Von Talita Schönberg

Und plötzlich Dunkelheit. Das war mein Signal. Immer, wenn das Licht ausging, war es Zeit für mich mit meinem Werk zu beginnen. Viel zu lange hatte ich schon in dieser unbequemen Position ausgeharrt. Hatte lange gewartet und gelauert bis zu diesem Augenblick.

Du weißt, dass ich da bin, hast extra lang das Licht angelassen. Hast versucht ruhig zu bleiben, vernünftig zu sein. In dir kämpfen Angst und Neugierde unerbittlich gegeneinander. Du wolltest wach bleiben, doch irgendwann wurdest auch du schwach und hast deiner Müdigkeit nachgegeben. Hast das Licht gelöscht, Atmosphäre für mich geschaffen.

Leise krieche ich unter dem Bett hervor, um dich nicht zu wecken. Noch ist es nicht Zeit dafür. Ich recke und strecke mich, um die steifen Glieder zu lockern.
Langsam wurde ich zu alt für den Job. Ich blicke sanft auf das schlummernde Menschenkind herab. Wie ein Rahmen kringeln sich die braunen Locken um das zarte Gesicht.

Du bist groß geworden. Langsam wurde es immer schwerer dich zu überraschen. Auch du hast dazugelernt. Weißt dich zu schützen. Hast die kindlich naive Sorglosigkeit schon ein bisschen abgelegt. Das macht mich fast ein wenig stolz und zwingt mich gleichzeitig dazu kreativer zu werden. Früher bist du oft zu deinen Eltern geflüchtet, hast dich schutzsuchend zwischen Ihnen unter der Bettdecke verkrochen. Die Zeiten waren nun vorbei.

Ich lausche an der Zimmertür, doch auch im Rest der Wohnung ist nun Ruhe eingekehrt. Die Nacht ist jung und wir werden ungestört sein.

Auch heute Nacht, lehre ich dir das Fürchten, weiche keine Sekunde von deinem Bett. Ich muss vorsichtig sein. Du rechnest langsam an gewissen Orten mit mir, doch ich bin überall und nirgends und schon gar nicht dort, wo du mich erwartest. Ich bin das Zwicken im großen Zeh, das Kitzeln an deiner Nasenspitze und der Atemhauch, der dir eine prickelnde Gänsehaut verpasst. Ich bin der Schatten an der Wand, wenn der Mond aufgeht. Bin das Quietschen der Schranktür, das Heulen des Windes und immer, wirklich immer bin ich das knarren unter deinem Bett.

Ich lasse mir Zeit bei meiner Arbeit. Jede Handbewegung ist akkurat und routiniert. Ich liebe meinen Job und doch macht er mir manchmal schwer zu schaffen. Ein tiefer Seufzer entspringt meiner Kehle und lässt mich kurz innehalten.

Du wirst unruhig, drehst und wendest dich im Laken, hast den Tiefschlaf schon längst verlassen. Ein letztes Mal streiche ich über dein rechtes Bein, dass du schnell unter der Decke verschwinden lässt, während du dich auf die andere Seite drehst. Ich schaue aus dem Fenster. Nach der Dämmerung kann ich den beginnenden Sonnenaufgang in voller Pracht bestaunen. Es ist wunderbar und tief traurig zugleich, heißt es doch, dass ich dich nun wieder verlassen muss. Ich habe geschworen dich zu beschützen, dich auf die dunklen Seiten des Lebens vorzubereiten, auf Schmerzen, Hilflosigkeit, Alleinsein. Dich zu Lehren aufmerksam zu sein, einen Instinkt zu entwickeln und mit Ängsten umzugehen. Durch mich entwickelst du Persönlichkeit, Sensibilität und Fantasie. Das ist meine Mission, dafür lebe ich. Doch dazu muss ich mich im Schatten tarnen. Nur im Dunkeln kann ich sein.

Noch bevor der erste Sonnenstrahl durchs Fenster fällt, krieche ich langsam wieder unter das Bett und werde bis zur nächsten Nacht Eins mit der staubigen Umgebung hier unten.

Du hasst mich für das, was ich tue, spürst meine Anwesenheit und fürchtest dich deswegen. Gern würde ich mich dir offenbaren, dir mein wahres Ich zeigen. Dir Beweisen das du stark genug bist, um es mit den Dämonen des Lebens aufzunehmen. Doch du willst mich nicht sehen. Nicht mehr jedenfalls. Nur einmal hast du es zugelassen, mutig einen Blick riskiert als du klein warst, doch keiner hat dir geglaubt. Denn wer glaubt schon an das Monster unter dem Bett?