Von Eva Fischer

Die Vergangenheit liegt vor mir wie ein Brei, auf dem unverdaute Brocken schwimmen.
Warum meldet sich Else nicht mehr?
Ist sie tot oder schmollt sie noch immer?
Oder beides?
Warum kommt Hans nicht mehr zum Kaffee vorbei?
Ich würde ihm auch seinen Lieblingskuchen backen.
Schwarzwälder Kirsch mit einer Extraportion Kirschwasser.
Wir könnten von früheren Zeiten plaudern, als wir noch jung waren.
Er sollte mir doch endlich verzeihen, dass ich sein Auto zu Schrott gefahren habe.
Die Karre wäre eh nicht mehr über den TÜV gekommen.
Warum schellt die Nachbarin nicht mehr an?
Bisher hat sie mir doch immer den Haustratsch erzählt.
Wen interessiert schon, ob Jana schwanger ist, warum Max das Abi nicht schafft, ob Herr Meier mit seiner Sekretärin schläft, wieso sich die Schultes einen neuen SUV leisten können?
Was für ein Gewäsch!
Aber man möchte schließlich wissen, wie es ausgeht.

*

Das Haar in der Suppe ist nicht mehr auffindbar.
Es hat sich verfärbt, ist unsichtbar geworden.
Ist es nun ein Vor- oder Nachteil, wenn ich es einfach verschlucke,
weil es sich dünne macht, sich um den Spargel windet wie die Schlange um den Baum?
Was habe ich nicht schon alles geschluckt im Laufe meines Lebens!
Da kommt es wohl nicht mehr auf ein einzelnes, dünnes, farbloses Haar an!

*

Ich warte ungeduldig darauf, dass meine Putzhilfe kommt, damit ich ihr entfliehen kann.
Mein Kopf möchte das.
Meine Beine können es nicht.
Wenn sie grazil in die Hocke geht, um den Dreck unter dem Schrank hervor zu fischen, dann ächzen meine Knie, weil sie sich an eine Zeit erinnern, als sie sich mühelos und schmerzfrei meinem Willen beugten.
Jetzt müssen sie zusehen, wie jüngere Knie sich hinknien, die noch nicht ahnen, dass ihre Beweglichkeit zeitlich begrenzt ist.
Sie sollten trällern, jubilieren, Dankeshymnen anstimmen, aber das können sie nicht, denn sie sind kein Kopf, sondern bloß kopflose Knie.

*

Der Nachrichtensprecher spricht mit mir.
Jeden Abend zur gleichen Zeit.
Da ist wirklich Verlass auf ihn.
Er schaut mich an. Ich bin sicher, er flirtet mit mir, so wie er mich anblinzelt.
Aber warum spricht er nur so leise?
Sicherlich will er unser gemeinsames Geheimnis hüten.
Heute hat er etwas von Händewaschen gewispert.
Das ist doch ungehörig! Als ob ich ein Schwein sei!
Hat er überhaupt eine Ahnung, wie weit der Weg zu meinem Bad ist?
Ich muss jedes Mal von Europa nach Amerika reisen und da liegt bekanntlich der unüberwindliche Ozean dazwischen.
Morgen werde ich mir einen anderen Nachrichtensprecher suchen.

*

Ich denke, ich werde mich von Hermann trennen.
Seit zwanzig Jahren stiert er mich an. Immer der gleiche Gesichtsausdruck.
Kein Wort spricht er mit mir.
Nichts bewegt sich in ihm.
Er ist irgendwie stehen geblieben wie eine Standuhr, die man vergessen hat aufzuziehen.
Sein Gesicht ist verblasst. Der silberne Rahmen gibt ihm das Licht nicht zurück.

Du hättest mit mir alt werden können.
Wir hätten zusammen eine Tasse Tee trinken können, aber du bist einfach abgehauen
und hast die Würmer meiner Gesellschaft vorgezogen.

*

Das Wort, das ich lese, entfleucht, bevor ich es zu Ende gelesen habe. Ich möchte es gern festhalten, aber es schwingt sich in die Luft wie ein Schmetterling.
Ich schaue ihm nach.
Brauche ich dieses Wort überhaupt? Oder fliegen da oben noch andere Worte herum, die mit mir spielen?
L a n g e w e i l e
Es ist schon eine Weile her, dass mir die Worte zu lang wurden. Lange Worte mag ich nicht mehr.
Was ist mit kurzen Worten?
T o d
Zu kurz!
Da denke ich lieber über lange Worte nach.
Ü b e r ü b e r ü b e r m o r g e n.

*

Bist du es mein Sohn? Schön, dass du mal wieder vorbeischaust.
Du musst die Lampen reparieren.
Seit Tagen sitze ich hier im Dunkeln.
Es ist taghell draußen, sagst du.
Das kann nicht sein.
Du musst den Elektriker holen, Junge.
Den Arzt?
Seit wann ruft man den Arzt, wenn man Glühbirnen austauschen möchte?