hatte alles und noch mehr für ihre Schwestern – Salems Schwestern – gegeben. Und nun war es Zeit Abschied zu nehmen. Sie waren sicher, würden es, so hoffte sie, immer bleiben. So machte sie sich auf in die Nacht hinaus, blondes Haar im Rücken und Mut in jedem Schritt. Salem hatte gebrannt, doch seine Schwestern hatten überlebt.

 

Hexen gab es nicht.


Hexen hatte es auch nie gegeben.

 

Und doch…