Von Miklos Muhi

Die Hitze ließ Bodos wirre Träume dahinschmelzen. Auf jeder Stufe, die aus dem Schlaf führte, blieb er stehen. Je tiefer er war, desto mehr Zeit vertrödelte er. Ob es sich überhaupt lohnte, fragte er sich. Ganz sicher war er sich nicht, trotzdem nahm er die letzten Stufen im Laufschritt.

 

Er öffnete die Augen und setzte sich in seinem Bett auf. Qualm drang unter der verschlossenen Tür ins Schlafzimmer, begleitet von einer infernalischen, strahlenden Hitze, die sich wenig um Wände kümmerte. Die Tür selbst brannte noch nicht. Seine Frau schlief unruhig und sein Sohn bewegte sich in der Krippe.

 

Noch gab es die Möglichkeit zu fliehen, aber bald würde Onkel Kohlenmonoxid dafür sorgen, dass sie nicht bei lebendigem Leib verbrennen mussten. Vor nicht allzu langer Zeit hätte Bodo in einer ähnlichen Lage, ohne nachzudenken gehandelt. Jene Zeiten waren aber heute nur eine wehmütige Erinnerung.

 

*

 

Alle Verarbeitungsbetriebe versuchten schon immer die Preise zu drücken. Alles, was aus der Landwirtschaft kam, war viel zu billig. Die Verbraucher hatten ihre Freude daran, Milch, Fleisch und Eier zu Spottpreisen kaufen zu können und Bodo hatte sogar etwas Verständnis dafür.

 

Für seine Bio-Produkte bekam er etwas mehr Geld. Als er den Bauernhof übernahm, den sein Vater schon vor langer Zeit auf Bio umgestellt hatte, konnte man die Preise sogar als gut bezeichnen. Molkereien und Metzgereien kauften in kleinen Mengen. Das Meiste ging über den Hofladen und über Bioläden in der Umgebung weg.

 

Bodo war sich sicher, dass man nicht alle Menschen nur mit Bio-Lebensmitteln ernähren konnte. Diese waren in seiner Vorstellung etwas Besonderes, für besondere Anlässe oder für Menschen, die das konventionelle Zeug nicht gut vertrugen. Dann kam der Bio-Wahnsinn.

 

Erst besuchten Kunden aus immer ferneren Orten seinen Hofladen. Er freute sich darüber. Der Umsatz stieg, der Hof warf Profit ab. Die neuen Kunden legten aber die Messlatte immer höher. Er musste sich oft bizarre Vorträge über Landwirtschaft anhören, von Menschen, deren Erfahrung diesbezüglich höchstens im Anbau von einigen Hanfpflanzen bestand.

 

Bio war nicht mehr genug. Es musste auch glutenfrei sein. Man verlangte entsprechende Zertifikate für Fleisch, Milch und für alles, was im Hof produziert wurde. Bodo wusste, was Gluten war, aber seine neuen Kunden hatten nur vage Vorstellungen davon. Ob die Kühe glutenfrei gefüttert wären? Ob sie vegan gefüttert wären? Was für Zertifikate Bodo für seine Behauptungen, dass Fleisch und Milch grundsätzlich glutenfrei seien und seine Kühe auf einem Biohof grundsätzlich vegane Kost bekämen, vorlegen konnte?

 

Als ein Konsortium aus Metzgereien und Molkereien spezialisiert auf Bioqualität ihn aufsuchte und ihm einen Vertrag anbot, zögerte er nicht lange. Die Preise waren zwar niedriger, aber die hohen Abnahmemengen machten das wett. Das Schließen des Hofladens verlangte der Vertrag nicht, trotzdem ließ er das in den Zeitungen der Umgebung verkünden. Das war gelogen. Der Hofladen blieb bestehen und bediente die Stammkundschaft, die keine bescheuerten Fragen stellte. So wurde das Leben ruhiger.

 

Vor etwa einem Jahr kamen die ersten merkwürdigen Meldungen in den Nachrichten. Wissenschaftler einer amerikanischen Universität, die in erster Linie wegen einer christlich-fundamentalistischen Einstellung berühmt war, hätten herausgefunden, dass die Bio-Produktionsweise die Umwelt schwer schädige und die so erzeugten Produkte verschiedene Krankheiten, unter anderen Krebs verursachen könnten.

 

Fast alle lachten sich damals schief.

 

Das Lachen verging aber allen bald. In den sozialen Netzwerken wurden die sogenannten Recherchen schnell aufgegriffen und weitergereicht. Der Mist verbreitete sich rasend schnell unter den einfältigen Ignoranten mit übermäßig viel Freizeit und jedes Mal kam etwas Neues dazu.

 

Fulminant wurde es erst, als man die Mutmaßung in den Raum warf, dass Biobauern auch für die niedrigen Ankaufspreise konventioneller Produkte verantwortlich seien. Das Fünkchen Wahrheit in der Aussage, dass Biobauern für ihre Produkte mehr bekamen als konventionelle, zündete die Lunte an.

 

Plötzlich wollte keiner mehr Bioprodukte haben. Alle hatten Angst vor Krebs, Diabetes und einer Reihe von Krankheiten, alles verursacht angeblich von der Bio-Produktionsweise und Bio-Lebensmitteln. Bodo wurde zuerst nicht mehr gegrüßt, dann in der Bäckerei des Dorfes nicht mehr bedient. Der Bäcker deutete zuerst wortlos auf das große Poster im Schaufenster, auf dem ›Wehrt euch! Kauft nicht bei Biobauern!‹ stand und dann zeigte er auf die Tür. Bodo verließ wortlos die Bäckerei. Vor einer Woche hätte er schwören können, dass der Bäcker von Kindesbeinen an sein guter Freund wäre.

 

Die drohende Pleite war nicht das Schlimmste. Nicht einmal die Drohungen der Bank, den Hof versteigern zu lassen, machten ihm etwas aus. Schlimm waren die Nachrichten aus der ganzen Welt die von ›Abrechnung mit dem widerlichen Bio-Pack‹ und Ähnlichem berichteten. Von Anti-Bio-Brigaden war die Rede, die von Dorf zu Dorf, von Region zu Region zogen um ›diesem Spuk endlich ein Ende zu bereiten‹.

 

Das alles war weit weg, bis die erste Rauchsäulen in der Ferne zu sehen waren. Je näher die Säulen kamen, desto weniger wurden die zuverlässigen Informationen und desto verschwiegener die Nachrichten. Viele waren geflohen und versteckten sich. Bodo wollte das nicht. Er war sich sicher, dass das alles sich einmal legen würde.

 

*

 

Der Wille zum Überleben siegte schließlich über seine Lethargie. Er weckte seine Frau. Sie brauchte keine Erklärung oder Anweisung und wusste sofort, was los war. Sie nahm das Baby aus der Krippe.

 

Bodo öffnete die Tür. Am Ende des Flures loderten schon die Flammen, aber die Treppe, nicht weit von der Zimmertür, war noch intakt. Sie krochen geduckt, um weniger Ruß und Rauch einzuatmen. Kurz bevor sie die Treppe erreichten, stieg die Hitze ins Unermessliche. Drohendes Krachen schlug ihnen vom Ende des Flures entgegen.

 

Begleitet vom Geruch verbrannter Haare und Baumwolle, erreichten sie das Erdgeschoss, wo es noch nicht so heiß und die Luft sauberer war.

 

Die Haustür war verschlossen. Bodo nahm den Schlüssel vom Haken und brauchte einige Anläufe, bis es endlich klick machte. Wohltuende Kühle schlug ihnen entgegen. Sie rannten nach draußen. Seine Frau blieb sofort stehen und drehte sich um, damit sie die Schäden am Haus aus sicherer Entfernung betrachten konnte.

 

Er wollte zum Nachbarn laufen, um von da die Feuerwehr zu rufen, aber nach einigen Metern blieb er stehen. Etwas erschien ihm nicht in Ordnung. Er sah nichts Verdächtiges im Lichthof seines brennenden Hauses und hörte nur das Schmatzen des Feuers, wie es alles auffraß.

 

Sonst war es still. Zu still. Bodo wollte seiner Frau zurufen, aber Ruß und Rauch hatten ihm seine Stimme genommen. Er drehte sich um und lief in ihre Richtung. Im Gedanken war er schon bei ihr und zerrte sie zum Boden.

 

Vier Schüsse zerschmetterten die Monotonie des Feuergeknisters. Alle kamen von außerhalb des Lichtkegels und sie klangen nach Schrot. Bodo spürte die kleinen und sehr harten Schläge auf seinem Rücken und Hinterkopf. Seine Beine gaben nach. Er fiel nach vorne, aufs Gesicht und konnte nichts mehr sehen.

 

Er spürte keine Schmerzen, nicht einmal als behandschuhte Hände seine Arme und Beine fassten, ihn zur Haustür trugen und hineinwarfen. Als Letztes spürte er, wie etwas Schweres auf seinem Rücken landete. Irgendetwas Kleines klemmte zwischen ihm und der Last.

 

Das Haus brach kurz danach zusammen, aber Bodo bekam das nicht mehr mit.

 

Version 2